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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Lalderon.

Leben der Nation concentrirte, für jeden unerläßlich, der ein vollständigeres
Bild von dem Spanien des 17. Jahrhunderts gewinnen will, als es so trübe
Erscheinungen wie die Inquisition gewähren.

Ein wichtiger Factor für das Gedeihen des Dramas war der romantische
Sinn, der, mächtig genährt durch jahrhundertelange abenteuerliche Kämpfe mit
den Mauren wie durch die Berührung mit fernen, wunderreichen Zonen, in
Spanien länger als irgendwo sich behauptete und noch im 17. Jahrhundert selbst
im gewöhnlichen Leben sich geltend machte. Daher die Begeisterung des Volkes für
die alten Romanzen, daher die zahlreichen Akademien, in denen die Dichtkunst
eifrigste Pflege genoß. Nur mit Italien und dem portugiesischen Nachbarlande
in geistiger Verbindung, im übrigen von allen Einflüssen aus der Fremde un¬
berührt, nahm die spanische Literatur eine durchaus selbständige Entwicklung;
die Versuche des Gongorismus,^) jene unter dem Namen sstilo vnlto bekannte,
mit gelehrtem Flitter aufgeputzte gespreizte Ausdrucksweise, die in dem italienischen
Marinismus ihre Analogie hat, zur Herrschaft zu bringen, erlitten, wenn sie auch
selbst hervorragende Talente aufleckten, schließlich ebenso wie die wiederholten
classicistischen Experimente an dem gesunden Sinne der Nation und der Oppo¬
sition der bedeutendsten Schriftsteller, wie des nunmehr zu besprechenden, kläg¬
lichen Schiffbruch.

Dieser Dichter, der gegen Ende des 16. Jahrhunderts sich der Bühne be¬
mächtigte und die Herrschaft auf derselben bis zu seinem Tode, der ins Jahr 1635
füllt, behauptete, dessen Productivität schon dem äußern Umfange nach ans Un¬
glaubliche grenzt, ist Lope Felix de Vega Carpio."°*) Nicht weniger als
1S00 Stücke, deren erste bereits in seinem elften und zwölften Lebensjahre ent¬
standen sein sollen, entsprangen diesem fruchtbaren Geiste, dessen Phantasie man
sich rastlos thätig denken muß, um zu begreifen, daß er außerdem noch für eine
Unzahl lyrifcher und epischer Gedichte, Episteln, Satiren, Novellen und Romane
Zeit fand. Uns muß es hier selbstverständlich genügen, ein Bild seiner dramatischen
Wirksamkeit zu haben, wobei sich ein specielles Eingehen auf das einzelne bei der
überreichen Fülle des Materials verbietet. Suchen wir nur, soweit es unsre
Zwecke erheischen, einen Ueberblick über seine Stoffwelt und über die Fortschritte
zu gewinnen, die sich an diese seine dichterische Hauptthätigkeit knüpfen.

Unter den geschichtlichen Dramen Lopes, an die man freilich nicht den Ma߬
stab exacter historischer Forschung legen darf, da dieselben oft mit größter Willkür




Luis de GSugora, geb. 1SS1 zu Cordovci, ist der Begründer dieser Richtung.
""") Uebersetzungen beziehentlich Bearbeitungen Lopischer Stücke lieferten Graf von Sode".
Dohrn im 1.. 2. und 4. Bande seiner Spanischen Dramen, Zedlitz (Der Stern von Se-
villa), C. Richard u. A.
Lalderon.

Leben der Nation concentrirte, für jeden unerläßlich, der ein vollständigeres
Bild von dem Spanien des 17. Jahrhunderts gewinnen will, als es so trübe
Erscheinungen wie die Inquisition gewähren.

Ein wichtiger Factor für das Gedeihen des Dramas war der romantische
Sinn, der, mächtig genährt durch jahrhundertelange abenteuerliche Kämpfe mit
den Mauren wie durch die Berührung mit fernen, wunderreichen Zonen, in
Spanien länger als irgendwo sich behauptete und noch im 17. Jahrhundert selbst
im gewöhnlichen Leben sich geltend machte. Daher die Begeisterung des Volkes für
die alten Romanzen, daher die zahlreichen Akademien, in denen die Dichtkunst
eifrigste Pflege genoß. Nur mit Italien und dem portugiesischen Nachbarlande
in geistiger Verbindung, im übrigen von allen Einflüssen aus der Fremde un¬
berührt, nahm die spanische Literatur eine durchaus selbständige Entwicklung;
die Versuche des Gongorismus,^) jene unter dem Namen sstilo vnlto bekannte,
mit gelehrtem Flitter aufgeputzte gespreizte Ausdrucksweise, die in dem italienischen
Marinismus ihre Analogie hat, zur Herrschaft zu bringen, erlitten, wenn sie auch
selbst hervorragende Talente aufleckten, schließlich ebenso wie die wiederholten
classicistischen Experimente an dem gesunden Sinne der Nation und der Oppo¬
sition der bedeutendsten Schriftsteller, wie des nunmehr zu besprechenden, kläg¬
lichen Schiffbruch.

