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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Zur Charakteristik Aarls XII. von Schweden.

Lebens geregelt worden, wogte nun schon als ein verwüstendes Element einher.
Nüchternheit in Speise und Trank, Einfachheit der Bekleidung und Behausung
waren Gewöhnung des Feldherrn geblieben. Jedoch aus Verschmähung des sinn¬
lichen Behagens hatte sich Verachtung der Sitte entwickelt. Lücken der Bildung,
welche das Knabenalter gelassen, hatte ein siebenjähriges Lagerleben nicht aus¬
gefüllt. Willeussestigkeit und Selbständigkeit des Entschlusses waren in Starr¬
sinn und Selbstüberhebung ausgeartet. Hatte der durchdringende Verstand des
Jünglings einst viele Alte beschämt, so ließ Karls Glaube an sein Glück gegen¬
wärtig das Urtheil der Erfahrnen nicht mehr aufkommen. Eingebungen der
Launen rissen ihn hin, Aufwallungen des Augenblicks beherrschten sein Thu"
und Lassen. Weil der schwedische Kriegsherr stattliche Gegner gefällt, weil Eben¬
bürtige ihm gehuldigt, Stärkere ihn bisher geschont, wähnte sich Karl unbezwing-
lich . . . Von seinem Zeitalter als Großmeister der Kriegskunde angestaunt,
hatte Karl, seitdem er die Vertheidigung des Vaterlandes mit der Eroberung
Nordosteuropas getauscht, sich zum raufsüchtigeu Abenteurer entwürdigt."

Diese Wendung hatte sich vollzogen, als der "schwedische Alexander" ini
zweiten Jahre des nordischen Krieges die Friedensvorschläge seiner Gegner ver¬
warf. Er vergaß von nun an seiner königlichen Pflichten, um seiner Rache allein
zu fröhnen. Alle, die gegen ihn aufgestanden waren, sollten nicht allein zum
Frieden genöthigt, sie sollten zertreten werden. So hatte er den Kurfürsten-
König von Sachsen-Polen verjagt, hatte drei Jahre lang Polen und Lithauen
durchzogen, um den König seiner Wahl, Stanislaus Lesczinski, in den Besitz
seines Reiches zu setzen, unbekümmert darum, daß inzwischen die baltische Vor¬
herrschaft verloren ging, Esthland, Livland und Kurland von dem Zaren besetzt
wurden und die militärische Organisation Rußlands vollendet wurde. So hatte
er unthätig sich im sächsischen Altranstcidt festgesetzt, um den Wohlstand des
Kurlandes zu vernichten und Augusts Macht für immer zu lahmen, während die
Russen das polnische Reich überflutheten und Peter der Große daran dachte,
einen neuen König zu erheben. Endlich drang er in jene russischen Wälder,
Steppen und Sümpfe ein, wohin die abendländische Welt den nordischen Eroberer
längst gewünscht hatte. Wie er hier unbekümmert um die gefährdete Stellung
feines Landes in nutzlosen Ringen seiue Kräfte verblutete, ist hinreichend bekannt.

Gegenüber einer solchen Auffassung hat nun neuerdings Christian v. Sarauw*)
ein apologetisches Verfahren eingeschlagen. Es liegt uns die Aufgabe fern, im



*) Die Feldzüge Karls XII. Ein quellenmäßiger Beitrag zur Kriegsgeschichte und
Cabinetspolitik Europas im 18. Jahrhundert von Christian v. Sarauw, königl. dänischen
Capitän a. D. Mit einer Uebersichtskarte des nordischen KriegSthenters und sechs lithogra-
phirten Tafeln. Leipzig, B. Schlicke (Balthasnr Elischer), 13L1.
Zur Charakteristik Aarls XII. von Schweden.

Lebens geregelt worden, wogte nun schon als ein verwüstendes Element einher.
Nüchternheit in Speise und Trank, Einfachheit der Bekleidung und Behausung
waren Gewöhnung des Feldherrn geblieben. Jedoch aus Verschmähung des sinn¬
lichen Behagens hatte sich Verachtung der Sitte entwickelt. Lücken der Bildung,
welche das Knabenalter gelassen, hatte ein siebenjähriges Lagerleben nicht aus¬
gefüllt. Willeussestigkeit und Selbständigkeit des Entschlusses waren in Starr¬
sinn und Selbstüberhebung ausgeartet. Hatte der durchdringende Verstand des
Jünglings einst viele Alte beschämt, so ließ Karls Glaube an sein Glück gegen¬
wärtig das Urtheil der Erfahrnen nicht mehr aufkommen. Eingebungen der
Launen rissen ihn hin, Aufwallungen des Augenblicks beherrschten sein Thu»
und Lassen. Weil der schwedische Kriegsherr stattliche Gegner gefällt, weil Eben¬
bürtige ihm gehuldigt, Stärkere ihn bisher geschont, wähnte sich Karl unbezwing-
lich . . . Von seinem Zeitalter als Großmeister der Kriegskunde angestaunt,
hatte Karl, seitdem er die Vertheidigung des Vaterlandes mit der Eroberung
Nordosteuropas getauscht, sich zum raufsüchtigeu Abenteurer entwürdigt."

