Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Düsseldorfer Schule.

Schüler im eigentlichen Sinne hat Lessing niemals herangebildet, er hat
eben nur durch sein Beispiel gewirkt. Emanuel Leutze, der Deutsch-Amerikaner,
ist vielleicht der einzige Maler gewesen, der in so enge Beziehungen zu ihm trat,
daß man etwa von einem Lchrverhältnisse sprechen könnte. Und dieser Künstler
war zugleich der einzige unter den Düsseldorfer Historienmalern, welcher von der
Natur mit einer so lebhaften, so glänzenden Phantasie begabt war, daß er dramatische
Aufgaben im Sinne Lessings zu lösen vermochte. Wenn er sich nur auch an
der Gewissenhaftigkeit und Sorgsamkeit Lessings ein Beispiel genommen Hütte!
Aber die Leichtigkeit des Schaffens verleitete ihn zu einer überhasteten Production,
die schließlich amerikanische Dimensionen annahm. Lessings künstlerischer Nachlaß
hat uns ein wahrhaft rührendes Bild von dem eisernen Fleiß entworfen, mit
welchem er seiner spröden Natur zu Hilfe kam. Wir habe" da sehen können,
wie sich die ersten Gedanken zunächst zum Carton eonsolidirten, wie dann jede
Figur in der Bewegung, in der Position, welche sie später im Gemälde einnehmen
sollte, aufs sorgfältigste mit schwarzer und weißer Kreide auf blaues Papier ge¬
zeichnet und nach solchen gründlichen Vorstudien erst an die Ausführung in Oel
gegangen wurde. Mau wird deshalb auf einem Lessingschen Bilde niemals einer
Flüchtigkeit, einem Verstoß gegen Zeichnung und Formgebung begegnen. Diese
fast pedantische, aber nicht hoch genug zu schützende Gründlichkeit war überhaupt
ein Hauptcharakterzug der ältern Düsseldorfer Schule. So hat z. B. auch der
Nachlaß Theodor Hildebraudts gezeigt, mit welcher Gelvissenhnftigkeit der Künstler
zu Werke ging, wie er die Figuren seiner historischen Gemälde in der beab¬
sichtigten Stellung, ganz wie es Naffael gethan hatte, erst nackt nach der Natur
malte, um sich die Bewegungsmotive nnr recht klar zu machen. Leutzes Schnell-
mnlcrei erlaubte keine so langwierigen Experimente. Sein glänzendes, kräftig
leuchtendes Colorit verleitete ihn, die Wirkung seiner Gemälde allein in der
malerischen Ausführung zu suchen, und so legte er auf die Zeichnung ein ge¬
ringeres Gewicht. Die kühne Conception und das dramatische Feuer seiner Kompo¬
sitionen sicherte ihnen ohnehin den Erfolg, der übrigens bei seinen amerikanischen
Landsleuten schon durch die Wahl der Stoffe im Voraus bedingt wurde. Leutze
hatte den unschätzbaren Vortheil, sich für seine Historiengemälde ein noch ganz
jungfräuliches Gebiet der Geschichte erschließen zu dürfen. Der nordamerikanische
Freiheitskampf fand durch ihn zuerst eine künstlerische Verherrlichung, und der
Enthusiasmus, mit welchem er seine Aufgabe erfaßte und durchführte, fand einen
so lebhaften Widerhall, daß man die etwas deeorative Behandlung seiner großen
Gemälde über dem blendenden Effecte des ersten Eindrucks übersah. "Washingtons
Uebergang über den Delaware," das bedeutendste seiner Bilder ans der amerikanischen
Geschichte, ist in Deutschland geblieben? erst eine Wiederholung ging "ach Amerika.


Die Düsseldorfer Schule.

Schüler im eigentlichen Sinne hat Lessing niemals herangebildet, er hat
eben nur durch sein Beispiel gewirkt. Emanuel Leutze, der Deutsch-Amerikaner,
ist vielleicht der einzige Maler gewesen, der in so enge Beziehungen zu ihm trat,
daß man etwa von einem Lchrverhältnisse sprechen könnte. Und dieser Künstler
war zugleich der einzige unter den Düsseldorfer Historienmalern, welcher von der
Natur mit einer so lebhaften, so glänzenden Phantasie begabt war, daß er dramatische
Aufgaben im Sinne Lessings zu lösen vermochte. Wenn er sich nur auch an
der Gewissenhaftigkeit und Sorgsamkeit Lessings ein Beispiel genommen Hütte!
