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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Neue Dramen.

heroische und edle Natur verherrlicht. Die ganze Tragödie läuft auf eine so
alberne und widerwärtig phrasenhafte Verherrlichung der dümmsten Greuel und
albernsten Brutalitäten der glorreichen französischen Schreckenszeit hinaus, daß
man sich um ein halbes Jahrhundert zurückversetzt fühlt. Obschon der Verfasser
der moralischen Charakteristik Büchners seine idealisirende entegegensetzt, hat er
es sich nicht versagen können, ihn zu Anfang des zweiten Actes in seiner Wohnung
zu Paris im prunkvoll ausgestatteten Saale, an reich gedeckter Tafel und mit
einer "Schaar Freudenmädchen" vorzuführen und damit freilich in die Büchnersche
Auffassung zu verfallen. Ein wunderlich phantastisches Werk, eines von jenen,
ans welche sich die Theater wohl berufen können, wenn sie von Unmöglichkeiten
reden, die ihnen angesonnen worden, "Geist und Purpur" von Percy
Andreä (Bühnenmannseript) spielt gleichfalls im 18. Jahrhundert, hat aber
keinen irgend erkennbaren historischen Hintergrund, entbehrt in seiner Anlage und
Durchführung aller Klarheit und in den unbestimmten Charakteren (der König,
der Dichter, der Graf, der Baron u. s. w.) jedes tiefern Lebeus. Doch ist ein
jugendlicher Pathos in der Tragödie, dem man wohl eine Klärung und den
Anschluß an eine glaubhafte, innerlich nothwendige Handlung wünschen möchte.

Bedeutend über die vorgenannten erhebt sich ein dramatisches Gedicht "Na¬
poleon" von O t t v H a r n a et (Dorpat, Karoos Universitätsbuchhandlung), welches
den Versuch macht, Schicksale und den Sturz des Imperators auf wenige große
Gruppen zurückzuführen. Es ist eine energische und in gewissem Sinne bewunderns-
werthe Cvueeutrativusfähigkeit in dieser Erstlingsarbeit, deren Handlung mit der
Scheidung Napoleons von Josefine beginnt, welche der Dichter als Schuld seines
Helden, als den Abfall Napoleons von sich selbst auffaßt, und mit der Ab-
schiedsscene von Fontainebleau endet. Ihre Schwäche liegt in einem Schwanken
zwischen realistischem und abstract idealistischen Stil, das natürlich zur Folge
hat, daß dein Dichter nur die Beseelung einzelner Scenen, diese allerdings vor¬
züglich, nicht aber der ganzen Erfindung gelingt.

Während bei diesem "Napoleon" auch den besten Willen und das weiteste
Entgegenkommen der realen Bühne vorausgesetzt, an eine Darstellung schwerlich
zu denken ist, wenden sich zwei Schauspiele mit deutsch-historischen: Hintergrund
so direct und unmittelbar an eben diese Bühne, daß es nur in den Verhältnissen
seine Erklärung findet, wenn eben diese.Werke doch nur vereinzelte Aufführungen
erlebten. Namentlich bedauern wir dies für das prächtig frische und bewegte
Schauspiel "Die Weiber von Schorndorf" von PaulHeyse (Berlin, Besser),
welches einen erneuten Beweis giebt, daß der Dichter wohlgethan sich nicht, wie
ihm einzelne Kritiker beständig rathen, auf seine "Specialität" die Novelle ein¬
zuschränken. Die bekannte lustige Erzählung von den heroischen Thaten der


Neue Dramen.

heroische und edle Natur verherrlicht. Die ganze Tragödie läuft auf eine so
alberne und widerwärtig phrasenhafte Verherrlichung der dümmsten Greuel und
albernsten Brutalitäten der glorreichen französischen Schreckenszeit hinaus, daß
man sich um ein halbes Jahrhundert zurückversetzt fühlt. Obschon der Verfasser
der moralischen Charakteristik Büchners seine idealisirende entegegensetzt, hat er
es sich nicht versagen können, ihn zu Anfang des zweiten Actes in seiner Wohnung
zu Paris im prunkvoll ausgestatteten Saale, an reich gedeckter Tafel und mit
einer „Schaar Freudenmädchen" vorzuführen und damit freilich in die Büchnersche
Auffassung zu verfallen. Ein wunderlich phantastisches Werk, eines von jenen,
ans welche sich die Theater wohl berufen können, wenn sie von Unmöglichkeiten
reden, die ihnen angesonnen worden, „Geist und Purpur" von Percy
Andreä (Bühnenmannseript) spielt gleichfalls im 18. Jahrhundert, hat aber
keinen irgend erkennbaren historischen Hintergrund, entbehrt in seiner Anlage und
Durchführung aller Klarheit und in den unbestimmten Charakteren (der König,
der Dichter, der Graf, der Baron u. s. w.) jedes tiefern Lebeus. Doch ist ein
jugendlicher Pathos in der Tragödie, dem man wohl eine Klärung und den
Anschluß an eine glaubhafte, innerlich nothwendige Handlung wünschen möchte.

