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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Die griechische Frage,

Der erste, der in der Sache sprach, war Waddington, der Bevollmächtigte
Frankreichs. Er erklärte, so lange die Pforte die Interessen der hellenischen Rasse
nicht genügend befriedige, werde sie an ihrer Grenze immer wiederkehrenden Agi¬
tationen ausgesetzt bleiben. Er denke nicht daran, maßlose Wünsche der Griechen
zu empfehlen, Wohl aber glaube er, daß es ein Werk der Billigkeit und der poli¬
tischen Klugheit sein werde, mit ihnen die Bevölkerungen zu vereinigen, die ihnen
Stärke verleihen würden, während sie für die Türkei nur eine Ursache der Schwäche
wären, Griechenland könne innerhalb seiner jetzigen Grenzen, wie schou 1830
Prinz Leopold, der spätere König von Belgien, gesagt, nicht gedeihen, seine Re¬
gierung könne den Schwierigkeiten und Conflicten, die sich an seiner Grenze
periodisch immer wiederholten, nicht vorbeugen, und die ökonomische" Verhält¬
nisse des Landes erlaubten ihr nicht, den Pflichten zu genügen, welche allen
civilisirten Staaten oblägen. Er schlug deshalb dem Congresse vor, "in allge¬
meiner Weise und ohne Beeinträchtigung der Souveränetät der Pforte
die Grenzen anzugeben, welche derselbe Griechenland zugewiesen sehen möchte."
Das Ansehen der hohen europäischen Versammlung werde der ottomanischen wie
der griechischen Regierung die moralische Kraft verleihen, jener zur Einwilligung
in zeitgemäße Zugeständnisse, dieser zum Widerstände gegen übertriebene Ansprüche.
Aber zur Erreichung dieses Ziels müsse man von der Pforte keine unmöglichen
Opfer verlangen und andrerseits an die Mäßigung Griechenlands appelliren. Er
halte es deshalb für nützlich, als Basis für die Unterhandlungen eine allgemein
gehaltene Linie zu ziehen, welche der Türkei das Maß der Absichten Europas
und Griechenland die Grenzen zeige, die es nicht überschreiten dürfe. "Das ist,"
fuhr Waddington fort, "der Zweck der folgenden Resolution, die ich die Ehre
habe, in Gemeinschaft mit dem ersten Bevollmächtigten Italiens den Verhand¬
lungen des Congresses zu unterbreiten. Dieselbe lautet: ,Der Congreß ladet die
hohe Pforte ein, sich mit Griechenland über eine Berichtigung der Grenzen in
Thessalien und Epirus zu verständige!?, und ist der Meinung, daß die Berich¬
tigung dem Thale des Salamyrias (Pcneus) auf der Seite des Aegeischen und
dem des Kalcnnas auf der Seite des Ionischen Meeres folgen könnte. Der Con¬
greß hegt das Vertrauen, daß es den betheiligten Parteien gelingen wird, zum
Einvernehmen zu gelangen. Jedenfalls sind die Mächte, um den Erfolg der
Unterhandlungen zu erleichtern, bereit, den beiden Parteien ihre directe Vermitt¬
lung anzubieten/"

Der erste Bevollmächtigte Italiens unterstützte diesen Vorschlag durch eine
Rede, der türkische widersprach, indem er namentlich ausführte, die Bevölkerung
von Thessalien und Südepirns sei der Pforte zugethan und wolle nicht zu Griechen¬
land geschlagen werdeu, und es sei irrig, wenn man behaupte, letzteres habe für


Die griechische Frage,

Der erste, der in der Sache sprach, war Waddington, der Bevollmächtigte
Frankreichs. Er erklärte, so lange die Pforte die Interessen der hellenischen Rasse
nicht genügend befriedige, werde sie an ihrer Grenze immer wiederkehrenden Agi¬
tationen ausgesetzt bleiben. Er denke nicht daran, maßlose Wünsche der Griechen
zu empfehlen, Wohl aber glaube er, daß es ein Werk der Billigkeit und der poli¬
tischen Klugheit sein werde, mit ihnen die Bevölkerungen zu vereinigen, die ihnen
Stärke verleihen würden, während sie für die Türkei nur eine Ursache der Schwäche
wären, Griechenland könne innerhalb seiner jetzigen Grenzen, wie schou 1830
Prinz Leopold, der spätere König von Belgien, gesagt, nicht gedeihen, seine Re¬
gierung könne den Schwierigkeiten und Conflicten, die sich an seiner Grenze
periodisch immer wiederholten, nicht vorbeugen, und die ökonomische» Verhält¬
nisse des Landes erlaubten ihr nicht, den Pflichten zu genügen, welche allen
civilisirten Staaten oblägen. Er schlug deshalb dem Congresse vor, „in allge¬
meiner Weise und ohne Beeinträchtigung der Souveränetät der Pforte
die Grenzen anzugeben, welche derselbe Griechenland zugewiesen sehen möchte."
Das Ansehen der hohen europäischen Versammlung werde der ottomanischen wie
der griechischen Regierung die moralische Kraft verleihen, jener zur Einwilligung
in zeitgemäße Zugeständnisse, dieser zum Widerstände gegen übertriebene Ansprüche.
Aber zur Erreichung dieses Ziels müsse man von der Pforte keine unmöglichen
Opfer verlangen und andrerseits an die Mäßigung Griechenlands appelliren. Er
halte es deshalb für nützlich, als Basis für die Unterhandlungen eine allgemein
gehaltene Linie zu ziehen, welche der Türkei das Maß der Absichten Europas
und Griechenland die Grenzen zeige, die es nicht überschreiten dürfe. „Das ist,"
fuhr Waddington fort, „der Zweck der folgenden Resolution, die ich die Ehre
habe, in Gemeinschaft mit dem ersten Bevollmächtigten Italiens den Verhand¬
lungen des Congresses zu unterbreiten. Dieselbe lautet: ,Der Congreß ladet die
hohe Pforte ein, sich mit Griechenland über eine Berichtigung der Grenzen in
Thessalien und Epirus zu verständige!?, und ist der Meinung, daß die Berich¬
tigung dem Thale des Salamyrias (Pcneus) auf der Seite des Aegeischen und
dem des Kalcnnas auf der Seite des Ionischen Meeres folgen könnte. Der Con¬
greß hegt das Vertrauen, daß es den betheiligten Parteien gelingen wird, zum
Einvernehmen zu gelangen. Jedenfalls sind die Mächte, um den Erfolg der
Unterhandlungen zu erleichtern, bereit, den beiden Parteien ihre directe Vermitt¬
lung anzubieten/"

Der erste Bevollmächtigte Italiens unterstützte diesen Vorschlag durch eine
Rede, der türkische widersprach, indem er namentlich ausführte, die Bevölkerung
von Thessalien und Südepirns sei der Pforte zugethan und wolle nicht zu Griechen¬
land geschlagen werdeu, und es sei irrig, wenn man behaupte, letzteres habe für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/550>, abgerufen am 27.12.2024.