Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.Das System der altsynazogalen Theologie. Anschauungen des Judenthums zurückgehen auf das Prineip des NomismuS. Das System der altsynazogalen Theologie. Anschauungen des Judenthums zurückgehen auf das Prineip des NomismuS. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0512" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149496"/> <fw type="header" place="top"> Das System der altsynazogalen Theologie.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1437" prev="#ID_1436"> Anschauungen des Judenthums zurückgehen auf das Prineip des NomismuS.<lb/> Seit der Rückkehr Esras wurde das Gesetz Mosis der ausschließliche Mittelpunkt<lb/> des religiösen Denkens und Lebens aller Frommen des Volkes. So wurde das<lb/> Gesetz das alleinige religiöse Princip, und dies Prineip hat eine neue religiöse<lb/> Denkweise, die specifisch jüdische, erzeugt, welche — wie ausdrücklich betont werden<lb/> muß — von der Lehre des alten Testaments nicht bloß verschieden ist, sondern<lb/> zu ihr in directen Gegensatz tritt. Die Consequenzen des jüdischen NomismuS<lb/> siud die nämlichen wie bei allen andern monistischen Religionen. Die gesammte<lb/> Religiosität geht ans in dem gesetzlichen Verhalten, d. h. in dem Leben nach deu<lb/> einzelnen Vorschriften des Gesetzes, welches als die Offenbarung Gottes schlecht¬<lb/> hin gilt; da aber das Gesetz der Auslegung bedarf, so ist das Studium des<lb/> Gesetzes und der Traditon, welche sich als die autoritative Auslegung des Ge¬<lb/> setzes um dieses herum entwickelt und festgesetzt hat, das andre wesentliche Moment<lb/> der Religiosität, ja nach vorherrschender Ansicht ist das Gesetzesstudium das höhere<lb/> und wichtigere. Heißt es doch im Talmud: „Das Lerne» ist groß, denn das<lb/> Lernen führt zum Thun." Aber dieses Prineip des Nvmismus hat sich auch<lb/> weiter in den einzelnen Lehren entfaltet. Wie die religiösen Anschauungen über<lb/> den sittlichen Zustand lind Werth des Menschen, über das zum Heile führende<lb/> sittliche Verhalten, über das Jenseits und die Vergeltung durchaus von der Frage<lb/> nach dem Verhältniß des einzelnen zum Gesetz bedingt sind, so ist sogar der Gottes-<lb/> begriff vollständig judaisirt worden. Während der Gottesbegriff der jüdischen<lb/> Literatur der ältesten Zeit in seiner abstracten und transcendentalen Fassung dem<lb/> alttestamentlichen ziemlich nahe steht, hat sich unter dein Einflüsse des monistischen<lb/> Princips eine neue, der ältern direct widersprechende Anschauung entwickelt, welche<lb/> das Wesen Gottes in die Endlichkeit herabzieht. Der Gott Israels wird als<lb/> der Gott des Gesetzes aufgefaßt: wie des Menschen Denken, Wollen und Thun<lb/> sich im Gesetze bewegt, so bildet das Gesetz auch den Inhalt des Lebens Gottes.<lb/> Gleich einem echten Rabbiner beschäftigt sich Gott am Tage mit den Büchern<lb/> des Gesetzes und der heiligen Schriften und des Nachts mit den sechs Abschnitten<lb/> der Mischna, ja es giebt sogar nach dem Talmud im Himmel eine der Erforschung<lb/> des Gesetzes gewidmete Versammlung, den hohe» Schulen der Rabbinen auf Erden<lb/> entsprechend! hier sitzen die großen Gcsetzeslehrer nach ihrem Verdienst und ihrer<lb/> Gcsetzeskenutniß und studiren die gesetzlichen Vorschriften, und Gott studirt mit<lb/> ihnen. Ja selbst die letzten Ziele des göttlichen Wollens ordnen sich dem Ge¬<lb/> setze unter; denn um des Gesetzes willen hat er die Welt geschaffen, und um seinet¬<lb/> willen erhält er sie. So hat das Judenthum mit wunderbarer Energie alle<lb/> Consequenzen gezogen, die sich aus dem monistischen Principe ergeben: selbst den<lb/> Gottesbegriff hat es nach dem eignen religiösen Ideale gestaltet.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0512]
Das System der altsynazogalen Theologie.
