Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Leopold voll ^aut^s Weligeschichtk.

haben sich nicht fast an jede wichtige Frage gehängt? Gewiß ist manche
thörichte Conjectur mit untergelaufen, aber auch eine Fülle geistreicher Hypo¬
thesen hat Licht in die Geschichte gebracht. Aber Gutes und Schlechtes wird
gleichmäßig vom Verfasser ignorirt, oder die wichtigen Streitfragen werden mit
wenigen Worten beseitigt. Sicher ist, daß auch der Fachmann diese neueste
Arbeit Rankes mit großem Interesse lesen wird, aber geschrieben ist sie gewiß
nicht im Hinblick auf ein gelehrtes Publicum.

So würde sich also Ranke an die große Zahl der allgemein gebildeten wenden,
denen es, um sich in umfangreiche Einzelwerke zu vertiefen, an Interesse wie
an Zeit fehlt. Kann aber ein solcher Leser wirklich Genuß an der Lectüre
eines Buches haben, welches die Darstellung mit einer Fülle von kritischen Be¬
merkungen unterbricht? Wir müssen es bezweifeln. Der Maßstab, welchen
der Autor anlegt, ist viel zu hoch. Er fordert zu viel Vorkenntnisse, behandelt
die Ereignisse als im großen und ganzen bekannt und verfährt, um's kurz zu
sagen, etwa wie der Universitätsprofessor auf dem Katheder, der bei seinem
Auditorium eine gewisse Summe von Kenntnissen voraussetzt und mit dieser
derart operirt, daß er eine discrete Auswahl trifft, allgemeine Gesichtspunkte
feststellt, bekanntes begründet, unbegründetes zurückweist und anderes dem
Privatstudium überläßt. Einige Beispiele werden genügen.

Ranke erzählt die Geschichte vom Pseudo - Snierdis und dem Uebergange
der Negierung auf Dareios. Manches, so sagt er, findet sich in den griechischen
Erzählungen, was an Wahrheit anlandet. "Nur die Vorfälle des Harem, das
wiehernde Pferd und was sie sonst angenehmes zu hören und zu lesen darbieten,
wird man ans denselben zu wiederholen Anstand nehmen müssen." Müssen
diese Worte nicht für viele Leser räthselhaft bleiben? -- An einer andern Stelle
(II, 59) verweist Ranke den Leser direct an deu von ihm benutzten Autor. Er
schildert Alexanders Kämpfe gegen die Thrakier und macht darauf aufmerksam,
wie die makedonische Phalanx die Anstalten des Feindes zu nichte machte. "Bei
Arrian", sagt er, "kann man lesen, mit welcher Geschicklichkeit dieser Versuch
hintertrieben wurde." Was aber kümmert den Leser einer Universalgeschichte
Arrian? Wird er Lust haben, ihn zu dieser Stelle nachzulesen? -- Wo Ranke
vom Zeitalter des Perikles spricht, (II, 292) setzt er in die Anmerkung folgende
Notiz: "Mit Vergnügen liest man die Schilderung Mitas und Athens, wie
sie in dieser Epoche waren, bei Curtius, Gr. Gesch. I, 326 ff." Warum ver¬
weilt er aber hier nicht länger und versucht nicht eine Schilderung des Perikle-
ischen Athens zu geben? Ueberhaupt bedauern wir, daß er so oft nur an¬
deutet, daß er Skizzen giebt, wo wir ein ausgeführtes Gemälde erwarten, daß
bei ihm manche Persönlichkeiten nur schattenhaft, in Umrissen angedeutet er¬
scheinen, die bei andern neuern Geschichtschreibern zu Menschen von Fleisch


Leopold voll ^aut^s Weligeschichtk.

haben sich nicht fast an jede wichtige Frage gehängt? Gewiß ist manche
thörichte Conjectur mit untergelaufen, aber auch eine Fülle geistreicher Hypo¬
thesen hat Licht in die Geschichte gebracht. Aber Gutes und Schlechtes wird
gleichmäßig vom Verfasser ignorirt, oder die wichtigen Streitfragen werden mit
wenigen Worten beseitigt. Sicher ist, daß auch der Fachmann diese neueste
Arbeit Rankes mit großem Interesse lesen wird, aber geschrieben ist sie gewiß
nicht im Hinblick auf ein gelehrtes Publicum.

So würde sich also Ranke an die große Zahl der allgemein gebildeten wenden,
denen es, um sich in umfangreiche Einzelwerke zu vertiefen, an Interesse wie
an Zeit fehlt. Kann aber ein solcher Leser wirklich Genuß an der Lectüre
eines Buches haben, welches die Darstellung mit einer Fülle von kritischen Be¬
merkungen unterbricht? Wir müssen es bezweifeln. Der Maßstab, welchen
der Autor anlegt, ist viel zu hoch. Er fordert zu viel Vorkenntnisse, behandelt
die Ereignisse als im großen und ganzen bekannt und verfährt, um's kurz zu
sagen, etwa wie der Universitätsprofessor auf dem Katheder, der bei seinem
Auditorium eine gewisse Summe von Kenntnissen voraussetzt und mit dieser
derart operirt, daß er eine discrete Auswahl trifft, allgemeine Gesichtspunkte
feststellt, bekanntes begründet, unbegründetes zurückweist und anderes dem
Privatstudium überläßt. Einige Beispiele werden genügen.

