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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Liu Jugendfreund Goethes

vor ihm stand, und dann geberdete er sich beim Anschnallen desselben so un¬
geschickt, daß er nie damit zu Staude kam. Und das alles machte er anfangs
so natürlich, daß niemand Absicht dabei vermuthete. Als er aber, um das Thema
zu variiren, zuletzt weiter ging, so daß der Degen bald auf die rechte Seite,
bald zwischen die Beine kam, entstand ein allgemeines Gelächter, in das der
Forteilende, gleichfalls ein lustiger Gesell, mit einstimmte, worüber denn die
Schäferstunde vergessen wurde und eine ausgelnßne Unterhaltung bis tief in die
Nacht folgte. Als Goethe dieses Vorfalls gegen Eckermann gedachte, fügte er
hinzu: "Ja, es war artig; es wäre eine der anmuthigsten Scenen ans der Bühne,
wie denn Behrisch überall für das Theater ein guter Charakter war."

Eines Tages wandte sich Goethe an Behrisch mit der Frage, was eigent¬
lich Erfahrung sei; denn oft war dem jugendlichen Dichter rücksichtlich seines
geselligen Verhaltens wie seiner Poesie gesagt worden, eS fehle ihm an Erfahrung.
Behrisch vertröstete ihn erst von Tag zu Tag und eröffnete ihm endlich nach
vielen Vorbereitungen, die wahre Erfahrung sei ganz eigentlich, wenn man er¬
fahre, wie ein Erfahrener die Erfahrung erfahrend erfahren müsse. Wurde Behrisch
über solche Worte heftig gescholten und ausgelacht, so versicherte er, es stecke
hinter denselben ein großes Geheimniß n. s. w. Es kostete ihn eben nichts,
Viertelstunden lang so fvrtzusprechcn. Wollte Goethe über diese Possen ver¬
zweifeln, so betheuerte er, daß er diese Art, sich deutlich und eindrücklich zu
machen, von den neueste" und größten Schriftstellern gelernt, welche darauf auf¬
merksam gemacht, wie mau eine ruhige Ruhe ruhen und wie die Stille im
Stillen immer stiller werden könne. In späterer Zeit wurde Goethe mit einem
Offizier bekannt, der den siebenjährigen Krieg mitgemacht hatte und als tüchtiger
und erfahrener Mann gerühmt wurde. Der Begriff "Erfahrung" war mit der
Zeit in Goethes Gehirn "beinahe fix" geworden, und so wandte sich der leiden¬
schaftlich forschende an jenen wackern Mann mit derselben Frage, was Erfahrung
sei, und erzählte demselben gelegentlich dabei jene possenhaften Worte von
Behrisch. Der Offizier schüttelte lächelnd den Kopf und sagte: "Da sieht man,
wie es mit Worten geht, die nnr einmal ausgesprochen sind! Diese da klingen
so neckisch, ja so albern, daß es fast unmöglich scheinen dürfte, einen vernünftigen
Sinn hineinzulegen; und doch ließe sich vielleicht ein Versuch machen." Als
Goethe weiter drang, fuhr der Offizier fort: "Wenn Sie mir erlauben, indem
ich Ihren Freund eommentire und snpplire, in seiner Art fortzufahren, so dünkt
mich, er habe sagen wollen, daß die Erfahrung nichts andres sei, als daß mau
erfährt, was man nicht zu erfahren wünscht, worauf es wenigstens in dieser
Welt meistens hinausläuft." Als im Jahre 1830 der Salzbohrer in Stottcrn-
heim Goethe einen nußglückten Versuch, der "wenigsteus tausend Thaler" ge-


Liu Jugendfreund Goethes

vor ihm stand, und dann geberdete er sich beim Anschnallen desselben so un¬
geschickt, daß er nie damit zu Staude kam. Und das alles machte er anfangs
so natürlich, daß niemand Absicht dabei vermuthete. Als er aber, um das Thema
zu variiren, zuletzt weiter ging, so daß der Degen bald auf die rechte Seite,
bald zwischen die Beine kam, entstand ein allgemeines Gelächter, in das der
Forteilende, gleichfalls ein lustiger Gesell, mit einstimmte, worüber denn die
Schäferstunde vergessen wurde und eine ausgelnßne Unterhaltung bis tief in die
Nacht folgte. Als Goethe dieses Vorfalls gegen Eckermann gedachte, fügte er
hinzu: „Ja, es war artig; es wäre eine der anmuthigsten Scenen ans der Bühne,
wie denn Behrisch überall für das Theater ein guter Charakter war."

