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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Die bulgarische Krisis.

richtung bei. Diese Kirche hatte bis 1767 bestanden und bis dahin immer ihre
eingebornen Patriarchen und Bischöfe gehabt, war aber in jenem Jahre unter den
Einfluß der Griechen des Fauar gerathen, die fortan alle hohen geistlichen Stellen
mit Leuten aus ihren Kreisen besetzten und durchaus als Werkzeuge der Türken
handelten. Endlich, um das Jahr 1856, bildete sich eine Partei, welche das Volk
über dieses Verhältniß aufklärte, es zum Widerstände gegen die Fremden bewog
und ans diese Weise den alten Zustand wiederherstellte, indem 1876 ein Fernen
des Sultans die Unabhängigkeit der bulgarischen Kirche vom Patriarchat in Stambul
aussprach und eine getrennte Verwaltung anordnete, die man das Exarchcit von
Bulgarien nannte. Später gründete Balabanoff das Journal "Weck", in welchem
er mächtig zur Weckung und Belebung des nationalen Geistes und des Strebens
nach Unabhängigkeit von den Türken beitrug und so die Revolution vorbereiten
half, die endlich mit Hilfe der Russen zum Ziele führte. 1876 ging er mit Zankvff
als "Dclegat des bulgarischen Volkes" in verschiedne europäische Hauptstädte, wo
er die Blicke auf die traurigen Zustände in den Balkanländern zu lenken bemüht
war. Nach dem Kriege wurde er zum Gouverneur der Städte Sistowa und Tirnowa
ernannt, und während der Sitzungen der ersten Nationalversammlung trug er wesentlich
zu friedlicher Lösung verschiedner Fragen bei, welche zu ernsten Verwicklungen zu
führen drohten. Gregor Natschewitsch, der Finanzminister, zeichnete sich in den
Jahren vor dem Kriege durch beharrlichen Widerstand gegen das Drakonische Re- .
gicrnngssystem aus, nach welchem Miohat Pascha, damals Generalgouvemeur von
Bulgarien, schaltete und waltete. Seine Angriffe in der Presse kosteten ihn beinahe
das Leben, und 1367 mußte er aus Sistowa flüchten. Später gründete er die
Zeitung "Maritza" in Philippopel, und zuletzt lebte er als Bankier und Kaufmann
in Wien. Dr. Athanasewitsch, der neue Minister des öffentlichen Unterrichts, hatte
seine Erziehung in Frankreich erhalten und war dann Professor an der Universität
zu Bukarest gewesen. Dimitr Grekoff, der Minister der Justiz, war einer der her¬
vorragendsten Abgeordneten in der Nationalversammlung in Tirnowa gewesen und
hatte dort für gebührende Beachtung des Berliner Vertrags gewirkt. Als die Ver¬
sammlung sich eine Zeit lang geweigert, an die Arbeit zu gehen, bevor die Deputirten
Ostrnmeliens sich ihr angeschlossen, hatte er zur Mäßigung und zur Unterwerfung
unter den Willen Europas gerathen und durch seine Beredsamkeit zur Annahme
der Constitution und zur Beilegung einer Anzahl streitiger Fragen beigetragen.
Der Kriegsminister endlich, Generalmajor Parenzvff, war ein Russe. Er war einer
der ersten gewesen, die das Land für die beabsichtigte Campagne erforscht und Pläne
für diese entworfen hatten. Er besaß das volle Vertrauen des Großfürsten Nikolaus,
leitete deu Dvnauübergang bei Sistowa, focht vor Plewua mit und wurde bei dem
Treffen nur Passe von Orchauin verwundet.

