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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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durch Anrufung göttlicher Hilfe und begiebt sich in den geheimen Tempel der
Christen, Den: Cyprianus, der in der Einsamkeit des Waldes Justina beschwört,
erscheint ein Schattenbild derselben, das sich bei seiner Umarmung als ein Leich¬
nam zu erkennen giebt. Erzürnt wirft Cyprien dem Dämon vor, daß er ihn
betrogen; dieser bekennt, daß die Jungfrau unter göttlichem Schutze stehe und
muß widerstrebend ihm Kunde von diesem Gotte geben, den der Weise so lange
gesucht und zu dein er nnn gläubig seine Zuflucht nimmt. Mittlerweile sind
die Christe" in ihrem Tempel gefangen genommen worden und sollen dem Be¬
fehle des Kaisers Decius zufolge den Feuertod erleiden. Plötzlich stürzt Chpria"
in wüstem Zustande, von einem Volkshaufen gefolgt in den Saal und bekennt
sich mit Begeisterung zu dein Gotte der Christen, bereit, durch den Märtyrertod
seine Schuld zu sühnen. In Ohnmacht gesunken wird er mit Justina allein
gelassen und von ihr getröstet und im Vertrauen auf die göttliche Gnade befestigt.
Nachdem das Urtheil vollstreckt, theilt sich der Vorhang, und über dem Ent-
haupteten sieht man den Dänion schweben, der von Gottes Macht gezwungen
verkündet, daß die beiden zur Seligkeit eingegangen.

Wenn man die christliche Legende, welche Calderon die Anregung zu diesem
Drama gab, mit dem vergleicht, was er daraus geschaffen, so kann man dem
Tiefsinn und der Jntuitiouskraft des Poeten nicht genug Bewunderung zollen.
Daß der heidnische Philosoph, der nach seiner eignen Aussage in seiner ^er"^t"
schon von Kindheit an in alle Geheimnisse der Magie eingeweiht war, in Calderons
Stück zu Anfang noch unschuldig dasteht und erst vor unsern Angen der Ver-
suchung erliegt, ist ein Zug, der den gebornen Dramatiker kennzeichnet. Nirgends
tritt an dieser Figur -- wozu die Gefahr so nahe lag -- etwas abstractes zu
Tage; auch der Dämon ist nichts weniger als eine frostige Allegorie, sondern
eine Gestalt von packender Lebendigkeit, die sich uns wie ihrem Opfer erst all¬
mählich in ihrem Wesen enthüllt und dadurch ungemein an dramatischem Interesse
gewinnt. Der energische Widerstand, den Justina den teuflischen Verlockungen
entgegensetzt, und der zugleich als Mittel dient, um auch den Magier der Er¬
lösung zuzuführen, ist mit überwältigender Kraft geschildert. Und so verdient
es noch entschiednere Einsprache, als Putman sie in seinen Ztncliön voor (Alan'on
S. 422 gegen seinen Landsmann van Oosterzee erhoben hat, der dieses wunder¬
bare Drama bis K.l nisu lzontv sonoonde-la eäg'önM hör ^kirÄsn^stuK nennt,
das der Verherrlichung der uim Winzig, geweiht sei. Wir müssen vielmehr
dem "Wunderthätigen Magus" als dem lebenswahren und lebensvollen Gemälde
einer hochangelegten, durch wissenschaftliche Speculation und Leidenschaft auf
Abwege gerathei?en und zu sittlicher Läuterung durchdringenden Natur innerhalb
der romanischen Poesie den gleichen Ehrenplatz zugestehe", der Goethes Faust


durch Anrufung göttlicher Hilfe und begiebt sich in den geheimen Tempel der
Christen, Den: Cyprianus, der in der Einsamkeit des Waldes Justina beschwört,
erscheint ein Schattenbild derselben, das sich bei seiner Umarmung als ein Leich¬
nam zu erkennen giebt. Erzürnt wirft Cyprien dem Dämon vor, daß er ihn
betrogen; dieser bekennt, daß die Jungfrau unter göttlichem Schutze stehe und
muß widerstrebend ihm Kunde von diesem Gotte geben, den der Weise so lange
gesucht und zu dein er nnn gläubig seine Zuflucht nimmt. Mittlerweile sind
die Christe» in ihrem Tempel gefangen genommen worden und sollen dem Be¬
fehle des Kaisers Decius zufolge den Feuertod erleiden. Plötzlich stürzt Chpria»
in wüstem Zustande, von einem Volkshaufen gefolgt in den Saal und bekennt
sich mit Begeisterung zu dein Gotte der Christen, bereit, durch den Märtyrertod
seine Schuld zu sühnen. In Ohnmacht gesunken wird er mit Justina allein
gelassen und von ihr getröstet und im Vertrauen auf die göttliche Gnade befestigt.
Nachdem das Urtheil vollstreckt, theilt sich der Vorhang, und über dem Ent-
haupteten sieht man den Dänion schweben, der von Gottes Macht gezwungen
verkündet, daß die beiden zur Seligkeit eingegangen.

