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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Erinnerungen an Heinrich Leo.

der deutschen Burschenschaft, welche Leo giebt, ist wohl die unbefangenste und
competenteste Darstellung jener wichtigen Epoche des deutschen Universitätslcbens
und erhält dadurch besondre Bedeutung, daß Leo in hervorragender Weise an
den Bestrebungen der Burschenschaft betheiligt war. Der Glanzpunkt der ganzen
Erzählung ist die Beschreibung des Wartburgfestes mit seinen Jngendidealcn und
Thorheiten. Belustigend ist die Angabe, daß der Hauptführcr Maßmann die mit
so hohen und zum Theil großprahlenden Worten verbrannten Bücher nachher erst
in der Stille las und exeerpirte, weil ihm einfiel, wie lächerlich es sich auf-
nehmen müsse, wenn er, zur Rede gestellt, eingestehen müsse, den größten Theil
derselben noch nicht einmal von weitem erblickt zu haben.

Leo spricht sich übrigens über die Folgen des Wartburgfestes folgender¬
maßen (S. 184) aus: "Die Regierungen haben einen Mißgriff begangen, wenn
sie später den bösen Einfluß der Professoren so stark betonten, denn dieser böse
Einfluß bestand wesentlich nur in der moralischen Schwäche der Professoren. Leider
aber wußte in den Regierungen niemand, wie die Sachen eigentlich standen;
und so hat man zu spät und in einer Weise eingegriffen, die nur zu' unendlich
gehässigen Gerede Anlaß gab." Dies fehlerhafte Verfahren wurde später von
solchen Männern bestätigt, welche die Untersuchung gegen die "Demagogen" ge¬
führt, also Einsicht in die ganze nebelhafte Masse der Wünsche und Bestrebungen
erlangt haben.

Im Jahre 1819 löste sich Leo völlig von der Burschenschaft. Nach einem
kurzen, für ihn glücklichen Verhör über seine Verhältnisse zu Sand, dessen Charakter
und gewöhnlichen Umgang ging Leo nach Göttingen. Hier schlug C. F. Eichhorns
Deutsches Staats-Recht ihn in allen seinen demagogischen Ansichten gänzlich um,
uoch mehr die Privatgespräche mit dem berühmten Rechtsgelehrten. Da er aber ein
"Schwarzer" gewesen, d. h. demjenigen Theile der Burschenschaft, welcher im Gegen¬
satz zu den "Grauen" mit ihrem zu veredelnden Burschenleben phantastisch politische
Thaten wollte, angehört hatte, so fand er eines Tages an seiner Thür die Mahnung
angeheftet, die Stadt sofort zu verlassen. Jene war wohl von der Universitäts¬
behörde selbst ausgegangen, damit Göttingen vor dem Verdacht einer Betheiligung
an demagogischen Untersuchungen behütet werde. Er ging daher nach Jena zurück,
wo er kurze Zeit darauf zum äoetor piu1o8ovnii>,s durch eine aus seinen byzantinischen
Studien gewonnene Dissertation über Johannes Grammaticus im Mai 1820
promovirt wurde. Hierauf zog er nach Erlangen, veranlaßt durch seiue Freund¬
schaft mit Franz von Tucher, um sich dort durch eine Dissertation Laxouum
oriAns -zu habilitiren. Er hielt Vorträge über das deutsche Epos, das Nibe¬
lungenlied und über neuere Geschichte nach Spittler. Damit schließen die "Er¬
innerungen" ab.


Erinnerungen an Heinrich Leo.

der deutschen Burschenschaft, welche Leo giebt, ist wohl die unbefangenste und
competenteste Darstellung jener wichtigen Epoche des deutschen Universitätslcbens
und erhält dadurch besondre Bedeutung, daß Leo in hervorragender Weise an
den Bestrebungen der Burschenschaft betheiligt war. Der Glanzpunkt der ganzen
Erzählung ist die Beschreibung des Wartburgfestes mit seinen Jngendidealcn und
Thorheiten. Belustigend ist die Angabe, daß der Hauptführcr Maßmann die mit
so hohen und zum Theil großprahlenden Worten verbrannten Bücher nachher erst
in der Stille las und exeerpirte, weil ihm einfiel, wie lächerlich es sich auf-
nehmen müsse, wenn er, zur Rede gestellt, eingestehen müsse, den größten Theil
derselben noch nicht einmal von weitem erblickt zu haben.

Leo spricht sich übrigens über die Folgen des Wartburgfestes folgender¬
maßen (S. 184) aus: „Die Regierungen haben einen Mißgriff begangen, wenn
sie später den bösen Einfluß der Professoren so stark betonten, denn dieser böse
Einfluß bestand wesentlich nur in der moralischen Schwäche der Professoren. Leider
aber wußte in den Regierungen niemand, wie die Sachen eigentlich standen;
und so hat man zu spät und in einer Weise eingegriffen, die nur zu' unendlich
gehässigen Gerede Anlaß gab." Dies fehlerhafte Verfahren wurde später von
solchen Männern bestätigt, welche die Untersuchung gegen die „Demagogen" ge¬
führt, also Einsicht in die ganze nebelhafte Masse der Wünsche und Bestrebungen
erlangt haben.