Wie man aus vorstehendem sieht, waren alle Mitglieder des ersten Cabinets
des Fürsten Alexander mit einziger Ausnahme des Kriegsministers Bulgaren, gute
Patrioten und Leute von einer gewissen Bildung und Erfahrung. Sie hatten sich


Die bulgarische Krisis.

richtung bei. Diese Kirche hatte bis 1767 bestanden und bis dahin immer ihre
eingebornen Patriarchen und Bischöfe gehabt, war aber in jenem Jahre unter den
Einfluß der Griechen des Fauar gerathen, die fortan alle hohen geistlichen Stellen
mit Leuten aus ihren Kreisen besetzten und durchaus als Werkzeuge der Türken
handelten. Endlich, um das Jahr 1856, bildete sich eine Partei, welche das Volk
über dieses Verhältniß aufklärte, es zum Widerstände gegen die Fremden bewog
und ans diese Weise den alten Zustand wiederherstellte, indem 1876 ein Fernen
des Sultans die Unabhängigkeit der bulgarischen Kirche vom Patriarchat in Stambul
aussprach und eine getrennte Verwaltung anordnete, die man das Exarchcit von
Bulgarien nannte. Später gründete Balabanoff das Journal „Weck", in welchem
er mächtig zur Weckung und Belebung des nationalen Geistes und des Strebens
nach Unabhängigkeit von den Türken beitrug und so die Revolution vorbereiten
half, die endlich mit Hilfe der Russen zum Ziele führte. 1876 ging er mit Zankvff
als „Dclegat des bulgarischen Volkes" in verschiedne europäische Hauptstädte, wo
er die Blicke auf die traurigen Zustände in den Balkanländern zu lenken bemüht
war. Nach dem Kriege wurde er zum Gouverneur der Städte Sistowa und Tirnowa
ernannt, und während der Sitzungen der ersten Nationalversammlung trug er wesentlich
zu friedlicher Lösung verschiedner Fragen bei, welche zu ernsten Verwicklungen zu
führen drohten. Gregor Natschewitsch, der Finanzminister, zeichnete sich in den
Jahren vor dem Kriege durch beharrlichen Widerstand gegen das Drakonische Re- .
gicrnngssystem aus, nach welchem Miohat Pascha, damals Generalgouvemeur von
Bulgarien, schaltete und waltete. Seine Angriffe in der Presse kosteten ihn beinahe
das Leben, und 1367 mußte er aus Sistowa flüchten. Später gründete er die
Zeitung „Maritza" in Philippopel, und zuletzt lebte er als Bankier und Kaufmann
in Wien. Dr. Athanasewitsch, der neue Minister des öffentlichen Unterrichts, hatte
seine Erziehung in Frankreich erhalten und war dann Professor an der Universität
zu Bukarest gewesen. Dimitr Grekoff, der Minister der Justiz, war einer der her¬
vorragendsten Abgeordneten in der Nationalversammlung in Tirnowa gewesen und
hatte dort für gebührende Beachtung des Berliner Vertrags gewirkt. Als die Ver¬
sammlung sich eine Zeit lang geweigert, an die Arbeit zu gehen, bevor die Deputirten
Ostrnmeliens sich ihr angeschlossen, hatte er zur Mäßigung und zur Unterwerfung
unter den Willen Europas gerathen und durch seine Beredsamkeit zur Annahme
der Constitution und zur Beilegung einer Anzahl streitiger Fragen beigetragen.
Der Kriegsminister endlich, Generalmajor Parenzvff, war ein Russe. Er war einer
der ersten gewesen, die das Land für die beabsichtigte Campagne erforscht und Pläne
für diese entworfen hatten. Er besaß das volle Vertrauen des Großfürsten Nikolaus,
leitete deu Dvnauübergang bei Sistowa, focht vor Plewua mit und wurde bei dem
Treffen nur Passe von Orchauin verwundet.

Wie man aus vorstehendem sieht, waren alle Mitglieder des ersten Cabinets
des Fürsten Alexander mit einziger Ausnahme des Kriegsministers Bulgaren, gute
Patrioten und Leute von einer gewissen Bildung und Erfahrung. Sie hatten sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/534>, abgerufen am 25.08.2024.