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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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eine geistig hochbegabte, fromme, originelle und etwas strenge Fran. Das Fa¬
milienleben war kein glückliches, von den Kindern starben mehrere frühzeitig, der
Vater versank zuletzt in Schulden; als John Wesleh sechs Jahre alt war,
brannte das Pfarrhaus nieder, wobei das Kind beinahe in den Flammen um¬
gekommen wäre und mir durch wunderbares Eingreifen der Vorsehung gerettet
wurde. Später nach Oxford geschickt, zeichnete sich der nun dreiundzwanzig-
jährige Jüngling bald dnrch die Stärke seiner Logik, durch rastlosen Fleiß und
vor allem durch die Energie seines Charakters ans. Als er sich auf seine Ordi-
nation vorbereitete, fühlte er sich lebhaft religiös erregt, indem ihn die ver¬
dammenden Sätze im Athanasischen Glaubensbekenntnisse und Zweifel über die
Vereinbarkeit der Artikel mit seinen eigenen arminianischen Ansichten beun¬
ruhigten. Großen Einfluß auf ihn hatte die "Nachfolge Christi" von Thomas
a Kempis. Sein Leben auf der Universität war überaus streng; er stand jeden
Morgen um 4 Uhr auf, er fastete so oft, daß es seiner Gesundheit schadete, er
ließ sich nicht frisiren, um das hierdurch ersparte Geld den Armen geben zu
können, er weigerte sich, die Besuche, die er erhielt, zu erwiedern, um so alle
unnütze Unterhaltung zu vermeiden. Neben ihm spielte in der Gesellschaft sein
Bruder Charles eine Rolle, eine sanfte, liebenswürdige und poetisch angehauchte
Natur und der spätere Lieblingsdichter der Methodisten. Ferner war da James
Herpes, ein großer Meister in schwülstiger Rhetorik, die für halbgebildete Geister
eine ungemeine Anziehungskraft hat, so daß seine "Meditationen" und sein
"Thervn und Aspasio" zu den populärsten Büchern des achtzehnten Jahrhunderts
gehörten. Endlich waltete hier George Whitefield, später der größte Kanzel¬
redner Englands. Derselbe war der Sohn eines Gastwirths in Gloucester,
welcher frühzeitig starb. Als Knabe zeichnete er sich abwechselnd durch tolle
Streiche und seltsame Ausbrüche religiösen Eifers aus. Er stahl seiner Mutter
Geld, um es den Armen zu geben. Schon früh äußerte er die Absicht, das
Evangelium zu predigen, aber er war der Schrecken der Dissenter-Geistlichen in der
Nachbarschaft, deren gottesdienstliche Functionen er lächerlich zu machen Pflegte.
Er schaffte sich Andachtsbücher an, las viel in der Bibel, war aber zugleich ein
leidenschaftlicher Liebhaber des Kartenspiels, der Romanlectüre und des Theaters,
ja er schrieb selbst Stücke und spielte weibliche Rollen. Da seine Mutter arm
war, kounte er nur als Famulus nach Oxford gehen. Hier entzündete sich an
der "Nachfolge Christi" und Laws Erbanungsschriften seine Frömmigkeit zur
Flamme, und aus einem Buche mit dem Titel: "Das Leben Gottes in der
Menschenseele" schöpfte er zuerst seine Ueberzeugung von jenem Dogma freier
Gnadenwahl, dessen Vortrug er sich später zur Lebensnnfgabe machte. Vorher
war seine religiöse Anschauung eine trübe und finstere. Er wählte stets die


eine geistig hochbegabte, fromme, originelle und etwas strenge Fran. Das Fa¬
milienleben war kein glückliches, von den Kindern starben mehrere frühzeitig, der
Vater versank zuletzt in Schulden; als John Wesleh sechs Jahre alt war,
brannte das Pfarrhaus nieder, wobei das Kind beinahe in den Flammen um¬
gekommen wäre und mir durch wunderbares Eingreifen der Vorsehung gerettet
wurde. Später nach Oxford geschickt, zeichnete sich der nun dreiundzwanzig-
jährige Jüngling bald dnrch die Stärke seiner Logik, durch rastlosen Fleiß und
vor allem durch die Energie seines Charakters ans. Als er sich auf seine Ordi-
nation vorbereitete, fühlte er sich lebhaft religiös erregt, indem ihn die ver¬
dammenden Sätze im Athanasischen Glaubensbekenntnisse und Zweifel über die
Vereinbarkeit der Artikel mit seinen eigenen arminianischen Ansichten beun¬
ruhigten. Großen Einfluß auf ihn hatte die „Nachfolge Christi" von Thomas
a Kempis. Sein Leben auf der Universität war überaus streng; er stand jeden
Morgen um 4 Uhr auf, er fastete so oft, daß es seiner Gesundheit schadete, er
ließ sich nicht frisiren, um das hierdurch ersparte Geld den Armen geben zu
können, er weigerte sich, die Besuche, die er erhielt, zu erwiedern, um so alle
unnütze Unterhaltung zu vermeiden. Neben ihm spielte in der Gesellschaft sein
Bruder Charles eine Rolle, eine sanfte, liebenswürdige und poetisch angehauchte
Natur und der spätere Lieblingsdichter der Methodisten. Ferner war da James
Herpes, ein großer Meister in schwülstiger Rhetorik, die für halbgebildete Geister
eine ungemeine Anziehungskraft hat, so daß seine „Meditationen" und sein
„Thervn und Aspasio" zu den populärsten Büchern des achtzehnten Jahrhunderts
gehörten. Endlich waltete hier George Whitefield, später der größte Kanzel¬
redner Englands. Derselbe war der Sohn eines Gastwirths in Gloucester,
welcher frühzeitig starb. Als Knabe zeichnete er sich abwechselnd durch tolle
Streiche und seltsame Ausbrüche religiösen Eifers aus. Er stahl seiner Mutter
Geld, um es den Armen zu geben. Schon früh äußerte er die Absicht, das
Evangelium zu predigen, aber er war der Schrecken der Dissenter-Geistlichen in der
Nachbarschaft, deren gottesdienstliche Functionen er lächerlich zu machen Pflegte.
Er schaffte sich Andachtsbücher an, las viel in der Bibel, war aber zugleich ein
leidenschaftlicher Liebhaber des Kartenspiels, der Romanlectüre und des Theaters,
ja er schrieb selbst Stücke und spielte weibliche Rollen. Da seine Mutter arm
war, kounte er nur als Famulus nach Oxford gehen. Hier entzündete sich an
der „Nachfolge Christi" und Laws Erbanungsschriften seine Frömmigkeit zur
Flamme, und aus einem Buche mit dem Titel: „Das Leben Gottes in der
Menschenseele" schöpfte er zuerst seine Ueberzeugung von jenem Dogma freier
Gnadenwahl, dessen Vortrug er sich später zur Lebensnnfgabe machte. Vorher
war seine religiöse Anschauung eine trübe und finstere. Er wählte stets die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/41>, abgerufen am 25.08.2024.