Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.Das System der altsynagogalen Theologie. würde; ferner, daß das, was Eisenmenger aus dem Talmud buchstäblich anführt, Die Scheidung und Sichtung des Quellemnaterials, welche dem Eisen- Das System der altsynagogalen Theologie. würde; ferner, daß das, was Eisenmenger aus dem Talmud buchstäblich anführt, Die Scheidung und Sichtung des Quellemnaterials, welche dem Eisen- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0510" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149494"/> <fw type="header" place="top"> Das System der altsynagogalen Theologie.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1432" prev="#ID_1431"> würde; ferner, daß das, was Eisenmenger aus dem Talmud buchstäblich anführt,<lb/> nicht immer Glaube und Lehre des ganzen jüdischen Volkes ausmacht, sondern<lb/> häufig »ur die Meinungen einiger Lehrer enthält, deren Disputation über einzelne<lb/> Punkte im Talmud fixirt worden ist, zugleich mit alleu den unrichtigen und über¬<lb/> eilten Behauptungen, die der Eiser der Disputation und übelangebrachter Scharf¬<lb/> sinn rechthaberischer Gelehrsamkeit zu Tage fördert, und daß sich neben solchen<lb/> Lehren, die denen der Pharisäer des neuen Testaments entsprechen, auch viele<lb/> andre — von Eisenmenger natürlich nicht angeführte — Aussprüche im Talmud<lb/> finden, die der christlichen Moral gleichen und bisweilen sogar fast dem Wort¬<lb/> laute nach entsprechen. Alle diese Bedenken hat schon der berühmte Orientalist<lb/> Joh, Dav. Michaelis, f 1791, dem niemand judenfreundliche Gesinnung vorwerfen<lb/> wird, aus Gründen der Billigkeit und in Rücksicht aus wissenschaftliche Wahrheit<lb/> zum Ausdruck gebracht. Er hat sein Urtheil über das Eisenmengersche Buch in<lb/> folgende Worte zusammengefaßt, die wir als einen Mahnruf zu ruhiger Erwägung,<lb/> dessen schon eine frühere Generation bedürfte, auch der heutigen zu Gemüthe<lb/> führen können: „Ich halte Eisenmengers entdecktes Judenthum für ein gelehrtes,<lb/> aus vielem Fleiß und großer Belesenheit entstandenes Buch, und ich lerne daraus<lb/> sehr oft, wenn ich nachschlage; aber dabei ist es äußerst feindselig und ungerecht,<lb/> und wenn einer gegen eine der drei im römischen Reiche eingeführten Religionen<lb/> etwas dergleichen schriebe, so würde man es eine Lästerschrift nennen. Wie wenn<lb/> einer ein entdecktes Papstthum oder Lutherthum schreiben und mit Vvrbeilassuug<lb/> des Guten, sowie der allgemein angenommenen Sätze und der Widersprüche gegen<lb/> Irrthümer alles auszeichnen wollte, was jemals irgend einem der schlechtesten<lb/> Schriftsteller entfahren, oder was beim Disputiren unter Gelehrten auch nur<lb/> mündlich einmal gesagt ist?! Was man alsdann den Katholiken schuld geben<lb/> könnte, daran doch ihre Religion unschuldig ist, weiß ein jeder: aber gewiß wir<lb/> Lutheraner würden ebenso schlecht wegkommen und so wenig im römischen Reiche<lb/> Duldung verdienen als die münstcrischen Wiedertäufer!"</p><lb/> <p xml:id="ID_1433" next="#ID_1434"> Die Scheidung und Sichtung des Quellemnaterials, welche dem Eisen-<lb/> mengerschen Werke und allen gesinnungs- und stoffverwcmdteu Büchern vollständig<lb/> abgeht, wird zum ersten Male geleistet durch das Webersche Werk. Wie schon<lb/> der Titel desselben erkennen läßt, behandelt der Verfasser nur die religiösen An¬<lb/> schauungen der alten palästinischen Synagoge, aus denen die Glaubens- und<lb/> Sittenlehren, welche in den spätern, mittelalterlichen wie neuern, Schriften vorge¬<lb/> tragen und behandelt werden, erst hervorgegangen sind, indem sie sich als Weiter¬<lb/> bildungen oder auch Auswüchse der frühern maßgebenden und für jüdischen<lb/> Glauben und jüdisches Leben giltigen Anschauungen erweisen. Alle individuellen<lb/> Aussprüche und Lehren einer spätern Zeit aber sind natürlich auszuscheiden, wenn</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0510]
Das System der altsynagogalen Theologie.
