Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
politische Briefe.

läßt, wenn er gehäufte Niederlagen erleidet, nicht um irgend einen Fractions-
willen an die Stelle des Führers zu scheu, sondern um in dem Geschäfte der
Staatsausbeutung eine Weile zu pausiren, zu Gunsten der concurrirenden großen
Firma. In alten Geschichten findet man allerdings mancherlei über politische
Theoreme der Tones und Whigs. Wir Deutschen wissen in diesen Dingen
weit besser Bescheid als die Leute in England, wo man den Ursprung der regie¬
renden Firmen als etwas Unvordenkliches ansieht und wo jeder weiß, daß die
Theoreme, welche von den Firmen in der Gegenwart mitgeschleppt und gele¬
gentlich lcmcirt werden, lediglich ein Theil jenes Humbugs oder, wenn das
höflicher ist, jener unentbehrlichen Fiktionen sind, von denen das englische Staats¬
wesen über und über voll ist.

Das Herrschaftsmonopol dieser beiden oligarchischen Firmen auf die bunt¬
scheckigen, zwischen Theoremen und Gesellschaftsvedürfnifsen unsicher schwanken¬
den Parteien Deutschlands übertragen zu wollen, ist genau so witzig, als wenn
ein Knabe bitten wollte, man möge ihm ans dem Horne des Mondes ein Jagd¬
horn machen, worauf er blasen könne. Aber Achtung vor diesem Witz, er ist
zur Zeit noch bei uns eine verbreitete Parteiweisheit.

Es soll hier nicht übergangen werden, daß in England Parteibildungen, die
den continentalen Parteien analog sind, mehr und mehr begonnen haben seit der
Mitte dieses Jahrhunderts hervorzutreten. Es sind dies die eigentlichen Par¬
teien, und gerade darum wahre Parteien, weil sie nicht regieren. Sie sind in
den Kreisen der regierten Stände entstanden, aber sie haben sich nach englischer
Weise den regierenden Parteien als Hilfstruppen zugesellt, sie haben anderer¬
seits begonnen, die Abhängigkeit der regierten Kreise von der Oligarchie zu
lockern, und es ist möglich, daß sie eines Tages die Oligarchie zerstören. Dann
ist es aber auch mit der sogenannten Parteiregierung vorbei, denn ein Staat,
namentlich ein großer Staat, eine Weltmacht, kann niemals von Parteien re¬
giert werden. Die sogenannten regierenden Parteien Englands waren eben
keine Parteien. Auf der unglaubliche" Dauer, welche die unglaubliche Ver¬
wechselung der oligarchischen Firmen mit politischen Parteien behauptet hat,
beruht einer der folgenschwersten Irrthümer des Continents, durch welchen eine
Reihe von Staaten vor unsern Augen täglich zerrüttet werden.

England war der einzige Staat, in welchem beim Uebergange aus dem
Mittelalter in die moderne Zeit die Monarchie nicht die Stände überwältigte,
sondern wo die Stände die Monarchie überwältigten. So wurde in der "glor¬
reichen" Revolution des siebzehnten Jahrhunderts die aristokratische Republik
mit einen: monarchischen Ornament und zahlreichen andern Fictionen gegründet.
Das regierte Volk ertrug das aristokratische Regiment aus zwei Gründen. Der
erste Grund ist die formale Rechtsgleichheit und das System der zahlreichen


politische Briefe.

läßt, wenn er gehäufte Niederlagen erleidet, nicht um irgend einen Fractions-
willen an die Stelle des Führers zu scheu, sondern um in dem Geschäfte der
Staatsausbeutung eine Weile zu pausiren, zu Gunsten der concurrirenden großen
Firma. In alten Geschichten findet man allerdings mancherlei über politische
Theoreme der Tones und Whigs. Wir Deutschen wissen in diesen Dingen
weit besser Bescheid als die Leute in England, wo man den Ursprung der regie¬
renden Firmen als etwas Unvordenkliches ansieht und wo jeder weiß, daß die
Theoreme, welche von den Firmen in der Gegenwart mitgeschleppt und gele¬
gentlich lcmcirt werden, lediglich ein Theil jenes Humbugs oder, wenn das
höflicher ist, jener unentbehrlichen Fiktionen sind, von denen das englische Staats¬
wesen über und über voll ist.

Das Herrschaftsmonopol dieser beiden oligarchischen Firmen auf die bunt¬
scheckigen, zwischen Theoremen und Gesellschaftsvedürfnifsen unsicher schwanken¬
den Parteien Deutschlands übertragen zu wollen, ist genau so witzig, als wenn
ein Knabe bitten wollte, man möge ihm ans dem Horne des Mondes ein Jagd¬
horn machen, worauf er blasen könne. Aber Achtung vor diesem Witz, er ist
zur Zeit noch bei uns eine verbreitete Parteiweisheit.

