Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Altenglische Dramatiker.

Shakespeares Tagen erschienen zu sein, Aufschlüsse -- und wären es selbst die
unwesentlichsten -- über auch nur einen Punkt in Shakespeares Leben und
Schaffen zu gewinnen, darf die Mühe, die hierbei aufgewandt wird, nicht als
Verlorne erachtet werden. Und insofern nur die Unterscheidung zwischen dem
historischen Werthe und dem ästhetischen Werthe der hervorgezognen und neu-
herausgegebnen Arbeiten der Zeit Elisabeths eine genügend scharfe und festbe¬
wußte bleibt, insofern die Einzelforscher sich nicht darüber täuschen, daß das
größere Publieum, auch das gebildetste und empfänglichste, nur an den wirk¬
lichen Resultaten, nicht am Gange ihrer Forschung Antheil nehmen kann, läßt
sich gegen die immer weitere Ausdehnung der Publicationen kein Einwand er¬
heben. Die ungeheure Mehrzahl auch der wahrhaft gebildeten wird freilich über
den innersten Antheil, den sie an den mächtigen Dichtungen Shakespeares nimmt,
immer nur wenige Schritte hinauszuführen sein. Sie läßt sich nur schwer be¬
wegen, den hervorragenden Talenten, die im Verein und selbst im Wetteifer mit
Shakespeares Genius die Blüthezeit des altenglischen Theaters heraufgeführt
haben, Beachtung zu widmen und beinahe nie überreden, daß auch das ästhetische
Gennßbedürfniß in einer Anzahl nicht von Shakespeare herrührender Dichtungen
noch Befriedigung finden könne. Die Versuche, einzelne Stücke Ben Jonsous,
Beaumont-Flctchers und Massingcrs gleich Shakespeareschen Dramen auf unsrer
Bühne einzubürgern, sind regelmäßig gescheitert. Und so unzweifelhaft es ist,
daß die umfassende Kenntniß der gestimmten Literatur der Shakespeareschen Zeit
das Verständniß des Dichters nach einer gewissen Richtung hin fördern muß,
so ist im allgemeinen eine höchst mäßige Geneigtheit vorhanden, dies Verständniß
zu gewinnen. Man will das Verhältniß der großen Dramen des Dichters zu
den Dramen, welche gleichzeitig mit Shakespeares Werken das Publieum der
Londoner Theater entzückten, gleichsam auf sich beruhen lassen. Wenigstens haben
alle Anläufe, die seit geraumer Zeit genommen worden sind, der deutschen Lese¬
welt die Werke der drei Dramatiker-Generationen näherzubringen, welche vor,
mit und nach Shakespeare gelebt, immer nur in kleinen Kreisen Theilnahme ge¬
funden. Tiecks "Altenglisches Theater" und "Vorschule zu Shakespeare," Bau-
dissins "Ben Jonson und seine Schule," Bodeustedts "Zeitgenossen Shakespeares"
zählten sicher ihre Leser nur nach Hunderten. Gleichwohl wird der Versuch,
einige jener Dichter, die man neben Shakespeare nennt, durch ein und das andre
ihrer besten Werke dein deutschen Publieum näher zu bringen, wieder und wieder
erneuert werden. In diesem Sinne ist die Herausgabe zweier Bände Alteng¬
lisches Theater von Robert Prölß, welche in der bekannten Bibliothek der
"Classiker des Auslandes" erschienen, der schon eine ganze Reihe trefflicher, dem
Litemturfrcund hochwillkommener Übertragungen angehören, durchaus dankens-


Altenglische Dramatiker.

