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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Sprachliche Rollt'ildnngcn.

führung der neuen Bedeutung stieß auch in Süddeutschland lvegeu der Vermischung
mit der bisherigen ans Schwierigkeiten. Von Joachim Heinrich Campe, dem
bekannten Aufklärer und Jugendschriftsteller, der Ende des vorigen und An¬
fang dieses Jahrhunderts, während der napoleonischen Fremdherrschaft, uner¬
müdlich für die Reinheit unsrer Sprache kämpfte, sind ebenfalls eine Anzahl
Neubildungen, die er für Fremdwörter vorschlug, durchgedrungen, obwohl sie
anfangs von manchen Seiten lebhaft bekämpft wurden. So empfahl er schon
1791 in seinen "Proben einiger Versuche deutscher Sprachbereicherung," für
Carricatur Zerrbild zu sagen. Die "Allgemeine deutsche Bibliothek" verurtheilte
das Wort als unerträglich, und Campe wollte es wirklich zurückziehen. Aber
schon 1798 findet es sich bei Wieland, der sich überhaupt den Cnmpischcn
Vorschlägen bereitwilliger anbequemte als Goethe und Schiller, die dem wohl¬
meinenden" Sprachreiniger in ihren "Genien" arg mitspielten, und 1894 konnte
Jean Paul in seiner "Vorschule der Aesthetik" schreiben, daß das Wort Zerrbild
"an jeder Göttertafel der Dichtkunst zu sitzen fähig" sei. Von andern seiner
Vorschläge, die, anfangs angefochten, bald allgemeines Bürgerrecht fanden, erwähnen
wir noch Kunststraße für Chaussee, stellt indem für Rendezvous, Umwälzung
für Revolution. Ueber das letzte Wort Scheibe Campe selbst 1891 in seinem
"Wörterbuche zur Erklärung und Verdeutschung der unsrer Sprache aufgcdrungnen
fremden Ausdrücke": "Dieses anfangs so laut verworfne Wort hat in der Folge
einen fast allgemeinen Beifall gefunden. Es ist jetzt (neun Jahre, nachdem ich
es in den Briefen, aus Paris geschrieben, zum ersten Male versuchte) gewiß
schon in tausend und mehr Schriften gebraucht worden und daher nunmehr unsrer
Sprache unaustilgbar einverleibt. Selbst viele unsrer größten Schriftsteller haben
mir die Ehre erwiesen, Gebrauch davon zu macheu, z. B. Wieland in den Götter¬
gesprächen und im Merkur, Engel im Fürstenspiegel, Goethe, Kant, Herder." Von
den zahlreichen Neubildungen endlich, die Jahr gewagt hat, mögen wenigstens
zwei genannt sein, die durchgedrungen sind: Volksthum, wovon weiter volks-
thümlich gebildet wurde, und -- turnen.

Man sieht also: daß ein Wort neu und ungewohnt ist, ist an sich kein hin¬
reichender Grund, sich gegen den Gebrauch desselben zu sträuben. Wohl aber
darf man Neubildungen gegenüber die Frage aufwerfen: Sind sie nöthig? Und
sind sie richtig? Neue Gegenstände, neue Vorstellungen und Begriffe verlangen
unbedingt auch neue Wörter. Ein neu erfundnes Geräth, ein neu ersonnener
Kleiderstoff, eine neu entdeckte chemische Verbindung, eine neu beobachtete Krank¬
heit, eine nen entstandne politische Partei -- wie sollte man sie mit den bis
dahin üblichen Worten bezeichnen können? Sie alle verlangen und erhalten auch
alsbald ihre neuen Namen. Es müssen aber keineswegs immer neue Dinge


Sprachliche Rollt'ildnngcn.

führung der neuen Bedeutung stieß auch in Süddeutschland lvegeu der Vermischung
mit der bisherigen ans Schwierigkeiten. Von Joachim Heinrich Campe, dem
bekannten Aufklärer und Jugendschriftsteller, der Ende des vorigen und An¬
fang dieses Jahrhunderts, während der napoleonischen Fremdherrschaft, uner¬
müdlich für die Reinheit unsrer Sprache kämpfte, sind ebenfalls eine Anzahl
Neubildungen, die er für Fremdwörter vorschlug, durchgedrungen, obwohl sie
anfangs von manchen Seiten lebhaft bekämpft wurden. So empfahl er schon
1791 in seinen „Proben einiger Versuche deutscher Sprachbereicherung," für
Carricatur Zerrbild zu sagen. Die „Allgemeine deutsche Bibliothek" verurtheilte
das Wort als unerträglich, und Campe wollte es wirklich zurückziehen. Aber
schon 1798 findet es sich bei Wieland, der sich überhaupt den Cnmpischcn
Vorschlägen bereitwilliger anbequemte als Goethe und Schiller, die dem wohl¬
meinenden» Sprachreiniger in ihren „Genien" arg mitspielten, und 1894 konnte
Jean Paul in seiner „Vorschule der Aesthetik" schreiben, daß das Wort Zerrbild
„an jeder Göttertafel der Dichtkunst zu sitzen fähig" sei. Von andern seiner
Vorschläge, die, anfangs angefochten, bald allgemeines Bürgerrecht fanden, erwähnen
wir noch Kunststraße für Chaussee, stellt indem für Rendezvous, Umwälzung
für Revolution. Ueber das letzte Wort Scheibe Campe selbst 1891 in seinem
„Wörterbuche zur Erklärung und Verdeutschung der unsrer Sprache aufgcdrungnen
fremden Ausdrücke": „Dieses anfangs so laut verworfne Wort hat in der Folge
einen fast allgemeinen Beifall gefunden. Es ist jetzt (neun Jahre, nachdem ich
es in den Briefen, aus Paris geschrieben, zum ersten Male versuchte) gewiß
schon in tausend und mehr Schriften gebraucht worden und daher nunmehr unsrer
Sprache unaustilgbar einverleibt. Selbst viele unsrer größten Schriftsteller haben
mir die Ehre erwiesen, Gebrauch davon zu macheu, z. B. Wieland in den Götter¬
gesprächen und im Merkur, Engel im Fürstenspiegel, Goethe, Kant, Herder." Von
den zahlreichen Neubildungen endlich, die Jahr gewagt hat, mögen wenigstens
zwei genannt sein, die durchgedrungen sind: Volksthum, wovon weiter volks-
thümlich gebildet wurde, und — turnen.

