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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Fürst Bismcirck und Berlin.

agitirt haben, so wissen wir, daß sie wiederholt bei Wahlen mit einander ge¬
gangen sind.

Man leugnet die Berechtigung des Kanzlers, sich als Anwalt des kleinen
Mannes, des Armen, zu betrachten. Er ist aber mit dem Unfallversichcrnngs-
gesetze und in Betreff der Abschätzung der Berliner bei der Miethsteuer ganz
entschieden in dieser Eigenschaft aufgetreten und von allen Unbefangnen als Ver¬
treter der Billigkeit in Bezug auf jene Klasse der Bevölkerung erkannt wurden,
gleichviel, ob alle Behauptungen, die er aufstellte, vollständig zutrafen. Die Fort¬
schrittspartei und die Clique der Manchesterlcute, der Vertreter des mitleidlosen
Geldsacks, des Gründerklüngels, der unbeschränkten Ausbeutung der Coujuueturen,
sind immer unbillig gewesen gegen die Armen, sie haben immer nach Kräften
dahin gewirkt, daß der Staat gehindert werde, sie zu schütze". Möglichst viel
is-isssr tÄrv, möglichst viel Selbstregierung, Unbeschränktheit, Ellbvgenraum für
das GrosMpital, möglichst viel Gelegenheit zur Aussaugung des kleinen Geschäfts¬
manns durch deu großen, der Unwissenden und Unerfahrnen durch die Klugen
und Geriebnen war zu allen Zeiten, von den Tagen an, wo diese Schule von
Politikern aus England importirt wurde, bis auf den heutigen Tag die Zuschrift
ihrer Fahne und Ziel und Zweck ihrer Predigt.

Wir sind weit davon entfernt, eine weitgehende Selbstregierung der Ge¬
meinden gegenüber dem Staate zu verwerfe". Sie hat ihre Vorzüge, aber auch
ihre Nachtheile. Wenn sie nicht immer dasselbe Gerechtigkeitsgefühl bekundet,
wie das staatliche Beamtenthum, so liegt das in der menschlichen Natur, die ebeu
nicht so vollkommen ist, wie sie die Fürsprecher der absoluten Selbstregierung
voraussetzen. Man wird immer mehr oder minder geneigt sein, Verwandte, Freunde,
Kunden zu bevorzuge", und dies wird in vielen Fällen wirklich geschehen, wie
sehr man sich auch vorgenommen hat, unparteiisch zu sein; man sieht die Dinge
dann eben anders, als sie sind. Es ist ganz begreiflich, daß der Krämer seine
Kunden bei Abschätzungen selbst gegen seinen Willen nicht mit derselben Elle mißt,
wie die Nichtkuudeu, und wenn dann noch Parteihaß und Rücksicht auf die Partei¬
genossen hinzukommen, so sind Unbilligkeiten kaum zu vermeiden. In einer große"
Stadt, wo eine Partei sich des Regiments bemächtigt hat, kann das zu sehr
ernsten Uebelständen führen, zumal da es nicht bei ungerechten Abschätzungen zu
bleiben pflegt, sondern der Parteigeist oft auch auf die Vergebung städtischer Ar¬
beiten einwirkt und bei solchen mehr die Gesinnungsgenossen berücksichtigt werden
als die Gegner der Herrschenden.

Die Selbstregierung darf keine unbegrenzte sein, sie muß mit Schranken
umgeben werden, der Staat muß die, welche nicht zu der herrschenden Partei
gehören, vor der Willkür schützen, welche die von jener Partei gewählte, von


Fürst Bismcirck und Berlin.

agitirt haben, so wissen wir, daß sie wiederholt bei Wahlen mit einander ge¬
gangen sind.

Man leugnet die Berechtigung des Kanzlers, sich als Anwalt des kleinen
Mannes, des Armen, zu betrachten. Er ist aber mit dem Unfallversichcrnngs-
gesetze und in Betreff der Abschätzung der Berliner bei der Miethsteuer ganz
entschieden in dieser Eigenschaft aufgetreten und von allen Unbefangnen als Ver¬
treter der Billigkeit in Bezug auf jene Klasse der Bevölkerung erkannt wurden,
gleichviel, ob alle Behauptungen, die er aufstellte, vollständig zutrafen. Die Fort¬
schrittspartei und die Clique der Manchesterlcute, der Vertreter des mitleidlosen
Geldsacks, des Gründerklüngels, der unbeschränkten Ausbeutung der Coujuueturen,
sind immer unbillig gewesen gegen die Armen, sie haben immer nach Kräften
dahin gewirkt, daß der Staat gehindert werde, sie zu schütze«. Möglichst viel
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das GrosMpital, möglichst viel Gelegenheit zur Aussaugung des kleinen Geschäfts¬
manns durch deu großen, der Unwissenden und Unerfahrnen durch die Klugen
und Geriebnen war zu allen Zeiten, von den Tagen an, wo diese Schule von
Politikern aus England importirt wurde, bis auf den heutigen Tag die Zuschrift
ihrer Fahne und Ziel und Zweck ihrer Predigt.