Ranke erzählt die Geschichte vom Pseudo - Snierdis und dem Uebergange
der Negierung auf Dareios. Manches, so sagt er, findet sich in den griechischen
Erzählungen, was an Wahrheit anlandet. „Nur die Vorfälle des Harem, das
wiehernde Pferd und was sie sonst angenehmes zu hören und zu lesen darbieten,
wird man ans denselben zu wiederholen Anstand nehmen müssen." Müssen
diese Worte nicht für viele Leser räthselhaft bleiben? — An einer andern Stelle
(II, 59) verweist Ranke den Leser direct an deu von ihm benutzten Autor. Er
schildert Alexanders Kämpfe gegen die Thrakier und macht darauf aufmerksam,
wie die makedonische Phalanx die Anstalten des Feindes zu nichte machte. „Bei
Arrian", sagt er, „kann man lesen, mit welcher Geschicklichkeit dieser Versuch
hintertrieben wurde." Was aber kümmert den Leser einer Universalgeschichte
Arrian? Wird er Lust haben, ihn zu dieser Stelle nachzulesen? — Wo Ranke
vom Zeitalter des Perikles spricht, (II, 292) setzt er in die Anmerkung folgende
Notiz: „Mit Vergnügen liest man die Schilderung Mitas und Athens, wie
sie in dieser Epoche waren, bei Curtius, Gr. Gesch. I, 326 ff." Warum ver¬
weilt er aber hier nicht länger und versucht nicht eine Schilderung des Perikle-
ischen Athens zu geben? Ueberhaupt bedauern wir, daß er so oft nur an¬
deutet, daß er Skizzen giebt, wo wir ein ausgeführtes Gemälde erwarten, daß
bei ihm manche Persönlichkeiten nur schattenhaft, in Umrissen angedeutet er¬
scheinen, die bei andern neuern Geschichtschreibern zu Menschen von Fleisch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0055" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149039"/>
          <fw type="header" place="top"> Leopold voll ^aut^s Weligeschichtk.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_124" prev="#ID_123"> haben sich nicht fast an jede wichtige Frage gehängt? Gewiß ist manche<lb/>
thörichte Conjectur mit untergelaufen, aber auch eine Fülle geistreicher Hypo¬<lb/>
thesen hat Licht in die Geschichte gebracht. Aber Gutes und Schlechtes wird<lb/>
gleichmäßig vom Verfasser ignorirt, oder die wichtigen Streitfragen werden mit<lb/>
wenigen Worten beseitigt. Sicher ist, daß auch der Fachmann diese neueste<lb/>
Arbeit Rankes mit großem Interesse lesen wird, aber geschrieben ist sie gewiß<lb/>
nicht im Hinblick auf ein gelehrtes Publicum.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_125"> So würde sich also Ranke an die große Zahl der allgemein gebildeten wenden,<lb/>
denen es, um sich in umfangreiche Einzelwerke zu vertiefen, an Interesse wie<lb/>
an Zeit fehlt. Kann aber ein solcher Leser wirklich Genuß an der Lectüre<lb/>
eines Buches haben, welches die Darstellung mit einer Fülle von kritischen Be¬<lb/>
merkungen unterbricht? Wir müssen es bezweifeln. Der Maßstab, welchen<lb/>
der Autor anlegt, ist viel zu hoch. Er fordert zu viel Vorkenntnisse, behandelt<lb/>
die Ereignisse als im großen und ganzen bekannt und verfährt, um's kurz zu<lb/>
sagen, etwa wie der Universitätsprofessor auf dem Katheder, der bei seinem<lb/>
Auditorium eine gewisse Summe von Kenntnissen voraussetzt und mit dieser<lb/>
derart operirt, daß er eine discrete Auswahl trifft, allgemeine Gesichtspunkte<lb/>
feststellt, bekanntes begründet, unbegründetes zurückweist und anderes dem<lb/>
Privatstudium überläßt. Einige Beispiele werden genügen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_126" next="#ID_127"> Ranke erzählt die Geschichte vom Pseudo - Snierdis und dem Uebergange<lb/>
der Negierung auf Dareios. Manches, so sagt er, findet sich in den griechischen<lb/>
Erzählungen, was an Wahrheit anlandet. &#x201E;Nur die Vorfälle des Harem, das<lb/>
wiehernde Pferd und was sie sonst angenehmes zu hören und zu lesen darbieten,<lb/>
wird man ans denselben zu wiederholen Anstand nehmen müssen." Müssen<lb/>
diese Worte nicht für viele Leser räthselhaft bleiben? &#x2014; An einer andern Stelle<lb/>
(II, 59) verweist Ranke den Leser direct an deu von ihm benutzten Autor. Er<lb/>
schildert Alexanders Kämpfe gegen die Thrakier und macht darauf aufmerksam,<lb/>
