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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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leichten Brise, und nur werden bald das Land aus dem Gesichte verlieren. Aber
was bedeutet diese Plötzliche Trübung und jene dunkle Wolke, die am westlichen
Horizont aufsteigt? Horch, hört ihr nicht fernen Donner? Seht ihr nicht jene
flammenden Blitze? Ein Gewitter kommt! Alle Maun an ihre" Platz! Wie die
Wellen sich heben und gegen das Schiff schlagen! Die Luft ist verfinstert, der
Sturm wüthet, unsre Masten sind fort -- das Schiff liegt ans der Seite --
was nun?" -- "Das große Boot -- macht das große Boot los!" schrieen seine
aufgeregten Zuhörer.

Ein sehr erheblicher Theil seines Einflusses ging ohne Zweifel vom Stoffe
seiner Reden ans. Er vermied alle abstracten Betrachtungen, alle dialektischen
Weitschweifigkeiten, alles, was den Verstand zu Einwendungen veranlassen konnte.
Das Fundament seines Bortrags bestand aus lauter zuversichtlichen, ihm unwider¬
legbaren Behauptungen. Die gänzliche Verderbtheit der menschlichen Natur, die
ewige Pein, die den Unbekehrten erwartet, die freie Erlösung dnrch Christus, die
drohende Nähe des Todes, das Erforderniß einer übernatürlichen Wandlung des
Charakters und der Gefühle -- das waren die Gegenstände, über die er sich
immer und immer wieder verbreitete, und man begreift, daß solche damals neue
Themata, von einen: großen Redner eindringlich erörtert, ganz anders auf das
Volk wirken mußten als Abhandlungen über die Pflichten des Menschen oder
über das Ansehen der Offenbarung.

Auch John Wcsleh war in seiner Weise ein eifriger und erfolgreicher Prediger.
Während der größern Hälfte seines Lebens hielt er etwa 800 Vortrüge im Jahre,
in fünfzig Jahren also 40 000. Aber die Art, wie er sprach, glich der White-
fieldschen in keiner Beziehung. Sein Stil war einfach, sauber, im Gesprächstonc
gehalten, besonders aber dadurch ausgezeichnet, daß alle Ncbenerwägnngen dem
einen Zwecke untergeordnet waren, den Zuhörern seine Lehre einzuprägen. "Er
besaß," sagt Lecky, "im höchsten Grade jenen gehaltnen und mit Gründen operircnden
Fanatismus, der einer der mächtigsten Hebel für die Leidenschafte" der Menschen
ist." Ein großer Denker war er nicht. Sein Geist hatte wenig Originalität und
speculative Kraft. Aber während er Lehrsätze von wildester Überspanntheit vor¬
trug, sich selbst als buchstäblich inspirirt gerirte und seine Zuhörer als beständig
von Wundern umringte darstellte, waren seine Manieren und seine Sprache immer
die eines Gelehrten und eines vornehmen Mannes, ruhig, besonnen und voll
Selbstbeherrschung. Größer als seine Rcdegewalt waren sein Organisationstalent
und seine administrative Befähigung. Es giebt wohl keine schwierigere Aufgabe
als die ihm gestellte: halb gebildete Menschen, die im Rausche der wildesten
religiöse" Schwärmerei lebten, die alle vom heiligen Geiste erfüllt zu sein meinten,
und die an Vorstellungen festhielten, welche hart an den Abgrund des Amel-


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leichten Brise, und nur werden bald das Land aus dem Gesichte verlieren. Aber
was bedeutet diese Plötzliche Trübung und jene dunkle Wolke, die am westlichen
Horizont aufsteigt? Horch, hört ihr nicht fernen Donner? Seht ihr nicht jene
flammenden Blitze? Ein Gewitter kommt! Alle Maun an ihre» Platz! Wie die
Wellen sich heben und gegen das Schiff schlagen! Die Luft ist verfinstert, der
Sturm wüthet, unsre Masten sind fort — das Schiff liegt ans der Seite —
was nun?" — „Das große Boot — macht das große Boot los!" schrieen seine
aufgeregten Zuhörer.

Ein sehr erheblicher Theil seines Einflusses ging ohne Zweifel vom Stoffe
seiner Reden ans. Er vermied alle abstracten Betrachtungen, alle dialektischen
Weitschweifigkeiten, alles, was den Verstand zu Einwendungen veranlassen konnte.
Das Fundament seines Bortrags bestand aus lauter zuversichtlichen, ihm unwider¬
legbaren Behauptungen. Die gänzliche Verderbtheit der menschlichen Natur, die
ewige Pein, die den Unbekehrten erwartet, die freie Erlösung dnrch Christus, die
drohende Nähe des Todes, das Erforderniß einer übernatürlichen Wandlung des
Charakters und der Gefühle — das waren die Gegenstände, über die er sich
immer und immer wieder verbreitete, und man begreift, daß solche damals neue
Themata, von einen: großen Redner eindringlich erörtert, ganz anders auf das
Volk wirken mußten als Abhandlungen über die Pflichten des Menschen oder
über das Ansehen der Offenbarung.

Auch John Wcsleh war in seiner Weise ein eifriger und erfolgreicher Prediger.
Während der größern Hälfte seines Lebens hielt er etwa 800 Vortrüge im Jahre,
in fünfzig Jahren also 40 000. Aber die Art, wie er sprach, glich der White-
fieldschen in keiner Beziehung. Sein Stil war einfach, sauber, im Gesprächstonc
gehalten, besonders aber dadurch ausgezeichnet, daß alle Ncbenerwägnngen dem
einen Zwecke untergeordnet waren, den Zuhörern seine Lehre einzuprägen. „Er
besaß," sagt Lecky, „im höchsten Grade jenen gehaltnen und mit Gründen operircnden
Fanatismus, der einer der mächtigsten Hebel für die Leidenschafte» der Menschen
ist." Ein großer Denker war er nicht. Sein Geist hatte wenig Originalität und
speculative Kraft. Aber während er Lehrsätze von wildester Überspanntheit vor¬
trug, sich selbst als buchstäblich inspirirt gerirte und seine Zuhörer als beständig
von Wundern umringte darstellte, waren seine Manieren und seine Sprache immer
die eines Gelehrten und eines vornehmen Mannes, ruhig, besonnen und voll
Selbstbeherrschung. Größer als seine Rcdegewalt waren sein Organisationstalent
und seine administrative Befähigung. Es giebt wohl keine schwierigere Aufgabe
als die ihm gestellte: halb gebildete Menschen, die im Rausche der wildesten
religiöse» Schwärmerei lebten, die alle vom heiligen Geiste erfüllt zu sein meinten,
und die an Vorstellungen festhielten, welche hart an den Abgrund des Amel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/49>, abgerufen am 01.07.2024.