Shakespeares Tagen erschienen zu sein, Aufschlüsse — und wären es selbst die
unwesentlichsten — über auch nur einen Punkt in Shakespeares Leben und
Schaffen zu gewinnen, darf die Mühe, die hierbei aufgewandt wird, nicht als
Verlorne erachtet werden. Und insofern nur die Unterscheidung zwischen dem
historischen Werthe und dem ästhetischen Werthe der hervorgezognen und neu-
herausgegebnen Arbeiten der Zeit Elisabeths eine genügend scharfe und festbe¬
wußte bleibt, insofern die Einzelforscher sich nicht darüber täuschen, daß das
größere Publieum, auch das gebildetste und empfänglichste, nur an den wirk¬
lichen Resultaten, nicht am Gange ihrer Forschung Antheil nehmen kann, läßt
sich gegen die immer weitere Ausdehnung der Publicationen kein Einwand er¬
heben. Die ungeheure Mehrzahl auch der wahrhaft gebildeten wird freilich über
den innersten Antheil, den sie an den mächtigen Dichtungen Shakespeares nimmt,
immer nur wenige Schritte hinauszuführen sein. Sie läßt sich nur schwer be¬
wegen, den hervorragenden Talenten, die im Verein und selbst im Wetteifer mit
Shakespeares Genius die Blüthezeit des altenglischen Theaters heraufgeführt
haben, Beachtung zu widmen und beinahe nie überreden, daß auch das ästhetische
Gennßbedürfniß in einer Anzahl nicht von Shakespeare herrührender Dichtungen
noch Befriedigung finden könne. Die Versuche, einzelne Stücke Ben Jonsous,
Beaumont-Flctchers und Massingcrs gleich Shakespeareschen Dramen auf unsrer
Bühne einzubürgern, sind regelmäßig gescheitert. Und so unzweifelhaft es ist,
daß die umfassende Kenntniß der gestimmten Literatur der Shakespeareschen Zeit
das Verständniß des Dichters nach einer gewissen Richtung hin fördern muß,
so ist im allgemeinen eine höchst mäßige Geneigtheit vorhanden, dies Verständniß
zu gewinnen. Man will das Verhältniß der großen Dramen des Dichters zu
den Dramen, welche gleichzeitig mit Shakespeares Werken das Publieum der
Londoner Theater entzückten, gleichsam auf sich beruhen lassen. Wenigstens haben
alle Anläufe, die seit geraumer Zeit genommen worden sind, der deutschen Lese¬
welt die Werke der drei Dramatiker-Generationen näherzubringen, welche vor,
mit und nach Shakespeare gelebt, immer nur in kleinen Kreisen Theilnahme ge¬
funden. Tiecks „Altenglisches Theater" und „Vorschule zu Shakespeare," Bau-
dissins „Ben Jonson und seine Schule," Bodeustedts „Zeitgenossen Shakespeares"
zählten sicher ihre Leser nur nach Hunderten. Gleichwohl wird der Versuch,
einige jener Dichter, die man neben Shakespeare nennt, durch ein und das andre
ihrer besten Werke dein deutschen Publieum näher zu bringen, wieder und wieder
erneuert werden. In diesem Sinne ist die Herausgabe zweier Bände Alteng¬
lisches Theater von Robert Prölß, welche in der bekannten Bibliothek der
„Classiker des Auslandes" erschienen, der schon eine ganze Reihe trefflicher, dem
Litemturfrcund hochwillkommener Übertragungen angehören, durchaus dankens-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0515" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149499"/>
          <fw type="header" place="top"> Altenglische Dramatiker.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1444" prev="#ID_1443" next="#ID_1445"> Shakespeares Tagen erschienen zu sein, Aufschlüsse &#x2014; und wären es selbst die<lb/>
unwesentlichsten &#x2014; über auch nur einen Punkt in Shakespeares Leben und<lb/>
Schaffen zu gewinnen, darf die Mühe, die hierbei aufgewandt wird, nicht als<lb/>
Verlorne erachtet werden. Und insofern nur die Unterscheidung zwischen dem<lb/>
historischen Werthe und dem ästhetischen Werthe der hervorgezognen und neu-<lb/>
herausgegebnen Arbeiten der Zeit Elisabeths eine genügend scharfe und festbe¬<lb/>
wußte bleibt, insofern die Einzelforscher sich nicht darüber täuschen, daß das<lb/>
größere Publieum, auch das gebildetste und empfänglichste, nur an den wirk¬<lb/>
lichen Resultaten, nicht am Gange ihrer Forschung Antheil nehmen kann, läßt<lb/>
sich gegen die immer weitere Ausdehnung der Publicationen kein Einwand er¬<lb/>
heben. Die ungeheure Mehrzahl auch der wahrhaft gebildeten wird freilich über<lb/>
den innersten Antheil, den sie an den mächtigen Dichtungen Shakespeares nimmt,<lb/>
immer nur wenige Schritte hinauszuführen sein. Sie läßt sich nur schwer be¬<lb/>
wegen, den hervorragenden Talenten, die im Verein und selbst im Wetteifer mit<lb/>
Shakespeares Genius die Blüthezeit des altenglischen Theaters heraufgeführt<lb/>
haben, Beachtung zu widmen und beinahe nie überreden, daß auch das ästhetische<lb/>
Gennßbedürfniß in einer Anzahl nicht von Shakespeare herrührender Dichtungen<lb/>
noch Befriedigung finden könne. Die Versuche, einzelne Stücke Ben Jonsous,<lb/>
Beaumont-Flctchers und Massingcrs gleich Shakespeareschen Dramen auf unsrer<lb/>