Aber die Leichtigkeit des Schaffens verleitete ihn zu einer überhasteten Production,
die schließlich amerikanische Dimensionen annahm. Lessings künstlerischer Nachlaß
hat uns ein wahrhaft rührendes Bild von dem eisernen Fleiß entworfen, mit
welchem er seiner spröden Natur zu Hilfe kam. Wir habe» da sehen können,
wie sich die ersten Gedanken zunächst zum Carton eonsolidirten, wie dann jede
Figur in der Bewegung, in der Position, welche sie später im Gemälde einnehmen
sollte, aufs sorgfältigste mit schwarzer und weißer Kreide auf blaues Papier ge¬
zeichnet und nach solchen gründlichen Vorstudien erst an die Ausführung in Oel
gegangen wurde. Mau wird deshalb auf einem Lessingschen Bilde niemals einer
Flüchtigkeit, einem Verstoß gegen Zeichnung und Formgebung begegnen. Diese
fast pedantische, aber nicht hoch genug zu schützende Gründlichkeit war überhaupt
ein Hauptcharakterzug der ältern Düsseldorfer Schule. So hat z. B. auch der
Nachlaß Theodor Hildebraudts gezeigt, mit welcher Gelvissenhnftigkeit der Künstler
zu Werke ging, wie er die Figuren seiner historischen Gemälde in der beab¬
sichtigten Stellung, ganz wie es Naffael gethan hatte, erst nackt nach der Natur
malte, um sich die Bewegungsmotive nnr recht klar zu machen. Leutzes Schnell-
mnlcrei erlaubte keine so langwierigen Experimente. Sein glänzendes, kräftig
leuchtendes Colorit verleitete ihn, die Wirkung seiner Gemälde allein in der
malerischen Ausführung zu suchen, und so legte er auf die Zeichnung ein ge¬
ringeres Gewicht. Die kühne Conception und das dramatische Feuer seiner Kompo¬
sitionen sicherte ihnen ohnehin den Erfolg, der übrigens bei seinen amerikanischen
Landsleuten schon durch die Wahl der Stoffe im Voraus bedingt wurde. Leutze
hatte den unschätzbaren Vortheil, sich für seine Historiengemälde ein noch ganz
jungfräuliches Gebiet der Geschichte erschließen zu dürfen. Der nordamerikanische
Freiheitskampf fand durch ihn zuerst eine künstlerische Verherrlichung, und der
Enthusiasmus, mit welchem er seine Aufgabe erfaßte und durchführte, fand einen
so lebhaften Widerhall, daß man die etwas deeorative Behandlung seiner großen
Gemälde über dem blendenden Effecte des ersten Eindrucks übersah. „Washingtons
Uebergang über den Delaware," das bedeutendste seiner Bilder ans der amerikanischen
Geschichte, ist in Deutschland geblieben? erst eine Wiederholung ging »ach Amerika.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0036" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149608"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Düsseldorfer Schule.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_85" next="#ID_86"> Schüler im eigentlichen Sinne hat Lessing niemals herangebildet, er hat<lb/>
eben nur durch sein Beispiel gewirkt. Emanuel Leutze, der Deutsch-Amerikaner,<lb/>
ist vielleicht der einzige Maler gewesen, der in so enge Beziehungen zu ihm trat,<lb/>
daß man etwa von einem Lchrverhältnisse sprechen könnte. Und dieser Künstler<lb/>
war zugleich der einzige unter den Düsseldorfer Historienmalern, welcher von der<lb/>
Natur mit einer so lebhaften, so glänzenden Phantasie begabt war, daß er dramatische<lb/>
Aufgaben im Sinne Lessings zu lösen vermochte. Wenn er sich nur auch an<lb/>
der Gewissenhaftigkeit und Sorgsamkeit Lessings ein Beispiel genommen Hütte!<lb/>
Aber die Leichtigkeit des Schaffens verleitete ihn zu einer überhasteten Production,<lb/>
die schließlich amerikanische Dimensionen annahm. Lessings künstlerischer Nachlaß<lb/>
hat uns ein wahrhaft rührendes Bild von dem eisernen Fleiß entworfen, mit<lb/>
welchem er seiner spröden Natur zu Hilfe kam. Wir habe» da sehen können,<lb/>
wie sich die ersten Gedanken zunächst zum Carton eonsolidirten, wie dann jede<lb/>
Figur in der Bewegung, in der Position, welche sie später im Gemälde einnehmen<lb/>
sollte, aufs sorgfältigste mit schwarzer und weißer Kreide auf blaues Papier ge¬<lb/>
zeichnet und nach solchen gründlichen Vorstudien erst an die Ausführung in Oel<lb/>
gegangen wurde. Mau wird deshalb auf einem Lessingschen Bilde niemals einer<lb/>
Flüchtigkeit, einem Verstoß gegen Zeichnung und Formgebung begegnen. Diese<lb/>
fast pedantische, aber nicht hoch genug zu schützende Gründlichkeit war überhaupt<lb/>
ein Hauptcharakterzug der ältern Düsseldorfer Schule. So hat z. B. auch der<lb/>
Nachlaß Theodor Hildebraudts gezeigt, mit welcher Gelvissenhnftigkeit der Künstler<lb/>
zu Werke ging, wie er die Figuren seiner historischen Gemälde in der beab¬<lb/>
sichtigten Stellung, ganz wie es Naffael gethan hatte, erst nackt nach der Natur<lb/>