Dieser Dichter, der gegen Ende des 16. Jahrhunderts sich der Bühne be¬
mächtigte und die Herrschaft auf derselben bis zu seinem Tode, der ins Jahr 1635
füllt, behauptete, dessen Productivität schon dem äußern Umfange nach ans Un¬
glaubliche grenzt, ist Lope Felix de Vega Carpio."°*) Nicht weniger als
1S00 Stücke, deren erste bereits in seinem elften und zwölften Lebensjahre ent¬
standen sein sollen, entsprangen diesem fruchtbaren Geiste, dessen Phantasie man
sich rastlos thätig denken muß, um zu begreifen, daß er außerdem noch für eine
Unzahl lyrifcher und epischer Gedichte, Episteln, Satiren, Novellen und Romane
Zeit fand. Uns muß es hier selbstverständlich genügen, ein Bild seiner dramatischen
Wirksamkeit zu haben, wobei sich ein specielles Eingehen auf das einzelne bei der
überreichen Fülle des Materials verbietet. Suchen wir nur, soweit es unsre
Zwecke erheischen, einen Ueberblick über seine Stoffwelt und über die Fortschritte
zu gewinnen, die sich an diese seine dichterische Hauptthätigkeit knüpfen.

Unter den geschichtlichen Dramen Lopes, an die man freilich nicht den Ma߬
stab exacter historischer Forschung legen darf, da dieselben oft mit größter Willkür




Luis de GSugora, geb. 1SS1 zu Cordovci, ist der Begründer dieser Richtung.
""») Uebersetzungen beziehentlich Bearbeitungen Lopischer Stücke lieferten Graf von Sode».
Dohrn im 1.. 2. und 4. Bande seiner Spanischen Dramen, Zedlitz (Der Stern von Se-
villa), C. Richard u. A.
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[0233] Lalderon. Leben der Nation concentrirte, für jeden unerläßlich, der ein vollständigeres Bild von dem Spanien des 17. Jahrhunderts gewinnen will, als es so trübe Erscheinungen wie die Inquisition gewähren. Ein wichtiger Factor für das Gedeihen des Dramas war der romantische Sinn, der, mächtig genährt durch jahrhundertelange abenteuerliche Kämpfe mit den Mauren wie durch die Berührung mit fernen, wunderreichen Zonen, in Spanien länger als irgendwo sich behauptete und noch im 17. Jahrhundert selbst im gewöhnlichen Leben sich geltend machte. Daher die Begeisterung des Volkes für die alten Romanzen, daher die zahlreichen Akademien, in denen die Dichtkunst eifrigste Pflege genoß. Nur mit Italien und dem portugiesischen Nachbarlande in geistiger Verbindung, im übrigen von allen Einflüssen aus der Fremde un¬ berührt, nahm die spanische Literatur eine durchaus selbständige Entwicklung; die Versuche des Gongorismus,^) jene unter dem Namen sstilo vnlto bekannte, mit gelehrtem Flitter aufgeputzte gespreizte Ausdrucksweise, die in dem italienischen Marinismus ihre Analogie hat, zur Herrschaft zu bringen, erlitten, wenn sie auch selbst hervorragende Talente aufleckten, schließlich ebenso wie die wiederholten classicistischen Experimente an dem gesunden Sinne der Nation und der Oppo¬ sition der bedeutendsten Schriftsteller, wie des nunmehr zu besprechenden, kläg¬ lichen Schiffbruch. Dieser Dichter, der gegen Ende des 16. Jahrhunderts sich der Bühne be¬ mächtigte und die Herrschaft auf derselben bis zu seinem Tode, der ins Jahr 1635 füllt, behauptete, dessen Productivität schon dem äußern Umfange nach ans Un¬ glaubliche grenzt, ist Lope Felix de Vega Carpio."°*) Nicht weniger als 1S00 Stücke, deren erste bereits in seinem elften und zwölften Lebensjahre ent¬ standen sein sollen, entsprangen diesem fruchtbaren Geiste, dessen Phantasie man sich rastlos thätig denken muß, um zu begreifen, daß er außerdem noch für eine Unzahl lyrifcher und epischer Gedichte, Episteln, Satiren, Novellen und Romane Zeit fand. Uns muß es hier selbstverständlich genügen, ein Bild seiner dramatischen Wirksamkeit zu haben, wobei sich ein specielles Eingehen auf das einzelne bei der überreichen Fülle des Materials verbietet. Suchen wir nur, soweit es unsre Zwecke erheischen, einen Ueberblick über seine Stoffwelt und über die Fortschritte zu gewinnen, die sich an diese seine dichterische Hauptthätigkeit knüpfen. Unter den geschichtlichen Dramen Lopes, an die man freilich nicht den Ma߬ stab exacter historischer Forschung legen darf, da dieselben oft mit größter Willkür Luis de GSugora, geb. 1SS1 zu Cordovci, ist der Begründer dieser Richtung. ""») Uebersetzungen beziehentlich Bearbeitungen Lopischer Stücke lieferten Graf von Sode». Dohrn im 1.. 2. und 4. Bande seiner Spanischen Dramen, Zedlitz (Der Stern von Se- villa), C. Richard u. A.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/233>, abgerufen am 23.07.2024.