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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Paul Heyse.

der besten Möglichkeiten verloren geht, das Leben in seinem Sinne darzustellen,
Handlungen und Charaktere lebendig und viel unmittelbarer als durch das Buch
wirken zu lassen, daß diese Möglichkeit gelegentlich einer Concession werth sei,
hat Heyse bei einem Theil seines dramatischen Schaffens geleitet. Dnß ihm dafür
geringer Dank geworden, liegt in der Natur der Dinge. Denn die Herabstim¬
mung zur reinen Mache ohne den Schatten einer poetischen Intention ist einer¬
seits seinem Talent versagt, und andrerseits nimmt die Bühne mit erstaunlicher
Sicherheit die Miene an, jeden Tag den neuen Shakespeare oder, um besser im
Stile der Zeit zu bleiben, den "dramatischen Bismarck" zu erwarten. Da Heyse
keine Effcetwaare der untersten Sorte zu bieten hatte, erhielt er natürlich nach¬
gewiesen, daß er der in Frage stehende Shakespeare nicht sei. Mit der ästhe¬
tischen Würdigung des dramatischen Talents des Dichters und mit der Erkenntniß
seiner wirklichen Mängel hat dieser Nachweis nichts zu thun; er wird gleichermaßen
gegen Dichter geführt, die specifische Dramatiker waren. Aber er erweist jedenfalls,
daß es Verlorne Liebesmühe gewesen ist, wenn der Dichter auch nur eine einzige
dramatische Aufgabe anders als mit dein künstlerischen Drange, der dein Wesen
des Stoffes gerecht werden und sich selbst genug thun will, ausgestaltet oder bei
der Stoffwahl jenen Wünschen der Bühne Rechnung getragen hat, die in ihrer
Unsicherheit meist auf Wünsche einzelner Darsteller hinauslaufen.

Aber ob das nun geschehen sei oder nicht und wie immer es geschehen sei,
auch die Kritik, der es um unabhängige Würdigung von Heyscs gelungner Dramen
zu thun ist, hat zuzugeben, daß die Eigenart dieses Dichters ein rasches Zu¬
greifen nach den verschiedensten dramatischen Stoffen schon um deswillen nicht
gestattet, weil der Dichter an der bloßen Action an sich offenbar nur eine mäßige
Freude hat. Es giebt Talente, denen es genügt, daß es bunt und bewegt auf
der Scene zugehe und daß sich die Leidenschaft, gleichviel welche Leidenschaft, oder
auch nur der Schein der Leidenschaft, in Spiel und Gegenspiel unablässig steigere.
Bei Heyse bleibt immer erforderlich, daß er an dieser Bewegung und Steigerung
einen tiefern Antheil nimmt, und mit dem Schein der Leidenschaft weiß er nun
gar nichts anzufangen. Brandes in der mehrerwähnten Studie hat so ganz
Unrecht nicht, wenn er sagt, Heyse verstehe das Pathetische erst mit voller Origi¬
nalität zu behandeln, wenn das Pathetische halb pathologisch sei. Wenn er aber
dann hinzufügt: "Das eigentlich dramatische Pathos aus voller Brust wird bei
ihm leicht unkünstlerisch-national, patriotisch und ein bischen alltäglich. Hierzu
kommt, daß die Darstellung der eigentlich männlichen Action nicht seine Sache
ist. In wie hohem Grade er mich in seiner Poesie über die passiven Eigen¬
schaften des Männlichen, wie Würde, Ernst, Ruhe, UnVerzagtheit gebietet, so
fehlt doch ihm, wie Goethe, ganz das active Moment", so ist dagegen wenigstens


Paul Heyse.

der besten Möglichkeiten verloren geht, das Leben in seinem Sinne darzustellen,
Handlungen und Charaktere lebendig und viel unmittelbarer als durch das Buch
wirken zu lassen, daß diese Möglichkeit gelegentlich einer Concession werth sei,
hat Heyse bei einem Theil seines dramatischen Schaffens geleitet. Dnß ihm dafür
geringer Dank geworden, liegt in der Natur der Dinge. Denn die Herabstim¬
mung zur reinen Mache ohne den Schatten einer poetischen Intention ist einer¬
seits seinem Talent versagt, und andrerseits nimmt die Bühne mit erstaunlicher
Sicherheit die Miene an, jeden Tag den neuen Shakespeare oder, um besser im
Stile der Zeit zu bleiben, den „dramatischen Bismarck" zu erwarten. Da Heyse
keine Effcetwaare der untersten Sorte zu bieten hatte, erhielt er natürlich nach¬
gewiesen, daß er der in Frage stehende Shakespeare nicht sei. Mit der ästhe¬
tischen Würdigung des dramatischen Talents des Dichters und mit der Erkenntniß
seiner wirklichen Mängel hat dieser Nachweis nichts zu thun; er wird gleichermaßen
gegen Dichter geführt, die specifische Dramatiker waren. Aber er erweist jedenfalls,
daß es Verlorne Liebesmühe gewesen ist, wenn der Dichter auch nur eine einzige
dramatische Aufgabe anders als mit dein künstlerischen Drange, der dein Wesen
des Stoffes gerecht werden und sich selbst genug thun will, ausgestaltet oder bei
der Stoffwahl jenen Wünschen der Bühne Rechnung getragen hat, die in ihrer
Unsicherheit meist auf Wünsche einzelner Darsteller hinauslaufen.