Diese Wendung hatte sich vollzogen, als der „schwedische Alexander" ini
zweiten Jahre des nordischen Krieges die Friedensvorschläge seiner Gegner ver¬
warf. Er vergaß von nun an seiner königlichen Pflichten, um seiner Rache allein
zu fröhnen. Alle, die gegen ihn aufgestanden waren, sollten nicht allein zum
Frieden genöthigt, sie sollten zertreten werden. So hatte er den Kurfürsten-
König von Sachsen-Polen verjagt, hatte drei Jahre lang Polen und Lithauen
durchzogen, um den König seiner Wahl, Stanislaus Lesczinski, in den Besitz
seines Reiches zu setzen, unbekümmert darum, daß inzwischen die baltische Vor¬
herrschaft verloren ging, Esthland, Livland und Kurland von dem Zaren besetzt
wurden und die militärische Organisation Rußlands vollendet wurde. So hatte
er unthätig sich im sächsischen Altranstcidt festgesetzt, um den Wohlstand des
Kurlandes zu vernichten und Augusts Macht für immer zu lahmen, während die
Russen das polnische Reich überflutheten und Peter der Große daran dachte,
einen neuen König zu erheben. Endlich drang er in jene russischen Wälder,
Steppen und Sümpfe ein, wohin die abendländische Welt den nordischen Eroberer
längst gewünscht hatte. Wie er hier unbekümmert um die gefährdete Stellung
feines Landes in nutzlosen Ringen seiue Kräfte verblutete, ist hinreichend bekannt.

Gegenüber einer solchen Auffassung hat nun neuerdings Christian v. Sarauw*)
ein apologetisches Verfahren eingeschlagen. Es liegt uns die Aufgabe fern, im



*) Die Feldzüge Karls XII. Ein quellenmäßiger Beitrag zur Kriegsgeschichte und
Cabinetspolitik Europas im 18. Jahrhundert von Christian v. Sarauw, königl. dänischen
Capitän a. D. Mit einer Uebersichtskarte des nordischen KriegSthenters und sechs lithogra-
phirten Tafeln. Leipzig, B. Schlicke (Balthasnr Elischer), 13L1.
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[0286] Zur Charakteristik Aarls XII. von Schweden. Lebens geregelt worden, wogte nun schon als ein verwüstendes Element einher. Nüchternheit in Speise und Trank, Einfachheit der Bekleidung und Behausung waren Gewöhnung des Feldherrn geblieben. Jedoch aus Verschmähung des sinn¬ lichen Behagens hatte sich Verachtung der Sitte entwickelt. Lücken der Bildung, welche das Knabenalter gelassen, hatte ein siebenjähriges Lagerleben nicht aus¬ gefüllt. Willeussestigkeit und Selbständigkeit des Entschlusses waren in Starr¬ sinn und Selbstüberhebung ausgeartet. Hatte der durchdringende Verstand des Jünglings einst viele Alte beschämt, so ließ Karls Glaube an sein Glück gegen¬ wärtig das Urtheil der Erfahrnen nicht mehr aufkommen. Eingebungen der Launen rissen ihn hin, Aufwallungen des Augenblicks beherrschten sein Thu» und Lassen. Weil der schwedische Kriegsherr stattliche Gegner gefällt, weil Eben¬ bürtige ihm gehuldigt, Stärkere ihn bisher geschont, wähnte sich Karl unbezwing- lich . . . Von seinem Zeitalter als Großmeister der Kriegskunde angestaunt, hatte Karl, seitdem er die Vertheidigung des Vaterlandes mit der Eroberung Nordosteuropas getauscht, sich zum raufsüchtigeu Abenteurer entwürdigt." Diese Wendung hatte sich vollzogen, als der „schwedische Alexander" ini zweiten Jahre des nordischen Krieges die Friedensvorschläge seiner Gegner ver¬ warf. Er vergaß von nun an seiner königlichen Pflichten, um seiner Rache allein zu fröhnen. Alle, die gegen ihn aufgestanden waren, sollten nicht allein zum Frieden genöthigt, sie sollten zertreten werden. So hatte er den Kurfürsten- König von Sachsen-Polen verjagt, hatte drei Jahre lang Polen und Lithauen durchzogen, um den König seiner Wahl, Stanislaus Lesczinski, in den Besitz seines Reiches zu setzen, unbekümmert darum, daß inzwischen die baltische Vor¬ herrschaft verloren ging, Esthland, Livland und Kurland von dem Zaren besetzt wurden und die militärische Organisation Rußlands vollendet wurde. So hatte er unthätig sich im sächsischen Altranstcidt festgesetzt, um den Wohlstand des Kurlandes zu vernichten und Augusts Macht für immer zu lahmen, während die Russen das polnische Reich überflutheten und Peter der Große daran dachte, einen neuen König zu erheben. Endlich drang er in jene russischen Wälder, Steppen und Sümpfe ein, wohin die abendländische Welt den nordischen Eroberer längst gewünscht hatte. Wie er hier unbekümmert um die gefährdete Stellung feines Landes in nutzlosen Ringen seiue Kräfte verblutete, ist hinreichend bekannt. Gegenüber einer solchen Auffassung hat nun neuerdings Christian v. Sarauw*) ein apologetisches Verfahren eingeschlagen. Es liegt uns die Aufgabe fern, im *) Die Feldzüge Karls XII. Ein quellenmäßiger Beitrag zur Kriegsgeschichte und Cabinetspolitik Europas im 18. Jahrhundert von Christian v. Sarauw, königl. dänischen Capitän a. D. Mit einer Uebersichtskarte des nordischen KriegSthenters und sechs lithogra- phirten Tafeln. Leipzig, B. Schlicke (Balthasnr Elischer), 13L1.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/286>, abgerufen am 23.07.2024.