malte, um sich die Bewegungsmotive nnr recht klar zu machen. Leutzes Schnell-<lb/>
mnlcrei erlaubte keine so langwierigen Experimente. Sein glänzendes, kräftig<lb/>
leuchtendes Colorit verleitete ihn, die Wirkung seiner Gemälde allein in der<lb/>
malerischen Ausführung zu suchen, und so legte er auf die Zeichnung ein ge¬<lb/>
ringeres Gewicht. Die kühne Conception und das dramatische Feuer seiner Kompo¬<lb/>
sitionen sicherte ihnen ohnehin den Erfolg, der übrigens bei seinen amerikanischen<lb/>
Landsleuten schon durch die Wahl der Stoffe im Voraus bedingt wurde. Leutze<lb/>
hatte den unschätzbaren Vortheil, sich für seine Historiengemälde ein noch ganz<lb/>
jungfräuliches Gebiet der Geschichte erschließen zu dürfen. Der nordamerikanische<lb/>
Freiheitskampf fand durch ihn zuerst eine künstlerische Verherrlichung, und der<lb/>
Enthusiasmus, mit welchem er seine Aufgabe erfaßte und durchführte, fand einen<lb/>
so lebhaften Widerhall, daß man die etwas deeorative Behandlung seiner großen<lb/>
Gemälde über dem blendenden Effecte des ersten Eindrucks übersah. &#x201E;Washingtons<lb/>
Uebergang über den Delaware," das bedeutendste seiner Bilder ans der amerikanischen<lb/>
Geschichte, ist in Deutschland geblieben? erst eine Wiederholung ging »ach Amerika.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0036] Die Düsseldorfer Schule. Schüler im eigentlichen Sinne hat Lessing niemals herangebildet, er hat eben nur durch sein Beispiel gewirkt. Emanuel Leutze, der Deutsch-Amerikaner, ist vielleicht der einzige Maler gewesen, der in so enge Beziehungen zu ihm trat, daß man etwa von einem Lchrverhältnisse sprechen könnte. Und dieser Künstler war zugleich der einzige unter den Düsseldorfer Historienmalern, welcher von der Natur mit einer so lebhaften, so glänzenden Phantasie begabt war, daß er dramatische Aufgaben im Sinne Lessings zu lösen vermochte. Wenn er sich nur auch an der Gewissenhaftigkeit und Sorgsamkeit Lessings ein Beispiel genommen Hütte! Aber die Leichtigkeit des Schaffens verleitete ihn zu einer überhasteten Production, die schließlich amerikanische Dimensionen annahm. Lessings künstlerischer Nachlaß hat uns ein wahrhaft rührendes Bild von dem eisernen Fleiß entworfen, mit welchem er seiner spröden Natur zu Hilfe kam. Wir habe» da sehen können, wie sich die ersten Gedanken zunächst zum Carton eonsolidirten, wie dann jede Figur in der Bewegung, in der Position, welche sie später im Gemälde einnehmen sollte, aufs sorgfältigste mit schwarzer und weißer Kreide auf blaues Papier ge¬ zeichnet und nach solchen gründlichen Vorstudien erst an die Ausführung in Oel gegangen wurde. Mau wird deshalb auf einem Lessingschen Bilde niemals einer Flüchtigkeit, einem Verstoß gegen Zeichnung und Formgebung begegnen. Diese fast pedantische, aber nicht hoch genug zu schützende Gründlichkeit war überhaupt ein Hauptcharakterzug der ältern Düsseldorfer Schule. So hat z. B. auch der Nachlaß Theodor Hildebraudts gezeigt, mit welcher Gelvissenhnftigkeit der Künstler zu Werke ging, wie er die Figuren seiner historischen Gemälde in der beab¬ sichtigten Stellung, ganz wie es Naffael gethan hatte, erst nackt nach der Natur malte, um sich die Bewegungsmotive nnr recht klar zu machen. Leutzes Schnell- mnlcrei erlaubte keine so langwierigen Experimente. Sein glänzendes, kräftig leuchtendes Colorit verleitete ihn, die Wirkung seiner Gemälde allein in der malerischen Ausführung zu suchen, und so legte er auf die Zeichnung ein ge¬ ringeres Gewicht. Die kühne Conception und das dramatische Feuer seiner Kompo¬ sitionen sicherte ihnen ohnehin den Erfolg, der übrigens bei seinen amerikanischen Landsleuten schon durch die Wahl der Stoffe im Voraus bedingt wurde. Leutze hatte den unschätzbaren Vortheil, sich für seine Historiengemälde ein noch ganz jungfräuliches Gebiet der Geschichte erschließen zu dürfen. Der nordamerikanische Freiheitskampf fand durch ihn zuerst eine künstlerische Verherrlichung, und der Enthusiasmus, mit welchem er seine Aufgabe erfaßte und durchführte, fand einen so lebhaften Widerhall, daß man die etwas deeorative Behandlung seiner großen Gemälde über dem blendenden Effecte des ersten Eindrucks übersah. „Washingtons Uebergang über den Delaware," das bedeutendste seiner Bilder ans der amerikanischen Geschichte, ist in Deutschland geblieben? erst eine Wiederholung ging »ach Amerika.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/36
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/36>, abgerufen am 23.07.2024.