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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Neues Mönchthum.

könnte, so hat er nachgewiesen, daß das Leben -- das wirkliche -- einen be¬
deutenden und befriedigenden Inhalt hat. Wenn er aber eine Form und Er¬
füllung des Daseins als die rechte hinstellt, die in Wirklichkeit nur bei einer
verschwindend kleinen Zahl von Menschen anzutreffen und in größerer Verall¬
gemeinerung nicht einmal möglich ist, so hat er das Leben, wie es ist, verurtheilt
und verworfen.

Diejenige Gestalt des Daseins nun, welche dem Verfasser der vorliegenden
Schrift als die rechte erscheint, ist von der Beschaffenheit, daß nur wenige Hundert
sie verwirklichen können, die gesummte übrige ungeheure Mehrzahl aber und ins¬
besondere das Weib ihrer niemals theilhaftig zu werden vermag. Es stünde also
schlimm mit dem Leben, wenn des Verfassers enger Begriff von ihm Anspruch
auf Geltung hätte. Aber das Leben hat mit dem Ideal des Herrn Koch nichts
zu schaffen. Eine engherzigere und irrigere Meinung ist wohl nicht aufzutreiben,
als daß der Philosoph allein wirklich lebe, die andern Menschen nicht. Das
ist aber die Meinung des Verfassers, wenn er sie auch nicht so klar formulirt;
hätte er das gethan, so würde er sie vielleicht unterdrückt haben, ehe er damit
vor das Publicum trat.

Worauf es ihm ankommt und worin das Leben der Menschen aufzugehen
habe, ist die Ausbildung der Persönlichkeit. Darunter versteht er die Nnsbildnug
des Verstandes in dem Sinne, daß er "reines Weltnugc" werde. Deshalb ist
der Gegenstand der Erkenntniß, um den es sich handelt, die Welt, ihre Elemente,
ihr Aufbau, ihre Entwicklung und ihr Schicksal; das Ziel dieses Erkennens eine
"freie Abspiegelung der Welt bis in die Tiefen ihres Daseins;" das "Werk des
Schöpfers" soll der Mensch noch einmal "auf eigne Weise vollbringen;" er soll
"das Universum in sich zur Wiedergeburt kommen lassen."

Das klingt ja zunächst ganz harmlos,*) denn eine zutreffende Vorstellung
von der Welt zu gewinnen, liegt im Bereiche des allgemeinen menschlichen Inter¬
esses. Aber die Harmlosigkeit schwindet, wenn das Ringen nach dieser Erkenntniß
als der einzig werthvolle Lebensinhalt ausgegeben und zugleich der Antheil,
welchen die Religion an der Beantwortung der hierher gehörigen Fragen hat,
abgewiesen wird. Dadurch werden thatsächlich vom "Leben" alle ausgeschlossen
bis auf eine Handvoll Leute, die sich angelegentlich mit philosophischen Probleme"
beschäftigen. Wem, der Verfasser nichts weiter bezweckte, als uns von der Be¬
friedigung, die er in seiner Studirstube findet, zu unterhalten, so würden wir
uns vielleicht unterhalten fühlen und allenfalls über die Ueberschwänglichkeit seiner
Schilderung lächeln, weil wir wissen, daß jeder sein Steckenpferd reitet. Aber



1 Auch Klopstock preist in seiner Ode "Der Ziirchersee" die Schönheit eines frohen Ge¬
D. Red. sichts, "das den großen Gedanken der Schöpfung "och einmal denkt."
Neues Mönchthum.

könnte, so hat er nachgewiesen, daß das Leben — das wirkliche — einen be¬
deutenden und befriedigenden Inhalt hat. Wenn er aber eine Form und Er¬
füllung des Daseins als die rechte hinstellt, die in Wirklichkeit nur bei einer
verschwindend kleinen Zahl von Menschen anzutreffen und in größerer Verall¬
gemeinerung nicht einmal möglich ist, so hat er das Leben, wie es ist, verurtheilt
und verworfen.

Diejenige Gestalt des Daseins nun, welche dem Verfasser der vorliegenden
Schrift als die rechte erscheint, ist von der Beschaffenheit, daß nur wenige Hundert
sie verwirklichen können, die gesummte übrige ungeheure Mehrzahl aber und ins¬
besondere das Weib ihrer niemals theilhaftig zu werden vermag. Es stünde also
schlimm mit dem Leben, wenn des Verfassers enger Begriff von ihm Anspruch
auf Geltung hätte. Aber das Leben hat mit dem Ideal des Herrn Koch nichts
zu schaffen. Eine engherzigere und irrigere Meinung ist wohl nicht aufzutreiben,
als daß der Philosoph allein wirklich lebe, die andern Menschen nicht. Das
ist aber die Meinung des Verfassers, wenn er sie auch nicht so klar formulirt;
hätte er das gethan, so würde er sie vielleicht unterdrückt haben, ehe er damit
vor das Publicum trat.

