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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Cornelius im Lichte der Gegenwart,

als dieser sein Wohlgefallen an den niederländischen Genremalern aussprach:
"Das sind die Fächler, die Classe von Malern, denen die Kunst nicht in ihrer
Allheit und Einheit erscheint, sondern die sich ein Fach auslösen und dafür
allein arbeiten. Sie sind immer ein Zeichen des Verfalls der Kunst und be¬
halten nur einigen Werth, insofern sie sich auf die wahre, allumfassende Kunst
stützen, wie die Niederländer; sonst sind sie mir immer langweilig ... Kein
Fachwerk! Die Kunst duldet keine Trennung; sie ist ein Ganzes und kann
nicht stückweis erfaßt werden. Selbst die Porträtmalerei, die am ehesten für
sich bestehen könnte, existirt in Wahrheit nur bei wahrhaften Künstlern, wie bei
Holbein, Dürer, Tizian. Der größte Portraitmaler ist Raffael____Die Kunst
ist ein Ganzes, der Künstler muß alles machen; darum ist das Fächeln keine
Kunst und gehört auch in keine Akademie."

Die "Allheit der Kunst" - ist es nicht, als ob man Richard Wagner reden
hörte? Genau dieselben Grundsätze, genau dasselbe Autokratenthum, das nichts
anderes neben sich duldet und in seinen Idealen nicht bloß die höchste - das
wäre menschlich begreiflich und verzeihlich -- sondern auch die einzige Offen¬
barung der Kunst sieht. Das Porträtmalen oder auch nur Porträtzeichnen war
Cornelius bekanntlich versagt. Er hatte sich in seinen gewaltigen Subjektivis¬
mus so hineingelebt, daß ihm die Fähigkeit zu individualisiren, d. h. sich einem
Individuum unterzuordnen, vollständig abhanden gekommen war.

Charakteristisch sür seine schroffe, intolerante Einseitigkeit ist auch ein Urtheil,
welches er im Jahre 1858 über ein Bild des Malers Riedel in Rom abgab,
der ihm eines seiner beliebten Sonnenlichtbilder, ein habendes Mädchen von
einem Sonnenstrahle auf der Schulter beleuchtet, zeigte. "Sie haben vollkom¬
men erreicht, fagte Cornelius, was ich mein Lebenlang mit größter Anstrengung
vermieden habe." Ist es nicht ein merkwürdiges Spiel des Zufalls, wenn man
will eine Art Nemesis, daß der talentvollste Schüler dieses selben Riedel, Carl
Piloty, nachmals die Stellung in München errang und mit so großem Glück
behauptete, in der sich Cornelius nicht zu halten vermochte? Und ist es nicht
abermals ein merkwürdiges Spiel des Zufalls, daß des "christlichen Malers"
Cornelius Schöpfungen, die Summe seiner künstlerischen Thätigkeit, in einem
griechischen Tempel aufbewahrt werden, der im Geiste des Meisters von
Schülern jenes Schinkel erbaut worden ist, welcher Cornelius so wenig sym¬
pathisch war?

Es wurde einmal -- ich weiß nicht, ob öffentlich oder nur in Privatkreisen --
der Vorschlag gemacht, die Cartons von Cornelius als passendes Lehrma¬
terial an die Akademie der Künste zu überweisen. Der große Meister in der
Kunst des Componirens, der es wie kein zweiter Künstler verstanden hat, die
Massen zu beherrschen und rhythmisch einzutheilen und die Linien zu einer wohl-


Cornelius im Lichte der Gegenwart,

als dieser sein Wohlgefallen an den niederländischen Genremalern aussprach:
„Das sind die Fächler, die Classe von Malern, denen die Kunst nicht in ihrer
Allheit und Einheit erscheint, sondern die sich ein Fach auslösen und dafür
allein arbeiten. Sie sind immer ein Zeichen des Verfalls der Kunst und be¬
halten nur einigen Werth, insofern sie sich auf die wahre, allumfassende Kunst
stützen, wie die Niederländer; sonst sind sie mir immer langweilig ... Kein
Fachwerk! Die Kunst duldet keine Trennung; sie ist ein Ganzes und kann
nicht stückweis erfaßt werden. Selbst die Porträtmalerei, die am ehesten für
sich bestehen könnte, existirt in Wahrheit nur bei wahrhaften Künstlern, wie bei
Holbein, Dürer, Tizian. Der größte Portraitmaler ist Raffael____Die Kunst
ist ein Ganzes, der Künstler muß alles machen; darum ist das Fächeln keine
Kunst und gehört auch in keine Akademie."

Die „Allheit der Kunst" - ist es nicht, als ob man Richard Wagner reden
hörte? Genau dieselben Grundsätze, genau dasselbe Autokratenthum, das nichts
anderes neben sich duldet und in seinen Idealen nicht bloß die höchste - das
wäre menschlich begreiflich und verzeihlich — sondern auch die einzige Offen¬
barung der Kunst sieht. Das Porträtmalen oder auch nur Porträtzeichnen war
Cornelius bekanntlich versagt. Er hatte sich in seinen gewaltigen Subjektivis¬
mus so hineingelebt, daß ihm die Fähigkeit zu individualisiren, d. h. sich einem
Individuum unterzuordnen, vollständig abhanden gekommen war.