Anschauungen des Judenthums zurückgehen auf das Prineip des NomismuS.
Seit der Rückkehr Esras wurde das Gesetz Mosis der ausschließliche Mittelpunkt
des religiösen Denkens und Lebens aller Frommen des Volkes. So wurde das
Gesetz das alleinige religiöse Princip, und dies Prineip hat eine neue religiöse
Denkweise, die specifisch jüdische, erzeugt, welche — wie ausdrücklich betont werden
muß — von der Lehre des alten Testaments nicht bloß verschieden ist, sondern
zu ihr in directen Gegensatz tritt. Die Consequenzen des jüdischen NomismuS
siud die nämlichen wie bei allen andern monistischen Religionen. Die gesammte
Religiosität geht ans in dem gesetzlichen Verhalten, d. h. in dem Leben nach deu
einzelnen Vorschriften des Gesetzes, welches als die Offenbarung Gottes schlecht¬
hin gilt; da aber das Gesetz der Auslegung bedarf, so ist das Studium des
Gesetzes und der Traditon, welche sich als die autoritative Auslegung des Ge¬
setzes um dieses herum entwickelt und festgesetzt hat, das andre wesentliche Moment
der Religiosität, ja nach vorherrschender Ansicht ist das Gesetzesstudium das höhere
und wichtigere. Heißt es doch im Talmud: „Das Lerne» ist groß, denn das
Lernen führt zum Thun." Aber dieses Prineip des Nvmismus hat sich auch
weiter in den einzelnen Lehren entfaltet. Wie die religiösen Anschauungen über
den sittlichen Zustand lind Werth des Menschen, über das zum Heile führende
sittliche Verhalten, über das Jenseits und die Vergeltung durchaus von der Frage
nach dem Verhältniß des einzelnen zum Gesetz bedingt sind, so ist sogar der Gottes-
begriff vollständig judaisirt worden. Während der Gottesbegriff der jüdischen
Literatur der ältesten Zeit in seiner abstracten und transcendentalen Fassung dem
alttestamentlichen ziemlich nahe steht, hat sich unter dein Einflüsse des monistischen
Princips eine neue, der ältern direct widersprechende Anschauung entwickelt, welche
das Wesen Gottes in die Endlichkeit herabzieht. Der Gott Israels wird als
der Gott des Gesetzes aufgefaßt: wie des Menschen Denken, Wollen und Thun
sich im Gesetze bewegt, so bildet das Gesetz auch den Inhalt des Lebens Gottes.
Gleich einem echten Rabbiner beschäftigt sich Gott am Tage mit den Büchern
des Gesetzes und der heiligen Schriften und des Nachts mit den sechs Abschnitten
der Mischna, ja es giebt sogar nach dem Talmud im Himmel eine der Erforschung
des Gesetzes gewidmete Versammlung, den hohe» Schulen der Rabbinen auf Erden
entsprechend! hier sitzen die großen Gcsetzeslehrer nach ihrem Verdienst und ihrer
Gcsetzeskenutniß und studiren die gesetzlichen Vorschriften, und Gott studirt mit
ihnen. Ja selbst die letzten Ziele des göttlichen Wollens ordnen sich dem Ge¬
setze unter; denn um des Gesetzes willen hat er die Welt geschaffen, und um seinet¬
willen erhält er sie. So hat das Judenthum mit wunderbarer Energie alle
Consequenzen gezogen, die sich aus dem monistischen Principe ergeben: selbst den
Gottesbegriff hat es nach dem eignen religiösen Ideale gestaltet.
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