Bühne einzubürgern, sind regelmäßig gescheitert. Und so unzweifelhaft es ist,<lb/>
daß die umfassende Kenntniß der gestimmten Literatur der Shakespeareschen Zeit<lb/>
das Verständniß des Dichters nach einer gewissen Richtung hin fördern muß,<lb/>
so ist im allgemeinen eine höchst mäßige Geneigtheit vorhanden, dies Verständniß<lb/>
zu gewinnen. Man will das Verhältniß der großen Dramen des Dichters zu<lb/>
den Dramen, welche gleichzeitig mit Shakespeares Werken das Publieum der<lb/>
Londoner Theater entzückten, gleichsam auf sich beruhen lassen. Wenigstens haben<lb/>
alle Anläufe, die seit geraumer Zeit genommen worden sind, der deutschen Lese¬<lb/>
welt die Werke der drei Dramatiker-Generationen näherzubringen, welche vor,<lb/>
mit und nach Shakespeare gelebt, immer nur in kleinen Kreisen Theilnahme ge¬<lb/>
funden. Tiecks &#x201E;Altenglisches Theater" und &#x201E;Vorschule zu Shakespeare," Bau-<lb/>
dissins &#x201E;Ben Jonson und seine Schule," Bodeustedts &#x201E;Zeitgenossen Shakespeares"<lb/>
zählten sicher ihre Leser nur nach Hunderten. Gleichwohl wird der Versuch,<lb/>
einige jener Dichter, die man neben Shakespeare nennt, durch ein und das andre<lb/>
ihrer besten Werke dein deutschen Publieum näher zu bringen, wieder und wieder<lb/>
erneuert werden. In diesem Sinne ist die Herausgabe zweier Bände Alteng¬<lb/>
lisches Theater von Robert Prölß, welche in der bekannten Bibliothek der<lb/>
&#x201E;Classiker des Auslandes" erschienen, der schon eine ganze Reihe trefflicher, dem<lb/>
Litemturfrcund hochwillkommener Übertragungen angehören, durchaus dankens-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0515] Altenglische Dramatiker. Shakespeares Tagen erschienen zu sein, Aufschlüsse — und wären es selbst die unwesentlichsten — über auch nur einen Punkt in Shakespeares Leben und Schaffen zu gewinnen, darf die Mühe, die hierbei aufgewandt wird, nicht als Verlorne erachtet werden. Und insofern nur die Unterscheidung zwischen dem historischen Werthe und dem ästhetischen Werthe der hervorgezognen und neu- herausgegebnen Arbeiten der Zeit Elisabeths eine genügend scharfe und festbe¬ wußte bleibt, insofern die Einzelforscher sich nicht darüber täuschen, daß das größere Publieum, auch das gebildetste und empfänglichste, nur an den wirk¬ lichen Resultaten, nicht am Gange ihrer Forschung Antheil nehmen kann, läßt sich gegen die immer weitere Ausdehnung der Publicationen kein Einwand er¬ heben. Die ungeheure Mehrzahl auch der wahrhaft gebildeten wird freilich über den innersten Antheil, den sie an den mächtigen Dichtungen Shakespeares nimmt, immer nur wenige Schritte hinauszuführen sein. Sie läßt sich nur schwer be¬ wegen, den hervorragenden Talenten, die im Verein und selbst im Wetteifer mit Shakespeares Genius die Blüthezeit des altenglischen Theaters heraufgeführt haben, Beachtung zu widmen und beinahe nie überreden, daß auch das ästhetische Gennßbedürfniß in einer Anzahl nicht von Shakespeare herrührender Dichtungen noch Befriedigung finden könne. Die Versuche, einzelne Stücke Ben Jonsous, Beaumont-Flctchers und Massingcrs gleich Shakespeareschen Dramen auf unsrer Bühne einzubürgern, sind regelmäßig gescheitert. Und so unzweifelhaft es ist, daß die umfassende Kenntniß der gestimmten Literatur der Shakespeareschen Zeit das Verständniß des Dichters nach einer gewissen Richtung hin fördern muß, so ist im allgemeinen eine höchst mäßige Geneigtheit vorhanden, dies Verständniß zu gewinnen. Man will das Verhältniß der großen Dramen des Dichters zu den Dramen, welche gleichzeitig mit Shakespeares Werken das Publieum der Londoner Theater entzückten, gleichsam auf sich beruhen lassen. Wenigstens haben alle Anläufe, die seit geraumer Zeit genommen worden sind, der deutschen Lese¬ welt die Werke der drei Dramatiker-Generationen näherzubringen, welche vor, mit und nach Shakespeare gelebt, immer nur in kleinen Kreisen Theilnahme ge¬ funden. Tiecks „Altenglisches Theater" und „Vorschule zu Shakespeare," Bau- dissins „Ben Jonson und seine Schule," Bodeustedts „Zeitgenossen Shakespeares" zählten sicher ihre Leser nur nach Hunderten. Gleichwohl wird der Versuch, einige jener Dichter, die man neben Shakespeare nennt, durch ein und das andre ihrer besten Werke dein deutschen Publieum näher zu bringen, wieder und wieder erneuert werden. In diesem Sinne ist die Herausgabe zweier Bände Alteng¬ lisches Theater von Robert Prölß, welche in der bekannten Bibliothek der „Classiker des Auslandes" erschienen, der schon eine ganze Reihe trefflicher, dem Litemturfrcund hochwillkommener Übertragungen angehören, durchaus dankens-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/515
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/515>, abgerufen am 27.12.2024.