Wenn man die christliche Legende, welche Calderon die Anregung zu diesem
Drama gab, mit dem vergleicht, was er daraus geschaffen, so kann man dem
Tiefsinn und der Jntuitiouskraft des Poeten nicht genug Bewunderung zollen.
Daß der heidnische Philosoph, der nach seiner eignen Aussage in seiner ^er«^t«
schon von Kindheit an in alle Geheimnisse der Magie eingeweiht war, in Calderons
Stück zu Anfang noch unschuldig dasteht und erst vor unsern Angen der Ver-
suchung erliegt, ist ein Zug, der den gebornen Dramatiker kennzeichnet. Nirgends
tritt an dieser Figur — wozu die Gefahr so nahe lag — etwas abstractes zu
Tage; auch der Dämon ist nichts weniger als eine frostige Allegorie, sondern
eine Gestalt von packender Lebendigkeit, die sich uns wie ihrem Opfer erst all¬
mählich in ihrem Wesen enthüllt und dadurch ungemein an dramatischem Interesse
gewinnt. Der energische Widerstand, den Justina den teuflischen Verlockungen
entgegensetzt, und der zugleich als Mittel dient, um auch den Magier der Er¬
lösung zuzuführen, ist mit überwältigender Kraft geschildert. Und so verdient
es noch entschiednere Einsprache, als Putman sie in seinen Ztncliön voor (Alan'on
S. 422 gegen seinen Landsmann van Oosterzee erhoben hat, der dieses wunder¬
bare Drama bis K.l nisu lzontv sonoonde-la eäg'önM hör ^kirÄsn^stuK nennt,
das der Verherrlichung der uim Winzig, geweiht sei. Wir müssen vielmehr
dem „Wunderthätigen Magus" als dem lebenswahren und lebensvollen Gemälde
einer hochangelegten, durch wissenschaftliche Speculation und Leidenschaft auf
Abwege gerathei?en und zu sittlicher Läuterung durchdringenden Natur innerhalb
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[0242] durch Anrufung göttlicher Hilfe und begiebt sich in den geheimen Tempel der Christen, Den: Cyprianus, der in der Einsamkeit des Waldes Justina beschwört, erscheint ein Schattenbild derselben, das sich bei seiner Umarmung als ein Leich¬ nam zu erkennen giebt. Erzürnt wirft Cyprien dem Dämon vor, daß er ihn betrogen; dieser bekennt, daß die Jungfrau unter göttlichem Schutze stehe und muß widerstrebend ihm Kunde von diesem Gotte geben, den der Weise so lange gesucht und zu dein er nnn gläubig seine Zuflucht nimmt. Mittlerweile sind die Christe» in ihrem Tempel gefangen genommen worden und sollen dem Be¬ fehle des Kaisers Decius zufolge den Feuertod erleiden. Plötzlich stürzt Chpria» in wüstem Zustande, von einem Volkshaufen gefolgt in den Saal und bekennt sich mit Begeisterung zu dein Gotte der Christen, bereit, durch den Märtyrertod seine Schuld zu sühnen. In Ohnmacht gesunken wird er mit Justina allein gelassen und von ihr getröstet und im Vertrauen auf die göttliche Gnade befestigt. Nachdem das Urtheil vollstreckt, theilt sich der Vorhang, und über dem Ent- haupteten sieht man den Dänion schweben, der von Gottes Macht gezwungen verkündet, daß die beiden zur Seligkeit eingegangen. Wenn man die christliche Legende, welche Calderon die Anregung zu diesem Drama gab, mit dem vergleicht, was er daraus geschaffen, so kann man dem Tiefsinn und der Jntuitiouskraft des Poeten nicht genug Bewunderung zollen. Daß der heidnische Philosoph, der nach seiner eignen Aussage in seiner ^er«^t« schon von Kindheit an in alle Geheimnisse der Magie eingeweiht war, in Calderons Stück zu Anfang noch unschuldig dasteht und erst vor unsern Angen der Ver- suchung erliegt, ist ein Zug, der den gebornen Dramatiker kennzeichnet. Nirgends tritt an dieser Figur — wozu die Gefahr so nahe lag — etwas abstractes zu Tage; auch der Dämon ist nichts weniger als eine frostige Allegorie, sondern eine Gestalt von packender Lebendigkeit, die sich uns wie ihrem Opfer erst all¬ mählich in ihrem Wesen enthüllt und dadurch ungemein an dramatischem Interesse gewinnt. Der energische Widerstand, den Justina den teuflischen Verlockungen entgegensetzt, und der zugleich als Mittel dient, um auch den Magier der Er¬ lösung zuzuführen, ist mit überwältigender Kraft geschildert. Und so verdient es noch entschiednere Einsprache, als Putman sie in seinen Ztncliön voor (Alan'on S. 422 gegen seinen Landsmann van Oosterzee erhoben hat, der dieses wunder¬ bare Drama bis K.l nisu lzontv sonoonde-la eäg'önM hör ^kirÄsn^stuK nennt, das der Verherrlichung der uim Winzig, geweiht sei. Wir müssen vielmehr dem „Wunderthätigen Magus" als dem lebenswahren und lebensvollen Gemälde einer hochangelegten, durch wissenschaftliche Speculation und Leidenschaft auf Abwege gerathei?en und zu sittlicher Läuterung durchdringenden Natur innerhalb der romanischen Poesie den gleichen Ehrenplatz zugestehe», der Goethes Faust

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/242>, abgerufen am 23.07.2024.