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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Der Streit um Tunis.

verletzt werden. Auch für Deutschland sind politische Erfolge der Re¬
gierung der französischen Republik in dem Maße vortheilhaft, als
s.iL dazu beitragen, Frankreich zufrieden zu machen. Es ist daher ein
ebenso gesunder als leicht verständlicher Egoismus, anzunehmen, daß alles, was
dazu nothwendig ist, um die Bestrebungen eines großen Nachbars dem Standpunkte
der Zufriedenheit zu nähern, mich für unsre Interessen gut sein muß und vortheil¬
haft für die guten Beziehungen mit unsern Nachbarn. Schließlich wird die Auf-
rechthaltung des Friedens nie besser gewährleistet werden als durch die Zufrieden¬
heit derer, welche früher Gegner waren aus Gründen, die der Vergangenheit
angehören und mit der Gegenwart nichts zu schaffen haben. Jede frühere Gegner¬
schaft wird zuletzt doch einmal wieder eine politische Ziffer, die sich mit Genauig¬
keit berechnen und in einen friedlichen Calcül hineinfügcn läßt. Eine derartige
Rechnung ist immer vortheilhafter als die Caleülation mit einem unzuverlässigen
Factor, der weder Freund noch Feind zu sein versteht."

Wer mit diesem Factor allein gemeint sein könnte, wenn diese Aeußerungen
echt wären, brauchen wir nicht zu sagen. Also mir die französischen Staats¬
männer sind in dieser Frage competent, und sie haben hier von Deutschland
weder Mißgunst uoch irgendwelche Speculationen und Ränke zu besorgen. Frank¬
reich kann ungestört von Deutschland seiue Interessen in Nordafrika schützen und
diejenigen Pläne ausführen, die ihm dort ersprießlich erscheinen. Wir werden
uns wie andre Nationen freuen, wenn ein Land, das einst in hoher Blüthe
stand, dann in die Hände von Barbaren fiel und verkam, durch ein Culturvolk
der Gesittung zurückgegeben und in den Stand gesetzt wird, wieder aufzubinden.
Wenn Stimmen der italienischen Presse empfindlich thun, weil wir uns nicht
unverweilt auf die Seite Italiens gestellt haben, so wird billig zu fragen sein:
War denn Italiens Verhalten nach 1866 immer der Art, daß Deutschland da¬
durch die Verpflichtung auferlegt worden wäre, für jeden Punkt der italienischen
Interessensphäre, soweit als die italienische Phantasie diese Sphäre ausdehnt,
sobald an sie gerührt wird, ohne Verzug mobil zu machen, wäre es anch nur
diplomatisch?

Wir fügen hinzu, daß wir mit diesem Urtheile nur unsre eigue Meinung
ausgesprochen haben wollen -- durchaus nichts andres.




Der Streit um Tunis.

verletzt werden. Auch für Deutschland sind politische Erfolge der Re¬
gierung der französischen Republik in dem Maße vortheilhaft, als
s.iL dazu beitragen, Frankreich zufrieden zu machen. Es ist daher ein
ebenso gesunder als leicht verständlicher Egoismus, anzunehmen, daß alles, was
dazu nothwendig ist, um die Bestrebungen eines großen Nachbars dem Standpunkte
der Zufriedenheit zu nähern, mich für unsre Interessen gut sein muß und vortheil¬
haft für die guten Beziehungen mit unsern Nachbarn. Schließlich wird die Auf-
rechthaltung des Friedens nie besser gewährleistet werden als durch die Zufrieden¬
heit derer, welche früher Gegner waren aus Gründen, die der Vergangenheit
angehören und mit der Gegenwart nichts zu schaffen haben. Jede frühere Gegner¬
schaft wird zuletzt doch einmal wieder eine politische Ziffer, die sich mit Genauig¬
keit berechnen und in einen friedlichen Calcül hineinfügcn läßt. Eine derartige
Rechnung ist immer vortheilhafter als die Caleülation mit einem unzuverlässigen
Factor, der weder Freund noch Feind zu sein versteht."

