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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Max Niarta von Weber.

Irrthum seines Urtheils und seiner Empfindung mit unterlief, so fühlten wir
Gäste an jenem letzten Abend in dem allzeit gastlichen Hause doch vor allem nur
die Schwere des gefaßten Entschlusses und die Wehmuth eines Scheidens, das keine
andre Satisfaction bot, als eben unser Bedauern. Wohl durfte man dem statt¬
lichen, in der Fülle der Kraft und in nngebrochner geistiger Frische stehenden
Manne, der selbst tiefbewegt uns andren über den Ernst der Stunde hinweg¬
zuhelfen suchte, noch ein langes thätiges Leben voraussagen, durfte die besten
Hoffnungen für ihn hegen. Aber es blieb nichts desto weniger gewiß, daß es
ihn hart ankam sich von seiner Vergangenheit zu trennen. Und so waren wir
sämmtlich im Begriff düster und schweigsam zu werden, kein gutes, kräftiges Wort
wollte die trübe Stimmung, die uns beschlich, durchbrechen, jene unheimliche Macht
war über uns, die uns zwingt auch beim Rückblick in das Vergangne gerade
auf die düstern, freudlosen Momente, auf herbe Erfahrungen und Enttäuschungen
hinzustarrcn. Da mit einem male erklangen von fern und durch die nachtstillen
Gärten rauschende, stärker heranfluthende Töne, aus denen wir alsbald mit dem
auflauschenden Hausherrn zugleich, den türkischen Marsch aus Carl Maria
von Webers "Oberen" erkannten. Die dunkle Straße füllte sich mit rothem
Fackellicht und mit Schaaren kräftiger Gestalten, die im Geheimniß befindliche
Hausfrau aber sagte lächelnd ihrem Gatten: "Es sind die Locomotivführer, Max!"
Dem Gefeierten, dem der Fackelzug der schlichten Männer galt, welche sich, soviel
ihrer an diesem Abend nicht im schweren, verantwortungsvollen Dienst beschäftigt
waren, von allen Staatsbcchuen des Königreichs Sachsen vereinigt hatten, stürzten
die Thränen aus den Augen. In dieser Stunde, gegenüber der Liebe und treuen
Anhänglichkeit dieser Untergebnen, für die er immer ein Herz gehabt und für
die er eingetreten war, wo er mußte und konnte, gegenüber den rührenden Worten
und Zeichen ihrer Dankbarkeit, mußte es Max Maria von Weber vor die Seele
trete", daß auf jeden Fall sein Wirken in der Heimat kein vergebliches gewesen,
daß er Liebe gesät und geerntet, bei Hunderten die Freudigkeit zum mühevollen
Beruf geweckt und erhalten habe, daß sein Andenken gesegnet bleiben werde. Wir
alle, die wir die lösende, erhebende Freude jener Stunde theilten, in der die
wackre Schnur den frischbelaubten Garten des kleinen Hauses dicht anfüllte,
Weber zwischen ihren Reihen auf- und abschritt und die anwesenden Damen
umhereilten, ja flogen, um die rauhen, ernsten und in ihrer Art tiefbewegten
Männer mit einem goldnen Trunk zu erquicken, faßten plötzlich Hoffnung auf
Heimkehr des eben Scheidenden. Freilich eine andre Heimkehr träumten wir,
als die nnn gekommen ist, wo erst, nach wenigen Jahren, der Ueberlebende die
treue Gattin zur letzten Ruhe an der Seite des berühmten Vaters in Dresden
zu betten hatte und wo nun, nach genau einem Jahrzehnt, er selbst in der


Max Niarta von Weber.

