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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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"Lalderon,

Nation, durch große politische Thaten vollauf beschäftigt, jener behaglichen Ruhe
noch ermangelte, die eine wesentliche Vorbedingung für die Blüthe des Theaters
bildet, und auch das Fehlen eines großen Mittelpunktes dem Aufschwünge einer
nationalen Bühne vorläufig entgegenstand.

An poetischem Werthe den beiden oben genannten weit unterlegen ist der
Schauspieler Lope de Rueda (f ca. 1567), welcher Schäferspiele (0oIo<M08
Mstorilö") und kleine burleske Schwänke (?^8os) verfaßte; er wird indeß dadurch
von Wichtigkeit, daß er in den letztern Stücken, die als Vor- und Zwischenspiele
bei größern Aufführungen dienten und sich in der Sphcire des gewöhnlichen
Lebens bewegten, dem Realismus -- der ihn auch zur Prosaform greifen ließ --
auf dem Theater Eingang verschaffte und ferner eine Reihe stehender Rollen
einführte. Erfindungsreichthum und Mannichfaltigkeit darf man bei ihm nicht
suchen. In Sevilla, seiner Heimat, regten sich um die Mitte des 16. Jahr¬
hunderts cmtikisirende Tendenzen, die schon früher in Juan Boscan, Francisco
de Villalobes, Perez de Oliva u. a. ihre Verfechter gehabt hatten. Jetzt waren
Hauptstützen dieser Richtung Juan de MAara und Geronimo Bermudez, der
in seinen beiden 1577 gedruckten, das Schicksal der Ines de Castro behandelnden
Tragödien den antiken Chor einführte, während andre dnrch Uebersetzungen
griechischer und römischer Dramen sowie der aristotelischen und horazischen Poetik
diesen gelehrten Bestrebungen Bahn zu brechen versuchten. Solche Bemühungen
fanden jedoch nicht allein bei dem herrschenden Volksgeschmack energischen Wider¬
stand, sondern auch theoretische Bekämpfung, namentlich durch den Sevillaner
Juan de la Cueva, der in seiner Poetik mit Entschiedenheit für die nationale
Form des Dramas eintrat und in seinen eignen Productionen offenbares poetisches
Talent, wenn auch keine speciell dramatische Begabung zeigte. Von flüssiger
Erfindung und Muster der poetischen Form, die er durch Entlehnungen aus
dem italienischen Strophenschatze bereicherte, läßt er doch einen planvollen Auf¬
bau in seinen theils frei erfundnen, theils aus dem classischen Alterthum und
der spanischen Geschichte geschöpften Stücken vermissen. Ein cntschiedner Anlauf
zu strengerer Handhabung der dramatischen Form macht sich bei den Valeneianern
Miner Andres Reh de Artieda (1549--1613) und Cristoval de Viruss wahr¬
nehmbar, die sich beide an Cueva anlehnen; unter Viruss' Dramen ist die "Große
Semiramis" als Grundlage für Calderons Meisterwerk die "Tochter der Luft"
von besondrer Bedeutung; mit seiner "Dido" stellte er sich völlig unter die Regeln
des classischen Dramas, indem er nicht nur den antiken Chor, sondern auch die
stricte Beobachtung der Einheiten adoptirte.

Madrid, das 1561 zur Residenz erhoben ward und bald daraus stehende
Schauspielhäuser erhielt, bildete mit Sevilla und Valencia die Hauptstätte für


«Lalderon,

Nation, durch große politische Thaten vollauf beschäftigt, jener behaglichen Ruhe
noch ermangelte, die eine wesentliche Vorbedingung für die Blüthe des Theaters
bildet, und auch das Fehlen eines großen Mittelpunktes dem Aufschwünge einer
nationalen Bühne vorläufig entgegenstand.