Im Jahre 1819 löste sich Leo völlig von der Burschenschaft. Nach einem
kurzen, für ihn glücklichen Verhör über seine Verhältnisse zu Sand, dessen Charakter
und gewöhnlichen Umgang ging Leo nach Göttingen. Hier schlug C. F. Eichhorns
Deutsches Staats-Recht ihn in allen seinen demagogischen Ansichten gänzlich um,
uoch mehr die Privatgespräche mit dem berühmten Rechtsgelehrten. Da er aber ein
„Schwarzer" gewesen, d. h. demjenigen Theile der Burschenschaft, welcher im Gegen¬
satz zu den „Grauen" mit ihrem zu veredelnden Burschenleben phantastisch politische
Thaten wollte, angehört hatte, so fand er eines Tages an seiner Thür die Mahnung
angeheftet, die Stadt sofort zu verlassen. Jene war wohl von der Universitäts¬
behörde selbst ausgegangen, damit Göttingen vor dem Verdacht einer Betheiligung
an demagogischen Untersuchungen behütet werde. Er ging daher nach Jena zurück,
wo er kurze Zeit darauf zum äoetor piu1o8ovnii>,s durch eine aus seinen byzantinischen
Studien gewonnene Dissertation über Johannes Grammaticus im Mai 1820
promovirt wurde. Hierauf zog er nach Erlangen, veranlaßt durch seiue Freund¬
schaft mit Franz von Tucher, um sich dort durch eine Dissertation Laxouum
oriAns -zu habilitiren. Er hielt Vorträge über das deutsche Epos, das Nibe¬
lungenlied und über neuere Geschichte nach Spittler. Damit schließen die „Er¬
innerungen" ab.


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[0217] Erinnerungen an Heinrich Leo. der deutschen Burschenschaft, welche Leo giebt, ist wohl die unbefangenste und competenteste Darstellung jener wichtigen Epoche des deutschen Universitätslcbens und erhält dadurch besondre Bedeutung, daß Leo in hervorragender Weise an den Bestrebungen der Burschenschaft betheiligt war. Der Glanzpunkt der ganzen Erzählung ist die Beschreibung des Wartburgfestes mit seinen Jngendidealcn und Thorheiten. Belustigend ist die Angabe, daß der Hauptführcr Maßmann die mit so hohen und zum Theil großprahlenden Worten verbrannten Bücher nachher erst in der Stille las und exeerpirte, weil ihm einfiel, wie lächerlich es sich auf- nehmen müsse, wenn er, zur Rede gestellt, eingestehen müsse, den größten Theil derselben noch nicht einmal von weitem erblickt zu haben. Leo spricht sich übrigens über die Folgen des Wartburgfestes folgender¬ maßen (S. 184) aus: „Die Regierungen haben einen Mißgriff begangen, wenn sie später den bösen Einfluß der Professoren so stark betonten, denn dieser böse Einfluß bestand wesentlich nur in der moralischen Schwäche der Professoren. Leider aber wußte in den Regierungen niemand, wie die Sachen eigentlich standen; und so hat man zu spät und in einer Weise eingegriffen, die nur zu' unendlich gehässigen Gerede Anlaß gab." Dies fehlerhafte Verfahren wurde später von solchen Männern bestätigt, welche die Untersuchung gegen die „Demagogen" ge¬ führt, also Einsicht in die ganze nebelhafte Masse der Wünsche und Bestrebungen erlangt haben. Im Jahre 1819 löste sich Leo völlig von der Burschenschaft. Nach einem kurzen, für ihn glücklichen Verhör über seine Verhältnisse zu Sand, dessen Charakter und gewöhnlichen Umgang ging Leo nach Göttingen. Hier schlug C. F. Eichhorns Deutsches Staats-Recht ihn in allen seinen demagogischen Ansichten gänzlich um, uoch mehr die Privatgespräche mit dem berühmten Rechtsgelehrten. Da er aber ein „Schwarzer" gewesen, d. h. demjenigen Theile der Burschenschaft, welcher im Gegen¬ satz zu den „Grauen" mit ihrem zu veredelnden Burschenleben phantastisch politische Thaten wollte, angehört hatte, so fand er eines Tages an seiner Thür die Mahnung angeheftet, die Stadt sofort zu verlassen. Jene war wohl von der Universitäts¬ behörde selbst ausgegangen, damit Göttingen vor dem Verdacht einer Betheiligung an demagogischen Untersuchungen behütet werde. Er ging daher nach Jena zurück, wo er kurze Zeit darauf zum äoetor piu1o8ovnii>,s durch eine aus seinen byzantinischen Studien gewonnene Dissertation über Johannes Grammaticus im Mai 1820 promovirt wurde. Hierauf zog er nach Erlangen, veranlaßt durch seiue Freund¬ schaft mit Franz von Tucher, um sich dort durch eine Dissertation Laxouum oriAns -zu habilitiren. Er hielt Vorträge über das deutsche Epos, das Nibe¬ lungenlied und über neuere Geschichte nach Spittler. Damit schließen die „Er¬ innerungen" ab.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/217>, abgerufen am 28.07.2024.