Wir sind weit davon entfernt, eine weitgehende Selbstregierung der Ge¬
meinden gegenüber dem Staate zu verwerfe». Sie hat ihre Vorzüge, aber auch
ihre Nachtheile. Wenn sie nicht immer dasselbe Gerechtigkeitsgefühl bekundet,
wie das staatliche Beamtenthum, so liegt das in der menschlichen Natur, die ebeu
nicht so vollkommen ist, wie sie die Fürsprecher der absoluten Selbstregierung
voraussetzen. Man wird immer mehr oder minder geneigt sein, Verwandte, Freunde,
Kunden zu bevorzuge», und dies wird in vielen Fällen wirklich geschehen, wie
sehr man sich auch vorgenommen hat, unparteiisch zu sein; man sieht die Dinge
dann eben anders, als sie sind. Es ist ganz begreiflich, daß der Krämer seine
Kunden bei Abschätzungen selbst gegen seinen Willen nicht mit derselben Elle mißt,
wie die Nichtkuudeu, und wenn dann noch Parteihaß und Rücksicht auf die Partei¬
genossen hinzukommen, so sind Unbilligkeiten kaum zu vermeiden. In einer große»
Stadt, wo eine Partei sich des Regiments bemächtigt hat, kann das zu sehr
ernsten Uebelständen führen, zumal da es nicht bei ungerechten Abschätzungen zu
bleiben pflegt, sondern der Parteigeist oft auch auf die Vergebung städtischer Ar¬
beiten einwirkt und bei solchen mehr die Gesinnungsgenossen berücksichtigt werden
als die Gegner der Herrschenden.

Die Selbstregierung darf keine unbegrenzte sein, sie muß mit Schranken
umgeben werden, der Staat muß die, welche nicht zu der herrschenden Partei
gehören, vor der Willkür schützen, welche die von jener Partei gewählte, von


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[0294] Fürst Bismcirck und Berlin. agitirt haben, so wissen wir, daß sie wiederholt bei Wahlen mit einander ge¬ gangen sind. Man leugnet die Berechtigung des Kanzlers, sich als Anwalt des kleinen Mannes, des Armen, zu betrachten. Er ist aber mit dem Unfallversichcrnngs- gesetze und in Betreff der Abschätzung der Berliner bei der Miethsteuer ganz entschieden in dieser Eigenschaft aufgetreten und von allen Unbefangnen als Ver¬ treter der Billigkeit in Bezug auf jene Klasse der Bevölkerung erkannt wurden, gleichviel, ob alle Behauptungen, die er aufstellte, vollständig zutrafen. Die Fort¬ schrittspartei und die Clique der Manchesterlcute, der Vertreter des mitleidlosen Geldsacks, des Gründerklüngels, der unbeschränkten Ausbeutung der Coujuueturen, sind immer unbillig gewesen gegen die Armen, sie haben immer nach Kräften dahin gewirkt, daß der Staat gehindert werde, sie zu schütze«. Möglichst viel is-isssr tÄrv, möglichst viel Selbstregierung, Unbeschränktheit, Ellbvgenraum für das GrosMpital, möglichst viel Gelegenheit zur Aussaugung des kleinen Geschäfts¬ manns durch deu großen, der Unwissenden und Unerfahrnen durch die Klugen und Geriebnen war zu allen Zeiten, von den Tagen an, wo diese Schule von Politikern aus England importirt wurde, bis auf den heutigen Tag die Zuschrift ihrer Fahne und Ziel und Zweck ihrer Predigt. Wir sind weit davon entfernt, eine weitgehende Selbstregierung der Ge¬ meinden gegenüber dem Staate zu verwerfe». Sie hat ihre Vorzüge, aber auch ihre Nachtheile. Wenn sie nicht immer dasselbe Gerechtigkeitsgefühl bekundet, wie das staatliche Beamtenthum, so liegt das in der menschlichen Natur, die ebeu nicht so vollkommen ist, wie sie die Fürsprecher der absoluten Selbstregierung voraussetzen. Man wird immer mehr oder minder geneigt sein, Verwandte, Freunde, Kunden zu bevorzuge», und dies wird in vielen Fällen wirklich geschehen, wie sehr man sich auch vorgenommen hat, unparteiisch zu sein; man sieht die Dinge dann eben anders, als sie sind. Es ist ganz begreiflich, daß der Krämer seine Kunden bei Abschätzungen selbst gegen seinen Willen nicht mit derselben Elle mißt, wie die Nichtkuudeu, und wenn dann noch Parteihaß und Rücksicht auf die Partei¬ genossen hinzukommen, so sind Unbilligkeiten kaum zu vermeiden. In einer große» Stadt, wo eine Partei sich des Regiments bemächtigt hat, kann das zu sehr ernsten Uebelständen führen, zumal da es nicht bei ungerechten Abschätzungen zu bleiben pflegt, sondern der Parteigeist oft auch auf die Vergebung städtischer Ar¬ beiten einwirkt und bei solchen mehr die Gesinnungsgenossen berücksichtigt werden als die Gegner der Herrschenden. Die Selbstregierung darf keine unbegrenzte sein, sie muß mit Schranken umgeben werden, der Staat muß die, welche nicht zu der herrschenden Partei gehören, vor der Willkür schützen, welche die von jener Partei gewählte, von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/294>, abgerufen am 23.07.2024.