wie die makedonische Phalanx die Anstalten des Feindes zu nichte machte. &#x201E;Bei<lb/>
Arrian", sagt er, &#x201E;kann man lesen, mit welcher Geschicklichkeit dieser Versuch<lb/>
hintertrieben wurde." Was aber kümmert den Leser einer Universalgeschichte<lb/>
Arrian? Wird er Lust haben, ihn zu dieser Stelle nachzulesen? &#x2014; Wo Ranke<lb/>
vom Zeitalter des Perikles spricht, (II, 292) setzt er in die Anmerkung folgende<lb/>
Notiz: &#x201E;Mit Vergnügen liest man die Schilderung Mitas und Athens, wie<lb/>
sie in dieser Epoche waren, bei Curtius, Gr. Gesch. I, 326 ff." Warum ver¬<lb/>
weilt er aber hier nicht länger und versucht nicht eine Schilderung des Perikle-<lb/>
ischen Athens zu geben? Ueberhaupt bedauern wir, daß er so oft nur an¬<lb/>
deutet, daß er Skizzen giebt, wo wir ein ausgeführtes Gemälde erwarten, daß<lb/>
bei ihm manche Persönlichkeiten nur schattenhaft, in Umrissen angedeutet er¬<lb/>
scheinen, die bei andern neuern Geschichtschreibern zu Menschen von Fleisch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0055] Leopold voll ^aut^s Weligeschichtk. haben sich nicht fast an jede wichtige Frage gehängt? Gewiß ist manche thörichte Conjectur mit untergelaufen, aber auch eine Fülle geistreicher Hypo¬ thesen hat Licht in die Geschichte gebracht. Aber Gutes und Schlechtes wird gleichmäßig vom Verfasser ignorirt, oder die wichtigen Streitfragen werden mit wenigen Worten beseitigt. Sicher ist, daß auch der Fachmann diese neueste Arbeit Rankes mit großem Interesse lesen wird, aber geschrieben ist sie gewiß nicht im Hinblick auf ein gelehrtes Publicum. So würde sich also Ranke an die große Zahl der allgemein gebildeten wenden, denen es, um sich in umfangreiche Einzelwerke zu vertiefen, an Interesse wie an Zeit fehlt. Kann aber ein solcher Leser wirklich Genuß an der Lectüre eines Buches haben, welches die Darstellung mit einer Fülle von kritischen Be¬ merkungen unterbricht? Wir müssen es bezweifeln. Der Maßstab, welchen der Autor anlegt, ist viel zu hoch. Er fordert zu viel Vorkenntnisse, behandelt die Ereignisse als im großen und ganzen bekannt und verfährt, um's kurz zu sagen, etwa wie der Universitätsprofessor auf dem Katheder, der bei seinem Auditorium eine gewisse Summe von Kenntnissen voraussetzt und mit dieser derart operirt, daß er eine discrete Auswahl trifft, allgemeine Gesichtspunkte feststellt, bekanntes begründet, unbegründetes zurückweist und anderes dem Privatstudium überläßt. Einige Beispiele werden genügen. Ranke erzählt die Geschichte vom Pseudo - Snierdis und dem Uebergange der Negierung auf Dareios. Manches, so sagt er, findet sich in den griechischen Erzählungen, was an Wahrheit anlandet. „Nur die Vorfälle des Harem, das wiehernde Pferd und was sie sonst angenehmes zu hören und zu lesen darbieten, wird man ans denselben zu wiederholen Anstand nehmen müssen." Müssen diese Worte nicht für viele Leser räthselhaft bleiben? — An einer andern Stelle (II, 59) verweist Ranke den Leser direct an deu von ihm benutzten Autor. Er schildert Alexanders Kämpfe gegen die Thrakier und macht darauf aufmerksam, wie die makedonische Phalanx die Anstalten des Feindes zu nichte machte. „Bei Arrian", sagt er, „kann man lesen, mit welcher Geschicklichkeit dieser Versuch hintertrieben wurde." Was aber kümmert den Leser einer Universalgeschichte Arrian? Wird er Lust haben, ihn zu dieser Stelle nachzulesen? — Wo Ranke vom Zeitalter des Perikles spricht, (II, 292) setzt er in die Anmerkung folgende Notiz: „Mit Vergnügen liest man die Schilderung Mitas und Athens, wie sie in dieser Epoche waren, bei Curtius, Gr. Gesch. I, 326 ff." Warum ver¬ weilt er aber hier nicht länger und versucht nicht eine Schilderung des Perikle- ischen Athens zu geben? Ueberhaupt bedauern wir, daß er so oft nur an¬ deutet, daß er Skizzen giebt, wo wir ein ausgeführtes Gemälde erwarten, daß bei ihm manche Persönlichkeiten nur schattenhaft, in Umrissen angedeutet er¬ scheinen, die bei andern neuern Geschichtschreibern zu Menschen von Fleisch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/55
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/55>, abgerufen am 27.12.2024.