Man sieht also: daß ein Wort neu und ungewohnt ist, ist an sich kein hin¬
reichender Grund, sich gegen den Gebrauch desselben zu sträuben. Wohl aber
darf man Neubildungen gegenüber die Frage aufwerfen: Sind sie nöthig? Und
sind sie richtig? Neue Gegenstände, neue Vorstellungen und Begriffe verlangen
unbedingt auch neue Wörter. Ein neu erfundnes Geräth, ein neu ersonnener
Kleiderstoff, eine neu entdeckte chemische Verbindung, eine neu beobachtete Krank¬
heit, eine nen entstandne politische Partei — wie sollte man sie mit den bis
dahin üblichen Worten bezeichnen können? Sie alle verlangen und erhalten auch
alsbald ihre neuen Namen. Es müssen aber keineswegs immer neue Dinge


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[0576] Sprachliche Rollt'ildnngcn. führung der neuen Bedeutung stieß auch in Süddeutschland lvegeu der Vermischung mit der bisherigen ans Schwierigkeiten. Von Joachim Heinrich Campe, dem bekannten Aufklärer und Jugendschriftsteller, der Ende des vorigen und An¬ fang dieses Jahrhunderts, während der napoleonischen Fremdherrschaft, uner¬ müdlich für die Reinheit unsrer Sprache kämpfte, sind ebenfalls eine Anzahl Neubildungen, die er für Fremdwörter vorschlug, durchgedrungen, obwohl sie anfangs von manchen Seiten lebhaft bekämpft wurden. So empfahl er schon 1791 in seinen „Proben einiger Versuche deutscher Sprachbereicherung," für Carricatur Zerrbild zu sagen. Die „Allgemeine deutsche Bibliothek" verurtheilte das Wort als unerträglich, und Campe wollte es wirklich zurückziehen. Aber schon 1798 findet es sich bei Wieland, der sich überhaupt den Cnmpischcn Vorschlägen bereitwilliger anbequemte als Goethe und Schiller, die dem wohl¬ meinenden» Sprachreiniger in ihren „Genien" arg mitspielten, und 1894 konnte Jean Paul in seiner „Vorschule der Aesthetik" schreiben, daß das Wort Zerrbild „an jeder Göttertafel der Dichtkunst zu sitzen fähig" sei. Von andern seiner Vorschläge, die, anfangs angefochten, bald allgemeines Bürgerrecht fanden, erwähnen wir noch Kunststraße für Chaussee, stellt indem für Rendezvous, Umwälzung für Revolution. Ueber das letzte Wort Scheibe Campe selbst 1891 in seinem „Wörterbuche zur Erklärung und Verdeutschung der unsrer Sprache aufgcdrungnen fremden Ausdrücke": „Dieses anfangs so laut verworfne Wort hat in der Folge einen fast allgemeinen Beifall gefunden. Es ist jetzt (neun Jahre, nachdem ich es in den Briefen, aus Paris geschrieben, zum ersten Male versuchte) gewiß schon in tausend und mehr Schriften gebraucht worden und daher nunmehr unsrer Sprache unaustilgbar einverleibt. Selbst viele unsrer größten Schriftsteller haben mir die Ehre erwiesen, Gebrauch davon zu macheu, z. B. Wieland in den Götter¬ gesprächen und im Merkur, Engel im Fürstenspiegel, Goethe, Kant, Herder." Von den zahlreichen Neubildungen endlich, die Jahr gewagt hat, mögen wenigstens zwei genannt sein, die durchgedrungen sind: Volksthum, wovon weiter volks- thümlich gebildet wurde, und — turnen. Man sieht also: daß ein Wort neu und ungewohnt ist, ist an sich kein hin¬ reichender Grund, sich gegen den Gebrauch desselben zu sträuben. Wohl aber darf man Neubildungen gegenüber die Frage aufwerfen: Sind sie nöthig? Und sind sie richtig? Neue Gegenstände, neue Vorstellungen und Begriffe verlangen unbedingt auch neue Wörter. Ein neu erfundnes Geräth, ein neu ersonnener Kleiderstoff, eine neu entdeckte chemische Verbindung, eine neu beobachtete Krank¬ heit, eine nen entstandne politische Partei — wie sollte man sie mit den bis dahin üblichen Worten bezeichnen können? Sie alle verlangen und erhalten auch alsbald ihre neuen Namen. Es müssen aber keineswegs immer neue Dinge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/576>, abgerufen am 29.12.2024.