Bedeutend über die vorgenannten erhebt sich ein dramatisches Gedicht „Na¬
poleon" von O t t v H a r n a et (Dorpat, Karoos Universitätsbuchhandlung), welches
den Versuch macht, Schicksale und den Sturz des Imperators auf wenige große
Gruppen zurückzuführen. Es ist eine energische und in gewissem Sinne bewunderns-
werthe Cvueeutrativusfähigkeit in dieser Erstlingsarbeit, deren Handlung mit der
Scheidung Napoleons von Josefine beginnt, welche der Dichter als Schuld seines
Helden, als den Abfall Napoleons von sich selbst auffaßt, und mit der Ab-
schiedsscene von Fontainebleau endet. Ihre Schwäche liegt in einem Schwanken
zwischen realistischem und abstract idealistischen Stil, das natürlich zur Folge
hat, daß dein Dichter nur die Beseelung einzelner Scenen, diese allerdings vor¬
züglich, nicht aber der ganzen Erfindung gelingt.

Während bei diesem „Napoleon" auch den besten Willen und das weiteste
Entgegenkommen der realen Bühne vorausgesetzt, an eine Darstellung schwerlich
zu denken ist, wenden sich zwei Schauspiele mit deutsch-historischen: Hintergrund
so direct und unmittelbar an eben diese Bühne, daß es nur in den Verhältnissen
seine Erklärung findet, wenn eben diese.Werke doch nur vereinzelte Aufführungen
erlebten. Namentlich bedauern wir dies für das prächtig frische und bewegte
Schauspiel „Die Weiber von Schorndorf" von PaulHeyse (Berlin, Besser),
welches einen erneuten Beweis giebt, daß der Dichter wohlgethan sich nicht, wie
ihm einzelne Kritiker beständig rathen, auf seine „Specialität" die Novelle ein¬
zuschränken. Die bekannte lustige Erzählung von den heroischen Thaten der


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[0138] Neue Dramen. heroische und edle Natur verherrlicht. Die ganze Tragödie läuft auf eine so alberne und widerwärtig phrasenhafte Verherrlichung der dümmsten Greuel und albernsten Brutalitäten der glorreichen französischen Schreckenszeit hinaus, daß man sich um ein halbes Jahrhundert zurückversetzt fühlt. Obschon der Verfasser der moralischen Charakteristik Büchners seine idealisirende entegegensetzt, hat er es sich nicht versagen können, ihn zu Anfang des zweiten Actes in seiner Wohnung zu Paris im prunkvoll ausgestatteten Saale, an reich gedeckter Tafel und mit einer „Schaar Freudenmädchen" vorzuführen und damit freilich in die Büchnersche Auffassung zu verfallen. Ein wunderlich phantastisches Werk, eines von jenen, ans welche sich die Theater wohl berufen können, wenn sie von Unmöglichkeiten reden, die ihnen angesonnen worden, „Geist und Purpur" von Percy Andreä (Bühnenmannseript) spielt gleichfalls im 18. Jahrhundert, hat aber keinen irgend erkennbaren historischen Hintergrund, entbehrt in seiner Anlage und Durchführung aller Klarheit und in den unbestimmten Charakteren (der König, der Dichter, der Graf, der Baron u. s. w.) jedes tiefern Lebeus. Doch ist ein jugendlicher Pathos in der Tragödie, dem man wohl eine Klärung und den Anschluß an eine glaubhafte, innerlich nothwendige Handlung wünschen möchte. Bedeutend über die vorgenannten erhebt sich ein dramatisches Gedicht „Na¬ poleon" von O t t v H a r n a et (Dorpat, Karoos Universitätsbuchhandlung), welches den Versuch macht, Schicksale und den Sturz des Imperators auf wenige große Gruppen zurückzuführen. Es ist eine energische und in gewissem Sinne bewunderns- werthe Cvueeutrativusfähigkeit in dieser Erstlingsarbeit, deren Handlung mit der Scheidung Napoleons von Josefine beginnt, welche der Dichter als Schuld seines Helden, als den Abfall Napoleons von sich selbst auffaßt, und mit der Ab- schiedsscene von Fontainebleau endet. Ihre Schwäche liegt in einem Schwanken zwischen realistischem und abstract idealistischen Stil, das natürlich zur Folge hat, daß dein Dichter nur die Beseelung einzelner Scenen, diese allerdings vor¬ züglich, nicht aber der ganzen Erfindung gelingt. Während bei diesem „Napoleon" auch den besten Willen und das weiteste Entgegenkommen der realen Bühne vorausgesetzt, an eine Darstellung schwerlich zu denken ist, wenden sich zwei Schauspiele mit deutsch-historischen: Hintergrund so direct und unmittelbar an eben diese Bühne, daß es nur in den Verhältnissen seine Erklärung findet, wenn eben diese.Werke doch nur vereinzelte Aufführungen erlebten. Namentlich bedauern wir dies für das prächtig frische und bewegte Schauspiel „Die Weiber von Schorndorf" von PaulHeyse (Berlin, Besser), welches einen erneuten Beweis giebt, daß der Dichter wohlgethan sich nicht, wie ihm einzelne Kritiker beständig rathen, auf seine „Specialität" die Novelle ein¬ zuschränken. Die bekannte lustige Erzählung von den heroischen Thaten der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/138>, abgerufen am 23.07.2024.