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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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LanchsKdt.

Zwanzig Jahr in Constantin-
opel ich gelvcsen bin,
Allwo ich mit de>: Janttsch-
aren saß auf einer Pritsch'.

Da hieß es dann weiter:


Einen guten Freund aus Lauch-
stiidt hab' ich getroffen auch,
Welcher war beim Consul Dol-
metscher und befand sich wol.

So ist es, lieber Leser. Aus unsern heutigen Commersbüchern ist das Lied
freilich, wie so viele, an denen frühere Generationen sich erheitert, ausgemerzt --
aus traurigem Unverstand. Denn durch diese beiden Zeilen allein, so albern sie
klingen, huscht ein Schatten von einem der glänzendsten Bilder des deutscheu
Geisteslebens, wenn man sie recht zu lesen versteht. Nicht daß die Wiege des
"guten Freundes" in Lauchstädt gestanden hätte, wohl aber war das Band der
Freundschaft in Lauchstädt geknüpft worden, und es war eine fidele Studentcn-
frcundschaft, und der das wunderliche Lied zuerst gesungen, war gewiß ein lustiger
Student von Halle, und so werden wir mit einem Schlage um achtzig Jahre
zurückversetzt in jene kurze, schöne Spanne Zeit, wo die Blüthe des kleinen Lauch-
städter Bades mit der Blüthe des weimarischen Theaters und der hallischen
Universität zusammenfiel, wo allsommerlich eine cmserlesne, fröhliche und geistig
angeregte Gesellschaft von Weimar, Halle, Merseburg und Leipzig sich in Lauch¬
städt zusammenfand und wo an schönen Svmmersvnntagcn die hallische Stu¬
dentenschaft in hellen Haufen nach Lauchstädt zog, um in das bunte Treiben
der frohen Badegesellschaft sich zu mischen. ?smxi xg.8Wti!

Von Merseburg aus gelangt man zu Fuße in zwei Morgenstunden auf
ebner, staubiger Landstraße zwischen Rüben- und Getreidefeldern über Knapdorf
und Wiendorf nach Lauchstädt"). In fünf Minuten hat man die erträglich gepfla¬
sterte, saubere, aber stille und menschenleere Gasse, die in ihrem letzten Theile
sich marktplatzartig erweitert, durchschritten, hat mit Kopfschütteln die lockenden
Schilder der Gasthäuser gezählt, deren Wirthe wohl in vergangnen bessern Zeiten
hier ihre Rechnung fanden, heute aber vor langer Weile wohl manchmal selber
zu einander zu Gaste gehen möchten, biegt nun links von dem Kirchlein in
einen kleinen parkartigen Bezirk ein, mit einem Teiche, prachtvollen alten Linden
und Kastanien, fünf oder sechs Häusern und Häuschen in nüchternem Zopfstil,
und steht nach abermals fünf Minuten, wehmüthig lächelnd, wieder am Felde,



") "1 mal Kgl. Post nach dein II Kik. entfernte" Schwefclbade Lauchstädt" -- mit dieser
kahlen Zeile ist das Städtchen in Baedekers "Mittel- und Norddeuisrhlaud" (Is. Aufl. 1880)
jetzt abgethan.
LanchsKdt.

Zwanzig Jahr in Constantin-
opel ich gelvcsen bin,
Allwo ich mit de>: Janttsch-
aren saß auf einer Pritsch'.

Da hieß es dann weiter:


Einen guten Freund aus Lauch-
stiidt hab' ich getroffen auch,
Welcher war beim Consul Dol-
metscher und befand sich wol.

So ist es, lieber Leser. Aus unsern heutigen Commersbüchern ist das Lied
freilich, wie so viele, an denen frühere Generationen sich erheitert, ausgemerzt —
aus traurigem Unverstand. Denn durch diese beiden Zeilen allein, so albern sie
klingen, huscht ein Schatten von einem der glänzendsten Bilder des deutscheu
Geisteslebens, wenn man sie recht zu lesen versteht. Nicht daß die Wiege des
„guten Freundes" in Lauchstädt gestanden hätte, wohl aber war das Band der
Freundschaft in Lauchstädt geknüpft worden, und es war eine fidele Studentcn-
frcundschaft, und der das wunderliche Lied zuerst gesungen, war gewiß ein lustiger
Student von Halle, und so werden wir mit einem Schlage um achtzig Jahre
zurückversetzt in jene kurze, schöne Spanne Zeit, wo die Blüthe des kleinen Lauch-
städter Bades mit der Blüthe des weimarischen Theaters und der hallischen
Universität zusammenfiel, wo allsommerlich eine cmserlesne, fröhliche und geistig
angeregte Gesellschaft von Weimar, Halle, Merseburg und Leipzig sich in Lauch¬
städt zusammenfand und wo an schönen Svmmersvnntagcn die hallische Stu¬
dentenschaft in hellen Haufen nach Lauchstädt zog, um in das bunte Treiben
der frohen Badegesellschaft sich zu mischen. ?smxi xg.8Wti!

Von Merseburg aus gelangt man zu Fuße in zwei Morgenstunden auf
ebner, staubiger Landstraße zwischen Rüben- und Getreidefeldern über Knapdorf
und Wiendorf nach Lauchstädt"). In fünf Minuten hat man die erträglich gepfla¬
sterte, saubere, aber stille und menschenleere Gasse, die in ihrem letzten Theile
sich marktplatzartig erweitert, durchschritten, hat mit Kopfschütteln die lockenden
Schilder der Gasthäuser gezählt, deren Wirthe wohl in vergangnen bessern Zeiten
hier ihre Rechnung fanden, heute aber vor langer Weile wohl manchmal selber
zu einander zu Gaste gehen möchten, biegt nun links von dem Kirchlein in
einen kleinen parkartigen Bezirk ein, mit einem Teiche, prachtvollen alten Linden
und Kastanien, fünf oder sechs Häusern und Häuschen in nüchternem Zopfstil,
und steht nach abermals fünf Minuten, wehmüthig lächelnd, wieder am Felde,



») „1 mal Kgl. Post nach dein II Kik. entfernte» Schwefclbade Lauchstädt" — mit dieser
kahlen Zeile ist das Städtchen in Baedekers „Mittel- und Norddeuisrhlaud" (Is. Aufl. 1880)
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/490>, abgerufen am 23.07.2024.