Eines Tages wandte sich Goethe an Behrisch mit der Frage, was eigent¬
lich Erfahrung sei; denn oft war dem jugendlichen Dichter rücksichtlich seines
geselligen Verhaltens wie seiner Poesie gesagt worden, eS fehle ihm an Erfahrung.
Behrisch vertröstete ihn erst von Tag zu Tag und eröffnete ihm endlich nach
vielen Vorbereitungen, die wahre Erfahrung sei ganz eigentlich, wenn man er¬
fahre, wie ein Erfahrener die Erfahrung erfahrend erfahren müsse. Wurde Behrisch
über solche Worte heftig gescholten und ausgelacht, so versicherte er, es stecke
hinter denselben ein großes Geheimniß n. s. w. Es kostete ihn eben nichts,
Viertelstunden lang so fvrtzusprechcn. Wollte Goethe über diese Possen ver¬
zweifeln, so betheuerte er, daß er diese Art, sich deutlich und eindrücklich zu
machen, von den neueste» und größten Schriftstellern gelernt, welche darauf auf¬
merksam gemacht, wie mau eine ruhige Ruhe ruhen und wie die Stille im
Stillen immer stiller werden könne. In späterer Zeit wurde Goethe mit einem
Offizier bekannt, der den siebenjährigen Krieg mitgemacht hatte und als tüchtiger
und erfahrener Mann gerühmt wurde. Der Begriff „Erfahrung" war mit der
Zeit in Goethes Gehirn „beinahe fix" geworden, und so wandte sich der leiden¬
schaftlich forschende an jenen wackern Mann mit derselben Frage, was Erfahrung
sei, und erzählte demselben gelegentlich dabei jene possenhaften Worte von
Behrisch. Der Offizier schüttelte lächelnd den Kopf und sagte: „Da sieht man,
wie es mit Worten geht, die nnr einmal ausgesprochen sind! Diese da klingen
so neckisch, ja so albern, daß es fast unmöglich scheinen dürfte, einen vernünftigen
Sinn hineinzulegen; und doch ließe sich vielleicht ein Versuch machen." Als
Goethe weiter drang, fuhr der Offizier fort: „Wenn Sie mir erlauben, indem
ich Ihren Freund eommentire und snpplire, in seiner Art fortzufahren, so dünkt
mich, er habe sagen wollen, daß die Erfahrung nichts andres sei, als daß mau
erfährt, was man nicht zu erfahren wünscht, worauf es wenigstens in dieser
Welt meistens hinausläuft." Als im Jahre 1830 der Salzbohrer in Stottcrn-
heim Goethe einen nußglückten Versuch, der „wenigsteus tausend Thaler" ge-


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[0024] Liu Jugendfreund Goethes vor ihm stand, und dann geberdete er sich beim Anschnallen desselben so un¬ geschickt, daß er nie damit zu Staude kam. Und das alles machte er anfangs so natürlich, daß niemand Absicht dabei vermuthete. Als er aber, um das Thema zu variiren, zuletzt weiter ging, so daß der Degen bald auf die rechte Seite, bald zwischen die Beine kam, entstand ein allgemeines Gelächter, in das der Forteilende, gleichfalls ein lustiger Gesell, mit einstimmte, worüber denn die Schäferstunde vergessen wurde und eine ausgelnßne Unterhaltung bis tief in die Nacht folgte. Als Goethe dieses Vorfalls gegen Eckermann gedachte, fügte er hinzu: „Ja, es war artig; es wäre eine der anmuthigsten Scenen ans der Bühne, wie denn Behrisch überall für das Theater ein guter Charakter war." Eines Tages wandte sich Goethe an Behrisch mit der Frage, was eigent¬ lich Erfahrung sei; denn oft war dem jugendlichen Dichter rücksichtlich seines geselligen Verhaltens wie seiner Poesie gesagt worden, eS fehle ihm an Erfahrung. Behrisch vertröstete ihn erst von Tag zu Tag und eröffnete ihm endlich nach vielen Vorbereitungen, die wahre Erfahrung sei ganz eigentlich, wenn man er¬ fahre, wie ein Erfahrener die Erfahrung erfahrend erfahren müsse. Wurde Behrisch über solche Worte heftig gescholten und ausgelacht, so versicherte er, es stecke hinter denselben ein großes Geheimniß n. s. w. Es kostete ihn eben nichts, Viertelstunden lang so fvrtzusprechcn. Wollte Goethe über diese Possen ver¬ zweifeln, so betheuerte er, daß er diese Art, sich deutlich und eindrücklich zu machen, von den neueste» und größten Schriftstellern gelernt, welche darauf auf¬ merksam gemacht, wie mau eine ruhige Ruhe ruhen und wie die Stille im Stillen immer stiller werden könne. In späterer Zeit wurde Goethe mit einem Offizier bekannt, der den siebenjährigen Krieg mitgemacht hatte und als tüchtiger und erfahrener Mann gerühmt wurde. Der Begriff „Erfahrung" war mit der Zeit in Goethes Gehirn „beinahe fix" geworden, und so wandte sich der leiden¬ schaftlich forschende an jenen wackern Mann mit derselben Frage, was Erfahrung sei, und erzählte demselben gelegentlich dabei jene possenhaften Worte von Behrisch. Der Offizier schüttelte lächelnd den Kopf und sagte: „Da sieht man, wie es mit Worten geht, die nnr einmal ausgesprochen sind! Diese da klingen so neckisch, ja so albern, daß es fast unmöglich scheinen dürfte, einen vernünftigen Sinn hineinzulegen; und doch ließe sich vielleicht ein Versuch machen." Als Goethe weiter drang, fuhr der Offizier fort: „Wenn Sie mir erlauben, indem ich Ihren Freund eommentire und snpplire, in seiner Art fortzufahren, so dünkt mich, er habe sagen wollen, daß die Erfahrung nichts andres sei, als daß mau erfährt, was man nicht zu erfahren wünscht, worauf es wenigstens in dieser Welt meistens hinausläuft." Als im Jahre 1830 der Salzbohrer in Stottcrn- heim Goethe einen nußglückten Versuch, der „wenigsteus tausend Thaler" ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/24>, abgerufen am 23.07.2024.