Charakteristisch sür seine schroffe, intolerante Einseitigkeit ist auch ein Urtheil,
welches er im Jahre 1858 über ein Bild des Malers Riedel in Rom abgab,
der ihm eines seiner beliebten Sonnenlichtbilder, ein habendes Mädchen von
einem Sonnenstrahle auf der Schulter beleuchtet, zeigte. „Sie haben vollkom¬
men erreicht, fagte Cornelius, was ich mein Lebenlang mit größter Anstrengung
vermieden habe." Ist es nicht ein merkwürdiges Spiel des Zufalls, wenn man
will eine Art Nemesis, daß der talentvollste Schüler dieses selben Riedel, Carl
Piloty, nachmals die Stellung in München errang und mit so großem Glück
behauptete, in der sich Cornelius nicht zu halten vermochte? Und ist es nicht
abermals ein merkwürdiges Spiel des Zufalls, daß des „christlichen Malers"
Cornelius Schöpfungen, die Summe seiner künstlerischen Thätigkeit, in einem
griechischen Tempel aufbewahrt werden, der im Geiste des Meisters von
Schülern jenes Schinkel erbaut worden ist, welcher Cornelius so wenig sym¬
pathisch war?

Es wurde einmal — ich weiß nicht, ob öffentlich oder nur in Privatkreisen —
der Vorschlag gemacht, die Cartons von Cornelius als passendes Lehrma¬
terial an die Akademie der Künste zu überweisen. Der große Meister in der
Kunst des Componirens, der es wie kein zweiter Künstler verstanden hat, die
Massen zu beherrschen und rhythmisch einzutheilen und die Linien zu einer wohl-


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[0047] Cornelius im Lichte der Gegenwart, als dieser sein Wohlgefallen an den niederländischen Genremalern aussprach: „Das sind die Fächler, die Classe von Malern, denen die Kunst nicht in ihrer Allheit und Einheit erscheint, sondern die sich ein Fach auslösen und dafür allein arbeiten. Sie sind immer ein Zeichen des Verfalls der Kunst und be¬ halten nur einigen Werth, insofern sie sich auf die wahre, allumfassende Kunst stützen, wie die Niederländer; sonst sind sie mir immer langweilig ... Kein Fachwerk! Die Kunst duldet keine Trennung; sie ist ein Ganzes und kann nicht stückweis erfaßt werden. Selbst die Porträtmalerei, die am ehesten für sich bestehen könnte, existirt in Wahrheit nur bei wahrhaften Künstlern, wie bei Holbein, Dürer, Tizian. Der größte Portraitmaler ist Raffael____Die Kunst ist ein Ganzes, der Künstler muß alles machen; darum ist das Fächeln keine Kunst und gehört auch in keine Akademie." Die „Allheit der Kunst" - ist es nicht, als ob man Richard Wagner reden hörte? Genau dieselben Grundsätze, genau dasselbe Autokratenthum, das nichts anderes neben sich duldet und in seinen Idealen nicht bloß die höchste - das wäre menschlich begreiflich und verzeihlich — sondern auch die einzige Offen¬ barung der Kunst sieht. Das Porträtmalen oder auch nur Porträtzeichnen war Cornelius bekanntlich versagt. Er hatte sich in seinen gewaltigen Subjektivis¬ mus so hineingelebt, daß ihm die Fähigkeit zu individualisiren, d. h. sich einem Individuum unterzuordnen, vollständig abhanden gekommen war. Charakteristisch sür seine schroffe, intolerante Einseitigkeit ist auch ein Urtheil, welches er im Jahre 1858 über ein Bild des Malers Riedel in Rom abgab, der ihm eines seiner beliebten Sonnenlichtbilder, ein habendes Mädchen von einem Sonnenstrahle auf der Schulter beleuchtet, zeigte. „Sie haben vollkom¬ men erreicht, fagte Cornelius, was ich mein Lebenlang mit größter Anstrengung vermieden habe." Ist es nicht ein merkwürdiges Spiel des Zufalls, wenn man will eine Art Nemesis, daß der talentvollste Schüler dieses selben Riedel, Carl Piloty, nachmals die Stellung in München errang und mit so großem Glück behauptete, in der sich Cornelius nicht zu halten vermochte? Und ist es nicht abermals ein merkwürdiges Spiel des Zufalls, daß des „christlichen Malers" Cornelius Schöpfungen, die Summe seiner künstlerischen Thätigkeit, in einem griechischen Tempel aufbewahrt werden, der im Geiste des Meisters von Schülern jenes Schinkel erbaut worden ist, welcher Cornelius so wenig sym¬ pathisch war? Es wurde einmal — ich weiß nicht, ob öffentlich oder nur in Privatkreisen — der Vorschlag gemacht, die Cartons von Cornelius als passendes Lehrma¬ terial an die Akademie der Künste zu überweisen. Der große Meister in der Kunst des Componirens, der es wie kein zweiter Künstler verstanden hat, die Massen zu beherrschen und rhythmisch einzutheilen und die Linien zu einer wohl-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/47>, abgerufen am 27.12.2024.