Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite


politische Briefe.
^ Aussichten deutscher parteientwicklnng.

it der deutschen Parteientwicklung hat sich neuerdings der ehe¬
malige Staatsminister Dr. Jolly in einer viel beachteten und
beachtenswerthen Schrift beschäftigt. In dem ebenfalls Ende
vorigen Jahres erschienenen fünften Bande der Biographie Gnei-
scncms ist auch der Verfasser der beiden letzten Bände dieses
Werkes, Hans Delbrück, auf die Entstehung der preußischen Parteien zu sprechen
gekommen, und zwar so, daß er den beherrschenden Ausgangspunkt glücklich ge¬
troffen hat. Auch sonst wird das Thema der Parteien in Deutschland überall
behandelt. Man erkennt in der Parteientwicklung das entscheidende Moment
oder vielleicht wenigstens das entscheidende Symptom der innern Politik. Das
vergangene Jahr aber wird sehr fälschlich wegen Unfruchtbarkeit gescholten. In
der Klarheit über das Wesen der Parteien, das heißt also über die innern
Ziele unsers Staatslebens, hat das letzte Jahr im stillen ein großes Wachs¬
thum, wenn auch noch nicht die reife Frucht gezeitigt.

Hoffentlich ist doch jetzt die Zeit nicht mehr fern, wo wir Deutschen jeden
zum Mitsprechen in der Politik für unfähig erkennen, der nicht den absoluten
Unterschied der englischen von den continentalen Parteien begriffen hat. Alle
kontinentalen Parteien, soweit ihnen eine ernsthafte Bedeutung innewohnt, haben
zum Lebensprineip ein gesellschaftliches, wenn man will, ein Classenbedürfniß
und ein politisches Theorem. Nicht immer ist das Theorem der klare Ausdruck
des Bedürfnisses, und oftmals ist das Theorem, wie auch der Werth desselben


Grenzboten I, 1881. 8


politische Briefe.
^ Aussichten deutscher parteientwicklnng.

it der deutschen Parteientwicklung hat sich neuerdings der ehe¬
malige Staatsminister Dr. Jolly in einer viel beachteten und
beachtenswerthen Schrift beschäftigt. In dem ebenfalls Ende
vorigen Jahres erschienenen fünften Bande der Biographie Gnei-
scncms ist auch der Verfasser der beiden letzten Bände dieses
Werkes, Hans Delbrück, auf die Entstehung der preußischen Parteien zu sprechen
gekommen, und zwar so, daß er den beherrschenden Ausgangspunkt glücklich ge¬
troffen hat. Auch sonst wird das Thema der Parteien in Deutschland überall
behandelt. Man erkennt in der Parteientwicklung das entscheidende Moment
oder vielleicht wenigstens das entscheidende Symptom der innern Politik. Das
vergangene Jahr aber wird sehr fälschlich wegen Unfruchtbarkeit gescholten. In
der Klarheit über das Wesen der Parteien, das heißt also über die innern
Ziele unsers Staatslebens, hat das letzte Jahr im stillen ein großes Wachs¬
thum, wenn auch noch nicht die reife Frucht gezeitigt.

Hoffentlich ist doch jetzt die Zeit nicht mehr fern, wo wir Deutschen jeden
zum Mitsprechen in der Politik für unfähig erkennen, der nicht den absoluten
Unterschied der englischen von den continentalen Parteien begriffen hat. Alle
kontinentalen Parteien, soweit ihnen eine ernsthafte Bedeutung innewohnt, haben
zum Lebensprineip ein gesellschaftliches, wenn man will, ein Classenbedürfniß
und ein politisches Theorem. Nicht immer ist das Theorem der klare Ausdruck
des Bedürfnisses, und oftmals ist das Theorem, wie auch der Werth desselben