Aber ob das nun geschehen sei oder nicht und wie immer es geschehen sei,
auch die Kritik, der es um unabhängige Würdigung von Heyscs gelungner Dramen
zu thun ist, hat zuzugeben, daß die Eigenart dieses Dichters ein rasches Zu¬
greifen nach den verschiedensten dramatischen Stoffen schon um deswillen nicht
gestattet, weil der Dichter an der bloßen Action an sich offenbar nur eine mäßige
Freude hat. Es giebt Talente, denen es genügt, daß es bunt und bewegt auf
der Scene zugehe und daß sich die Leidenschaft, gleichviel welche Leidenschaft, oder
auch nur der Schein der Leidenschaft, in Spiel und Gegenspiel unablässig steigere.
Bei Heyse bleibt immer erforderlich, daß er an dieser Bewegung und Steigerung
einen tiefern Antheil nimmt, und mit dem Schein der Leidenschaft weiß er nun
gar nichts anzufangen. Brandes in der mehrerwähnten Studie hat so ganz
Unrecht nicht, wenn er sagt, Heyse verstehe das Pathetische erst mit voller Origi¬
nalität zu behandeln, wenn das Pathetische halb pathologisch sei. Wenn er aber
dann hinzufügt: „Das eigentlich dramatische Pathos aus voller Brust wird bei
ihm leicht unkünstlerisch-national, patriotisch und ein bischen alltäglich. Hierzu
kommt, daß die Darstellung der eigentlich männlichen Action nicht seine Sache
ist. In wie hohem Grade er mich in seiner Poesie über die passiven Eigen¬
schaften des Männlichen, wie Würde, Ernst, Ruhe, UnVerzagtheit gebietet, so
fehlt doch ihm, wie Goethe, ganz das active Moment", so ist dagegen wenigstens


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[0484] Paul Heyse. der besten Möglichkeiten verloren geht, das Leben in seinem Sinne darzustellen, Handlungen und Charaktere lebendig und viel unmittelbarer als durch das Buch wirken zu lassen, daß diese Möglichkeit gelegentlich einer Concession werth sei, hat Heyse bei einem Theil seines dramatischen Schaffens geleitet. Dnß ihm dafür geringer Dank geworden, liegt in der Natur der Dinge. Denn die Herabstim¬ mung zur reinen Mache ohne den Schatten einer poetischen Intention ist einer¬ seits seinem Talent versagt, und andrerseits nimmt die Bühne mit erstaunlicher Sicherheit die Miene an, jeden Tag den neuen Shakespeare oder, um besser im Stile der Zeit zu bleiben, den „dramatischen Bismarck" zu erwarten. Da Heyse keine Effcetwaare der untersten Sorte zu bieten hatte, erhielt er natürlich nach¬ gewiesen, daß er der in Frage stehende Shakespeare nicht sei. Mit der ästhe¬ tischen Würdigung des dramatischen Talents des Dichters und mit der Erkenntniß seiner wirklichen Mängel hat dieser Nachweis nichts zu thun; er wird gleichermaßen gegen Dichter geführt, die specifische Dramatiker waren. Aber er erweist jedenfalls, daß es Verlorne Liebesmühe gewesen ist, wenn der Dichter auch nur eine einzige dramatische Aufgabe anders als mit dein künstlerischen Drange, der dein Wesen des Stoffes gerecht werden und sich selbst genug thun will, ausgestaltet oder bei der Stoffwahl jenen Wünschen der Bühne Rechnung getragen hat, die in ihrer Unsicherheit meist auf Wünsche einzelner Darsteller hinauslaufen. Aber ob das nun geschehen sei oder nicht und wie immer es geschehen sei, auch die Kritik, der es um unabhängige Würdigung von Heyscs gelungner Dramen zu thun ist, hat zuzugeben, daß die Eigenart dieses Dichters ein rasches Zu¬ greifen nach den verschiedensten dramatischen Stoffen schon um deswillen nicht gestattet, weil der Dichter an der bloßen Action an sich offenbar nur eine mäßige Freude hat. Es giebt Talente, denen es genügt, daß es bunt und bewegt auf der Scene zugehe und daß sich die Leidenschaft, gleichviel welche Leidenschaft, oder auch nur der Schein der Leidenschaft, in Spiel und Gegenspiel unablässig steigere. Bei Heyse bleibt immer erforderlich, daß er an dieser Bewegung und Steigerung einen tiefern Antheil nimmt, und mit dem Schein der Leidenschaft weiß er nun gar nichts anzufangen. Brandes in der mehrerwähnten Studie hat so ganz Unrecht nicht, wenn er sagt, Heyse verstehe das Pathetische erst mit voller Origi¬ nalität zu behandeln, wenn das Pathetische halb pathologisch sei. Wenn er aber dann hinzufügt: „Das eigentlich dramatische Pathos aus voller Brust wird bei ihm leicht unkünstlerisch-national, patriotisch und ein bischen alltäglich. Hierzu kommt, daß die Darstellung der eigentlich männlichen Action nicht seine Sache ist. In wie hohem Grade er mich in seiner Poesie über die passiven Eigen¬ schaften des Männlichen, wie Würde, Ernst, Ruhe, UnVerzagtheit gebietet, so fehlt doch ihm, wie Goethe, ganz das active Moment", so ist dagegen wenigstens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/484>, abgerufen am 23.07.2024.