Irrthum seines Urtheils und seiner Empfindung mit unterlief, so fühlten wir
Gäste an jenem letzten Abend in dem allzeit gastlichen Hause doch vor allem nur
die Schwere des gefaßten Entschlusses und die Wehmuth eines Scheidens, das keine
andre Satisfaction bot, als eben unser Bedauern. Wohl durfte man dem statt¬
lichen, in der Fülle der Kraft und in nngebrochner geistiger Frische stehenden
Manne, der selbst tiefbewegt uns andren über den Ernst der Stunde hinweg¬
zuhelfen suchte, noch ein langes thätiges Leben voraussagen, durfte die besten
Hoffnungen für ihn hegen. Aber es blieb nichts desto weniger gewiß, daß es
ihn hart ankam sich von seiner Vergangenheit zu trennen. Und so waren wir
sämmtlich im Begriff düster und schweigsam zu werden, kein gutes, kräftiges Wort
wollte die trübe Stimmung, die uns beschlich, durchbrechen, jene unheimliche Macht
war über uns, die uns zwingt auch beim Rückblick in das Vergangne gerade
auf die düstern, freudlosen Momente, auf herbe Erfahrungen und Enttäuschungen
hinzustarrcn. Da mit einem male erklangen von fern und durch die nachtstillen
Gärten rauschende, stärker heranfluthende Töne, aus denen wir alsbald mit dem
auflauschenden Hausherrn zugleich, den türkischen Marsch aus Carl Maria
von Webers „Oberen" erkannten. Die dunkle Straße füllte sich mit rothem
Fackellicht und mit Schaaren kräftiger Gestalten, die im Geheimniß befindliche
Hausfrau aber sagte lächelnd ihrem Gatten: „Es sind die Locomotivführer, Max!"
Dem Gefeierten, dem der Fackelzug der schlichten Männer galt, welche sich, soviel
ihrer an diesem Abend nicht im schweren, verantwortungsvollen Dienst beschäftigt
waren, von allen Staatsbcchuen des Königreichs Sachsen vereinigt hatten, stürzten
die Thränen aus den Augen. In dieser Stunde, gegenüber der Liebe und treuen
Anhänglichkeit dieser Untergebnen, für die er immer ein Herz gehabt und für
die er eingetreten war, wo er mußte und konnte, gegenüber den rührenden Worten
und Zeichen ihrer Dankbarkeit, mußte es Max Maria von Weber vor die Seele
trete», daß auf jeden Fall sein Wirken in der Heimat kein vergebliches gewesen,
daß er Liebe gesät und geerntet, bei Hunderten die Freudigkeit zum mühevollen
Beruf geweckt und erhalten habe, daß sein Andenken gesegnet bleiben werde. Wir
alle, die wir die lösende, erhebende Freude jener Stunde theilten, in der die
wackre Schnur den frischbelaubten Garten des kleinen Hauses dicht anfüllte,
Weber zwischen ihren Reihen auf- und abschritt und die anwesenden Damen
umhereilten, ja flogen, um die rauhen, ernsten und in ihrer Art tiefbewegten
Männer mit einem goldnen Trunk zu erquicken, faßten plötzlich Hoffnung auf
Heimkehr des eben Scheidenden. Freilich eine andre Heimkehr träumten wir,
als die nnn gekommen ist, wo erst, nach wenigen Jahren, der Ueberlebende die
treue Gattin zur letzten Ruhe an der Seite des berühmten Vaters in Dresden
zu betten hatte und wo nun, nach genau einem Jahrzehnt, er selbst in der


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[0174] Max Niarta von Weber. Irrthum seines Urtheils und seiner Empfindung mit unterlief, so fühlten wir Gäste an jenem letzten Abend in dem allzeit gastlichen Hause doch vor allem nur die Schwere des gefaßten Entschlusses und die Wehmuth eines Scheidens, das keine andre Satisfaction bot, als eben unser Bedauern. Wohl durfte man dem statt¬ lichen, in der Fülle der Kraft und in nngebrochner geistiger Frische stehenden Manne, der selbst tiefbewegt uns andren über den Ernst der Stunde hinweg¬ zuhelfen suchte, noch ein langes thätiges Leben voraussagen, durfte die besten Hoffnungen für ihn hegen. Aber es blieb nichts desto weniger gewiß, daß es ihn hart ankam sich von seiner Vergangenheit zu trennen. Und so waren wir sämmtlich im Begriff düster und schweigsam zu werden, kein gutes, kräftiges Wort wollte die trübe Stimmung, die uns beschlich, durchbrechen, jene unheimliche Macht war über uns, die uns zwingt auch beim Rückblick in das Vergangne gerade auf die düstern, freudlosen Momente, auf herbe Erfahrungen und Enttäuschungen hinzustarrcn. Da mit einem male erklangen von fern und durch die nachtstillen Gärten rauschende, stärker heranfluthende Töne, aus denen wir alsbald mit dem auflauschenden Hausherrn zugleich, den türkischen Marsch aus Carl Maria von Webers „Oberen" erkannten. Die dunkle Straße füllte sich mit rothem Fackellicht und mit Schaaren kräftiger Gestalten, die im Geheimniß befindliche Hausfrau aber sagte lächelnd ihrem Gatten: „Es sind die Locomotivführer, Max!" Dem Gefeierten, dem der Fackelzug der schlichten Männer galt, welche sich, soviel ihrer an diesem Abend nicht im schweren, verantwortungsvollen Dienst beschäftigt waren, von allen Staatsbcchuen des Königreichs Sachsen vereinigt hatten, stürzten die Thränen aus den Augen. In dieser Stunde, gegenüber der Liebe und treuen Anhänglichkeit dieser Untergebnen, für die er immer ein Herz gehabt und für die er eingetreten war, wo er mußte und konnte, gegenüber den rührenden Worten und Zeichen ihrer Dankbarkeit, mußte es Max Maria von Weber vor die Seele trete», daß auf jeden Fall sein Wirken in der Heimat kein vergebliches gewesen, daß er Liebe gesät und geerntet, bei Hunderten die Freudigkeit zum mühevollen Beruf geweckt und erhalten habe, daß sein Andenken gesegnet bleiben werde. Wir alle, die wir die lösende, erhebende Freude jener Stunde theilten, in der die wackre Schnur den frischbelaubten Garten des kleinen Hauses dicht anfüllte, Weber zwischen ihren Reihen auf- und abschritt und die anwesenden Damen umhereilten, ja flogen, um die rauhen, ernsten und in ihrer Art tiefbewegten Männer mit einem goldnen Trunk zu erquicken, faßten plötzlich Hoffnung auf Heimkehr des eben Scheidenden. Freilich eine andre Heimkehr träumten wir, als die nnn gekommen ist, wo erst, nach wenigen Jahren, der Ueberlebende die treue Gattin zur letzten Ruhe an der Seite des berühmten Vaters in Dresden zu betten hatte und wo nun, nach genau einem Jahrzehnt, er selbst in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/174>, abgerufen am 01.07.2024.