Es soll hier nicht übergangen werden, daß in England Parteibildungen, die
den continentalen Parteien analog sind, mehr und mehr begonnen haben seit der
Mitte dieses Jahrhunderts hervorzutreten. Es sind dies die eigentlichen Par¬
teien, und gerade darum wahre Parteien, weil sie nicht regieren. Sie sind in
den Kreisen der regierten Stände entstanden, aber sie haben sich nach englischer
Weise den regierenden Parteien als Hilfstruppen zugesellt, sie haben anderer¬
seits begonnen, die Abhängigkeit der regierten Kreise von der Oligarchie zu
lockern, und es ist möglich, daß sie eines Tages die Oligarchie zerstören. Dann
ist es aber auch mit der sogenannten Parteiregierung vorbei, denn ein Staat,
namentlich ein großer Staat, eine Weltmacht, kann niemals von Parteien re¬
giert werden. Die sogenannten regierenden Parteien Englands waren eben
keine Parteien. Auf der unglaubliche» Dauer, welche die unglaubliche Ver¬
wechselung der oligarchischen Firmen mit politischen Parteien behauptet hat,
beruht einer der folgenschwersten Irrthümer des Continents, durch welchen eine
Reihe von Staaten vor unsern Augen täglich zerrüttet werden.

England war der einzige Staat, in welchem beim Uebergange aus dem
Mittelalter in die moderne Zeit die Monarchie nicht die Stände überwältigte,
sondern wo die Stände die Monarchie überwältigten. So wurde in der „glor¬
reichen" Revolution des siebzehnten Jahrhunderts die aristokratische Republik
mit einen: monarchischen Ornament und zahlreichen andern Fictionen gegründet.
Das regierte Volk ertrug das aristokratische Regiment aus zwei Gründen. Der
erste Grund ist die formale Rechtsgleichheit und das System der zahlreichen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0063" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149047"/>
          <fw type="header" place="top"> politische Briefe.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_147" prev="#ID_146"> läßt, wenn er gehäufte Niederlagen erleidet, nicht um irgend einen Fractions-<lb/>
willen an die Stelle des Führers zu scheu, sondern um in dem Geschäfte der<lb/>
Staatsausbeutung eine Weile zu pausiren, zu Gunsten der concurrirenden großen<lb/>
Firma. In alten Geschichten findet man allerdings mancherlei über politische<lb/>
Theoreme der Tones und Whigs. Wir Deutschen wissen in diesen Dingen<lb/>
weit besser Bescheid als die Leute in England, wo man den Ursprung der regie¬<lb/>
renden Firmen als etwas Unvordenkliches ansieht und wo jeder weiß, daß die<lb/>
Theoreme, welche von den Firmen in der Gegenwart mitgeschleppt und gele¬<lb/>
gentlich lcmcirt werden, lediglich ein Theil jenes Humbugs oder, wenn das<lb/>
höflicher ist, jener unentbehrlichen Fiktionen sind, von denen das englische Staats¬<lb/>
wesen über und über voll ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_148"> Das Herrschaftsmonopol dieser beiden oligarchischen Firmen auf die bunt¬<lb/>
scheckigen, zwischen Theoremen und Gesellschaftsvedürfnifsen unsicher schwanken¬<lb/>
den Parteien Deutschlands übertragen zu wollen, ist genau so witzig, als wenn<lb/>
ein Knabe bitten wollte, man möge ihm ans dem Horne des Mondes ein Jagd¬<lb/>
horn machen, worauf er blasen könne. Aber Achtung vor diesem Witz, er ist<lb/>
zur Zeit noch bei uns eine verbreitete Parteiweisheit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_149"> Es soll hier nicht übergangen werden, daß in England Parteibildungen, die<lb/>
den continentalen Parteien analog sind, mehr und mehr begonnen haben seit der<lb/>
Mitte dieses Jahrhunderts hervorzutreten. Es sind dies die eigentlichen Par¬<lb/>
teien, und gerade darum wahre Parteien, weil sie nicht regieren. Sie sind in<lb/>
den Kreisen der regierten Stände entstanden, aber sie haben sich nach englischer<lb/>
Weise den regierenden Parteien als Hilfstruppen zugesellt, sie haben anderer¬<lb/>
seits begonnen, die Abhängigkeit der regierten Kreise von der Oligarchie zu<lb/>
lockern, und es ist möglich, daß sie eines Tages die Oligarchie zerstören. Dann<lb/>
ist es aber auch mit der sogenannten Parteiregierung vorbei, denn ein Staat,<lb/>
namentlich ein großer Staat, eine Weltmacht, kann niemals von Parteien re¬<lb/>