Wer mit diesem Factor allein gemeint sein könnte, wenn diese Aeußerungen
echt wären, brauchen wir nicht zu sagen. Also mir die französischen Staats¬
männer sind in dieser Frage competent, und sie haben hier von Deutschland
weder Mißgunst uoch irgendwelche Speculationen und Ränke zu besorgen. Frank¬
reich kann ungestört von Deutschland seiue Interessen in Nordafrika schützen und
diejenigen Pläne ausführen, die ihm dort ersprießlich erscheinen. Wir werden
uns wie andre Nationen freuen, wenn ein Land, das einst in hoher Blüthe
stand, dann in die Hände von Barbaren fiel und verkam, durch ein Culturvolk
der Gesittung zurückgegeben und in den Stand gesetzt wird, wieder aufzubinden.
Wenn Stimmen der italienischen Presse empfindlich thun, weil wir uns nicht
unverweilt auf die Seite Italiens gestellt haben, so wird billig zu fragen sein:
War denn Italiens Verhalten nach 1866 immer der Art, daß Deutschland da¬
durch die Verpflichtung auferlegt worden wäre, für jeden Punkt der italienischen
Interessensphäre, soweit als die italienische Phantasie diese Sphäre ausdehnt,
sobald an sie gerührt wird, ohne Verzug mobil zu machen, wäre es anch nur
diplomatisch?

Wir fügen hinzu, daß wir mit diesem Urtheile nur unsre eigue Meinung
ausgesprochen haben wollen — durchaus nichts andres.




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[0273] Der Streit um Tunis. verletzt werden. Auch für Deutschland sind politische Erfolge der Re¬ gierung der französischen Republik in dem Maße vortheilhaft, als s.iL dazu beitragen, Frankreich zufrieden zu machen. Es ist daher ein ebenso gesunder als leicht verständlicher Egoismus, anzunehmen, daß alles, was dazu nothwendig ist, um die Bestrebungen eines großen Nachbars dem Standpunkte der Zufriedenheit zu nähern, mich für unsre Interessen gut sein muß und vortheil¬ haft für die guten Beziehungen mit unsern Nachbarn. Schließlich wird die Auf- rechthaltung des Friedens nie besser gewährleistet werden als durch die Zufrieden¬ heit derer, welche früher Gegner waren aus Gründen, die der Vergangenheit angehören und mit der Gegenwart nichts zu schaffen haben. Jede frühere Gegner¬ schaft wird zuletzt doch einmal wieder eine politische Ziffer, die sich mit Genauig¬ keit berechnen und in einen friedlichen Calcül hineinfügcn läßt. Eine derartige Rechnung ist immer vortheilhafter als die Caleülation mit einem unzuverlässigen Factor, der weder Freund noch Feind zu sein versteht." Wer mit diesem Factor allein gemeint sein könnte, wenn diese Aeußerungen echt wären, brauchen wir nicht zu sagen. Also mir die französischen Staats¬ männer sind in dieser Frage competent, und sie haben hier von Deutschland weder Mißgunst uoch irgendwelche Speculationen und Ränke zu besorgen. Frank¬ reich kann ungestört von Deutschland seiue Interessen in Nordafrika schützen und diejenigen Pläne ausführen, die ihm dort ersprießlich erscheinen. Wir werden uns wie andre Nationen freuen, wenn ein Land, das einst in hoher Blüthe stand, dann in die Hände von Barbaren fiel und verkam, durch ein Culturvolk der Gesittung zurückgegeben und in den Stand gesetzt wird, wieder aufzubinden. Wenn Stimmen der italienischen Presse empfindlich thun, weil wir uns nicht unverweilt auf die Seite Italiens gestellt haben, so wird billig zu fragen sein: War denn Italiens Verhalten nach 1866 immer der Art, daß Deutschland da¬ durch die Verpflichtung auferlegt worden wäre, für jeden Punkt der italienischen Interessensphäre, soweit als die italienische Phantasie diese Sphäre ausdehnt, sobald an sie gerührt wird, ohne Verzug mobil zu machen, wäre es anch nur diplomatisch? Wir fügen hinzu, daß wir mit diesem Urtheile nur unsre eigue Meinung ausgesprochen haben wollen — durchaus nichts andres.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/273>, abgerufen am 01.07.2024.