würde; ferner, daß das, was Eisenmenger aus dem Talmud buchstäblich anführt,
nicht immer Glaube und Lehre des ganzen jüdischen Volkes ausmacht, sondern
häufig »ur die Meinungen einiger Lehrer enthält, deren Disputation über einzelne
Punkte im Talmud fixirt worden ist, zugleich mit alleu den unrichtigen und über¬
eilten Behauptungen, die der Eiser der Disputation und übelangebrachter Scharf¬
sinn rechthaberischer Gelehrsamkeit zu Tage fördert, und daß sich neben solchen
Lehren, die denen der Pharisäer des neuen Testaments entsprechen, auch viele
andre — von Eisenmenger natürlich nicht angeführte — Aussprüche im Talmud
finden, die der christlichen Moral gleichen und bisweilen sogar fast dem Wort¬
laute nach entsprechen. Alle diese Bedenken hat schon der berühmte Orientalist
Joh, Dav. Michaelis, f 1791, dem niemand judenfreundliche Gesinnung vorwerfen
wird, aus Gründen der Billigkeit und in Rücksicht aus wissenschaftliche Wahrheit
zum Ausdruck gebracht. Er hat sein Urtheil über das Eisenmengersche Buch in
folgende Worte zusammengefaßt, die wir als einen Mahnruf zu ruhiger Erwägung,
dessen schon eine frühere Generation bedürfte, auch der heutigen zu Gemüthe
führen können: „Ich halte Eisenmengers entdecktes Judenthum für ein gelehrtes,
aus vielem Fleiß und großer Belesenheit entstandenes Buch, und ich lerne daraus
sehr oft, wenn ich nachschlage; aber dabei ist es äußerst feindselig und ungerecht,
und wenn einer gegen eine der drei im römischen Reiche eingeführten Religionen
etwas dergleichen schriebe, so würde man es eine Lästerschrift nennen. Wie wenn
einer ein entdecktes Papstthum oder Lutherthum schreiben und mit Vvrbeilassuug
des Guten, sowie der allgemein angenommenen Sätze und der Widersprüche gegen
Irrthümer alles auszeichnen wollte, was jemals irgend einem der schlechtesten
Schriftsteller entfahren, oder was beim Disputiren unter Gelehrten auch nur
mündlich einmal gesagt ist?! Was man alsdann den Katholiken schuld geben
könnte, daran doch ihre Religion unschuldig ist, weiß ein jeder: aber gewiß wir
Lutheraner würden ebenso schlecht wegkommen und so wenig im römischen Reiche
Duldung verdienen als die münstcrischen Wiedertäufer!"
Die Scheidung und Sichtung des Quellemnaterials, welche dem Eisen-
mengerschen Werke und allen gesinnungs- und stoffverwcmdteu Büchern vollständig
abgeht, wird zum ersten Male geleistet durch das Webersche Werk. Wie schon
der Titel desselben erkennen läßt, behandelt der Verfasser nur die religiösen An¬
schauungen der alten palästinischen Synagoge, aus denen die Glaubens- und
Sittenlehren, welche in den spätern, mittelalterlichen wie neuern, Schriften vorge¬
tragen und behandelt werden, erst hervorgegangen sind, indem sie sich als Weiter¬
bildungen oder auch Auswüchse der frühern maßgebenden und für jüdischen
Glauben und jüdisches Leben giltigen Anschauungen erweisen. Alle individuellen
Aussprüche und Lehren einer spätern Zeit aber sind natürlich auszuscheiden, wenn
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