Worauf es ihm ankommt und worin das Leben der Menschen aufzugehen
habe, ist die Ausbildung der Persönlichkeit. Darunter versteht er die Nnsbildnug
des Verstandes in dem Sinne, daß er „reines Weltnugc" werde. Deshalb ist
der Gegenstand der Erkenntniß, um den es sich handelt, die Welt, ihre Elemente,
ihr Aufbau, ihre Entwicklung und ihr Schicksal; das Ziel dieses Erkennens eine
„freie Abspiegelung der Welt bis in die Tiefen ihres Daseins;" das „Werk des
Schöpfers" soll der Mensch noch einmal „auf eigne Weise vollbringen;" er soll
„das Universum in sich zur Wiedergeburt kommen lassen."

Das klingt ja zunächst ganz harmlos,*) denn eine zutreffende Vorstellung
von der Welt zu gewinnen, liegt im Bereiche des allgemeinen menschlichen Inter¬
esses. Aber die Harmlosigkeit schwindet, wenn das Ringen nach dieser Erkenntniß
als der einzig werthvolle Lebensinhalt ausgegeben und zugleich der Antheil,
welchen die Religion an der Beantwortung der hierher gehörigen Fragen hat,
abgewiesen wird. Dadurch werden thatsächlich vom „Leben" alle ausgeschlossen
bis auf eine Handvoll Leute, die sich angelegentlich mit philosophischen Probleme»
beschäftigen. Wem, der Verfasser nichts weiter bezweckte, als uns von der Be¬
friedigung, die er in seiner Studirstube findet, zu unterhalten, so würden wir
uns vielleicht unterhalten fühlen und allenfalls über die Ueberschwänglichkeit seiner
Schilderung lächeln, weil wir wissen, daß jeder sein Steckenpferd reitet. Aber



1 Auch Klopstock preist in seiner Ode „Der Ziirchersee" die Schönheit eines frohen Ge¬
D. Red. sichts, „das den großen Gedanken der Schöpfung »och einmal denkt."
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[0535] Neues Mönchthum. könnte, so hat er nachgewiesen, daß das Leben — das wirkliche — einen be¬ deutenden und befriedigenden Inhalt hat. Wenn er aber eine Form und Er¬ füllung des Daseins als die rechte hinstellt, die in Wirklichkeit nur bei einer verschwindend kleinen Zahl von Menschen anzutreffen und in größerer Verall¬ gemeinerung nicht einmal möglich ist, so hat er das Leben, wie es ist, verurtheilt und verworfen. Diejenige Gestalt des Daseins nun, welche dem Verfasser der vorliegenden Schrift als die rechte erscheint, ist von der Beschaffenheit, daß nur wenige Hundert sie verwirklichen können, die gesummte übrige ungeheure Mehrzahl aber und ins¬ besondere das Weib ihrer niemals theilhaftig zu werden vermag. Es stünde also schlimm mit dem Leben, wenn des Verfassers enger Begriff von ihm Anspruch auf Geltung hätte. Aber das Leben hat mit dem Ideal des Herrn Koch nichts zu schaffen. Eine engherzigere und irrigere Meinung ist wohl nicht aufzutreiben, als daß der Philosoph allein wirklich lebe, die andern Menschen nicht. Das ist aber die Meinung des Verfassers, wenn er sie auch nicht so klar formulirt; hätte er das gethan, so würde er sie vielleicht unterdrückt haben, ehe er damit vor das Publicum trat. Worauf es ihm ankommt und worin das Leben der Menschen aufzugehen habe, ist die Ausbildung der Persönlichkeit. Darunter versteht er die Nnsbildnug des Verstandes in dem Sinne, daß er „reines Weltnugc" werde. Deshalb ist der Gegenstand der Erkenntniß, um den es sich handelt, die Welt, ihre Elemente, ihr Aufbau, ihre Entwicklung und ihr Schicksal; das Ziel dieses Erkennens eine „freie Abspiegelung der Welt bis in die Tiefen ihres Daseins;" das „Werk des Schöpfers" soll der Mensch noch einmal „auf eigne Weise vollbringen;" er soll „das Universum in sich zur Wiedergeburt kommen lassen." Das klingt ja zunächst ganz harmlos,*) denn eine zutreffende Vorstellung von der Welt zu gewinnen, liegt im Bereiche des allgemeinen menschlichen Inter¬ esses. Aber die Harmlosigkeit schwindet, wenn das Ringen nach dieser Erkenntniß als der einzig werthvolle Lebensinhalt ausgegeben und zugleich der Antheil, welchen die Religion an der Beantwortung der hierher gehörigen Fragen hat, abgewiesen wird. Dadurch werden thatsächlich vom „Leben" alle ausgeschlossen bis auf eine Handvoll Leute, die sich angelegentlich mit philosophischen Probleme» beschäftigen. Wem, der Verfasser nichts weiter bezweckte, als uns von der Be¬ friedigung, die er in seiner Studirstube findet, zu unterhalten, so würden wir uns vielleicht unterhalten fühlen und allenfalls über die Ueberschwänglichkeit seiner Schilderung lächeln, weil wir wissen, daß jeder sein Steckenpferd reitet. Aber 1 Auch Klopstock preist in seiner Ode „Der Ziirchersee" die Schönheit eines frohen Ge¬ D. Red. sichts, „das den großen Gedanken der Schöpfung »och einmal denkt."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/535>, abgerufen am 27.12.2024.