Grenzboten I, 1881. 8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0061" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149045"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341833_157697/figures/grenzboten_341833_157697_149045_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> politische Briefe.<lb/>
^  Aussichten deutscher parteientwicklnng.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_143"> it der deutschen Parteientwicklung hat sich neuerdings der ehe¬<lb/>
malige Staatsminister Dr. Jolly in einer viel beachteten und<lb/>
beachtenswerthen Schrift beschäftigt. In dem ebenfalls Ende<lb/>
vorigen Jahres erschienenen fünften Bande der Biographie Gnei-<lb/>
scncms ist auch der Verfasser der beiden letzten Bände dieses<lb/>
Werkes, Hans Delbrück, auf die Entstehung der preußischen Parteien zu sprechen<lb/>
gekommen, und zwar so, daß er den beherrschenden Ausgangspunkt glücklich ge¬<lb/>
troffen hat. Auch sonst wird das Thema der Parteien in Deutschland überall<lb/>
behandelt. Man erkennt in der Parteientwicklung das entscheidende Moment<lb/>
oder vielleicht wenigstens das entscheidende Symptom der innern Politik. Das<lb/>
vergangene Jahr aber wird sehr fälschlich wegen Unfruchtbarkeit gescholten. In<lb/>
der Klarheit über das Wesen der Parteien, das heißt also über die innern<lb/>
Ziele unsers Staatslebens, hat das letzte Jahr im stillen ein großes Wachs¬<lb/>
thum, wenn auch noch nicht die reife Frucht gezeitigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_144" next="#ID_145"> Hoffentlich ist doch jetzt die Zeit nicht mehr fern, wo wir Deutschen jeden<lb/>
zum Mitsprechen in der Politik für unfähig erkennen, der nicht den absoluten<lb/>
Unterschied der englischen von den continentalen Parteien begriffen hat. Alle<lb/>
kontinentalen Parteien, soweit ihnen eine ernsthafte Bedeutung innewohnt, haben<lb/>
zum Lebensprineip ein gesellschaftliches, wenn man will, ein Classenbedürfniß<lb/>
und ein politisches Theorem. Nicht immer ist das Theorem der klare Ausdruck<lb/>
des Bedürfnisses, und oftmals ist das Theorem, wie auch der Werth desselben</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I, 1881. 8</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0061] [Abbildung] politische Briefe. ^ Aussichten deutscher parteientwicklnng. it der deutschen Parteientwicklung hat sich neuerdings der ehe¬ malige Staatsminister Dr. Jolly in einer viel beachteten und beachtenswerthen Schrift beschäftigt. In dem ebenfalls Ende vorigen Jahres erschienenen fünften Bande der Biographie Gnei- scncms ist auch der Verfasser der beiden letzten Bände dieses Werkes, Hans Delbrück, auf die Entstehung der preußischen Parteien zu sprechen gekommen, und zwar so, daß er den beherrschenden Ausgangspunkt glücklich ge¬ troffen hat. Auch sonst wird das Thema der Parteien in Deutschland überall behandelt. Man erkennt in der Parteientwicklung das entscheidende Moment oder vielleicht wenigstens das entscheidende Symptom der innern Politik. Das vergangene Jahr aber wird sehr fälschlich wegen Unfruchtbarkeit gescholten. In der Klarheit über das Wesen der Parteien, das heißt also über die innern Ziele unsers Staatslebens, hat das letzte Jahr im stillen ein großes Wachs¬ thum, wenn auch noch nicht die reife Frucht gezeitigt. Hoffentlich ist doch jetzt die Zeit nicht mehr fern, wo wir Deutschen jeden zum Mitsprechen in der Politik für unfähig erkennen, der nicht den absoluten Unterschied der englischen von den continentalen Parteien begriffen hat. Alle kontinentalen Parteien, soweit ihnen eine ernsthafte Bedeutung innewohnt, haben zum Lebensprineip ein gesellschaftliches, wenn man will, ein Classenbedürfniß und ein politisches Theorem. Nicht immer ist das Theorem der klare Ausdruck des Bedürfnisses, und oftmals ist das Theorem, wie auch der Werth desselben Grenzboten I, 1881. 8

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/61
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/61>, abgerufen am 27.12.2024.