giert werden. Die sogenannten regierenden Parteien Englands waren eben<lb/>
keine Parteien. Auf der unglaubliche» Dauer, welche die unglaubliche Ver¬<lb/>
wechselung der oligarchischen Firmen mit politischen Parteien behauptet hat,<lb/>
beruht einer der folgenschwersten Irrthümer des Continents, durch welchen eine<lb/>
Reihe von Staaten vor unsern Augen täglich zerrüttet werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_150" next="#ID_151"> England war der einzige Staat, in welchem beim Uebergange aus dem<lb/>
Mittelalter in die moderne Zeit die Monarchie nicht die Stände überwältigte,<lb/>
sondern wo die Stände die Monarchie überwältigten. So wurde in der &#x201E;glor¬<lb/>
reichen" Revolution des siebzehnten Jahrhunderts die aristokratische Republik<lb/>
mit einen: monarchischen Ornament und zahlreichen andern Fictionen gegründet.<lb/>
Das regierte Volk ertrug das aristokratische Regiment aus zwei Gründen. Der<lb/>
erste Grund ist die formale Rechtsgleichheit und das System der zahlreichen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0063] politische Briefe. läßt, wenn er gehäufte Niederlagen erleidet, nicht um irgend einen Fractions- willen an die Stelle des Führers zu scheu, sondern um in dem Geschäfte der Staatsausbeutung eine Weile zu pausiren, zu Gunsten der concurrirenden großen Firma. In alten Geschichten findet man allerdings mancherlei über politische Theoreme der Tones und Whigs. Wir Deutschen wissen in diesen Dingen weit besser Bescheid als die Leute in England, wo man den Ursprung der regie¬ renden Firmen als etwas Unvordenkliches ansieht und wo jeder weiß, daß die Theoreme, welche von den Firmen in der Gegenwart mitgeschleppt und gele¬ gentlich lcmcirt werden, lediglich ein Theil jenes Humbugs oder, wenn das höflicher ist, jener unentbehrlichen Fiktionen sind, von denen das englische Staats¬ wesen über und über voll ist. Das Herrschaftsmonopol dieser beiden oligarchischen Firmen auf die bunt¬ scheckigen, zwischen Theoremen und Gesellschaftsvedürfnifsen unsicher schwanken¬ den Parteien Deutschlands übertragen zu wollen, ist genau so witzig, als wenn ein Knabe bitten wollte, man möge ihm ans dem Horne des Mondes ein Jagd¬ horn machen, worauf er blasen könne. Aber Achtung vor diesem Witz, er ist zur Zeit noch bei uns eine verbreitete Parteiweisheit. Es soll hier nicht übergangen werden, daß in England Parteibildungen, die den continentalen Parteien analog sind, mehr und mehr begonnen haben seit der Mitte dieses Jahrhunderts hervorzutreten. Es sind dies die eigentlichen Par¬ teien, und gerade darum wahre Parteien, weil sie nicht regieren. Sie sind in den Kreisen der regierten Stände entstanden, aber sie haben sich nach englischer Weise den regierenden Parteien als Hilfstruppen zugesellt, sie haben anderer¬ seits begonnen, die Abhängigkeit der regierten Kreise von der Oligarchie zu lockern, und es ist möglich, daß sie eines Tages die Oligarchie zerstören. Dann ist es aber auch mit der sogenannten Parteiregierung vorbei, denn ein Staat, namentlich ein großer Staat, eine Weltmacht, kann niemals von Parteien re¬ giert werden. Die sogenannten regierenden Parteien Englands waren eben keine Parteien. Auf der unglaubliche» Dauer, welche die unglaubliche Ver¬ wechselung der oligarchischen Firmen mit politischen Parteien behauptet hat, beruht einer der folgenschwersten Irrthümer des Continents, durch welchen eine Reihe von Staaten vor unsern Augen täglich zerrüttet werden. England war der einzige Staat, in welchem beim Uebergange aus dem Mittelalter in die moderne Zeit die Monarchie nicht die Stände überwältigte, sondern wo die Stände die Monarchie überwältigten. So wurde in der „glor¬ reichen" Revolution des siebzehnten Jahrhunderts die aristokratische Republik mit einen: monarchischen Ornament und zahlreichen andern Fictionen gegründet. Das regierte Volk ertrug das aristokratische Regiment aus zwei Gründen. Der erste Grund ist die formale Rechtsgleichheit und das System der zahlreichen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/63
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/63>, abgerufen am 27.12.2024.