An poetischem Werthe den beiden oben genannten weit unterlegen ist der
Schauspieler Lope de Rueda (f ca. 1567), welcher Schäferspiele (0oIo<M08
Mstorilö«) und kleine burleske Schwänke (?^8os) verfaßte; er wird indeß dadurch
von Wichtigkeit, daß er in den letztern Stücken, die als Vor- und Zwischenspiele
bei größern Aufführungen dienten und sich in der Sphcire des gewöhnlichen
Lebens bewegten, dem Realismus — der ihn auch zur Prosaform greifen ließ —
auf dem Theater Eingang verschaffte und ferner eine Reihe stehender Rollen
einführte. Erfindungsreichthum und Mannichfaltigkeit darf man bei ihm nicht
suchen. In Sevilla, seiner Heimat, regten sich um die Mitte des 16. Jahr¬
hunderts cmtikisirende Tendenzen, die schon früher in Juan Boscan, Francisco
de Villalobes, Perez de Oliva u. a. ihre Verfechter gehabt hatten. Jetzt waren
Hauptstützen dieser Richtung Juan de MAara und Geronimo Bermudez, der
in seinen beiden 1577 gedruckten, das Schicksal der Ines de Castro behandelnden
Tragödien den antiken Chor einführte, während andre dnrch Uebersetzungen
griechischer und römischer Dramen sowie der aristotelischen und horazischen Poetik
diesen gelehrten Bestrebungen Bahn zu brechen versuchten. Solche Bemühungen
fanden jedoch nicht allein bei dem herrschenden Volksgeschmack energischen Wider¬
stand, sondern auch theoretische Bekämpfung, namentlich durch den Sevillaner
Juan de la Cueva, der in seiner Poetik mit Entschiedenheit für die nationale
Form des Dramas eintrat und in seinen eignen Productionen offenbares poetisches
Talent, wenn auch keine speciell dramatische Begabung zeigte. Von flüssiger
Erfindung und Muster der poetischen Form, die er durch Entlehnungen aus
dem italienischen Strophenschatze bereicherte, läßt er doch einen planvollen Auf¬
bau in seinen theils frei erfundnen, theils aus dem classischen Alterthum und
der spanischen Geschichte geschöpften Stücken vermissen. Ein cntschiedner Anlauf
zu strengerer Handhabung der dramatischen Form macht sich bei den Valeneianern
Miner Andres Reh de Artieda (1549—1613) und Cristoval de Viruss wahr¬
nehmbar, die sich beide an Cueva anlehnen; unter Viruss' Dramen ist die „Große
Semiramis" als Grundlage für Calderons Meisterwerk die „Tochter der Luft"
von besondrer Bedeutung; mit seiner „Dido" stellte er sich völlig unter die Regeln
des classischen Dramas, indem er nicht nur den antiken Chor, sondern auch die
stricte Beobachtung der Einheiten adoptirte.

Madrid, das 1561 zur Residenz erhoben ward und bald daraus stehende
Schauspielhäuser erhielt, bildete mit Sevilla und Valencia die Hauptstätte für


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[0231] «Lalderon, Nation, durch große politische Thaten vollauf beschäftigt, jener behaglichen Ruhe noch ermangelte, die eine wesentliche Vorbedingung für die Blüthe des Theaters bildet, und auch das Fehlen eines großen Mittelpunktes dem Aufschwünge einer nationalen Bühne vorläufig entgegenstand. An poetischem Werthe den beiden oben genannten weit unterlegen ist der Schauspieler Lope de Rueda (f ca. 1567), welcher Schäferspiele (0oIo<M08 Mstorilö«) und kleine burleske Schwänke (?^8os) verfaßte; er wird indeß dadurch von Wichtigkeit, daß er in den letztern Stücken, die als Vor- und Zwischenspiele bei größern Aufführungen dienten und sich in der Sphcire des gewöhnlichen Lebens bewegten, dem Realismus — der ihn auch zur Prosaform greifen ließ — auf dem Theater Eingang verschaffte und ferner eine Reihe stehender Rollen einführte. Erfindungsreichthum und Mannichfaltigkeit darf man bei ihm nicht suchen. In Sevilla, seiner Heimat, regten sich um die Mitte des 16. Jahr¬ hunderts cmtikisirende Tendenzen, die schon früher in Juan Boscan, Francisco de Villalobes, Perez de Oliva u. a. ihre Verfechter gehabt hatten. Jetzt waren Hauptstützen dieser Richtung Juan de MAara und Geronimo Bermudez, der in seinen beiden 1577 gedruckten, das Schicksal der Ines de Castro behandelnden Tragödien den antiken Chor einführte, während andre dnrch Uebersetzungen griechischer und römischer Dramen sowie der aristotelischen und horazischen Poetik diesen gelehrten Bestrebungen Bahn zu brechen versuchten. Solche Bemühungen fanden jedoch nicht allein bei dem herrschenden Volksgeschmack energischen Wider¬ stand, sondern auch theoretische Bekämpfung, namentlich durch den Sevillaner Juan de la Cueva, der in seiner Poetik mit Entschiedenheit für die nationale Form des Dramas eintrat und in seinen eignen Productionen offenbares poetisches Talent, wenn auch keine speciell dramatische Begabung zeigte. Von flüssiger Erfindung und Muster der poetischen Form, die er durch Entlehnungen aus dem italienischen Strophenschatze bereicherte, läßt er doch einen planvollen Auf¬ bau in seinen theils frei erfundnen, theils aus dem classischen Alterthum und der spanischen Geschichte geschöpften Stücken vermissen. Ein cntschiedner Anlauf zu strengerer Handhabung der dramatischen Form macht sich bei den Valeneianern Miner Andres Reh de Artieda (1549—1613) und Cristoval de Viruss wahr¬ nehmbar, die sich beide an Cueva anlehnen; unter Viruss' Dramen ist die „Große Semiramis" als Grundlage für Calderons Meisterwerk die „Tochter der Luft" von besondrer Bedeutung; mit seiner „Dido" stellte er sich völlig unter die Regeln des classischen Dramas, indem er nicht nur den antiken Chor, sondern auch die stricte Beobachtung der Einheiten adoptirte. Madrid, das 1561 zur Residenz erhoben ward und bald daraus stehende Schauspielhäuser erhielt, bildete mit Sevilla und Valencia die Hauptstätte für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/231>, abgerufen am 23.07.2024.