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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Aus den Erinnerungen eines dänischen Staatsmannes.

in das idyllische Pfarrhaus zu Niendorf bei Hamburg einzutreten, wo ihm Kindheit
und erste Jugend verfloß -- Rist wurde geboren den 23. November 1775 --,
und suchen ihn zuerst als Schiller des Hamburger Gymnasiums auf. Den Unter¬
richt, den Rist hier empfing, weiß er wenig zu loben. Trotz des berühmten
Namens einiger Lehrer mochte die Hamburger Anstalt damals wohl unter den
gelehrten Schulen Deutschlands ziemlich niedrig stehen. Der Vortrag der Pro¬
fessoren fesselte nicht, und so konnte es geschehen, daß während desselben die
Schüler die französischen Revvlutionshymnen summten. Die Ideen der französischen
Revolution, die damals so viele Sinne blendeten und in einen förmlichen Taumel
der Begeisterung versetzten, hatten in Hamburg eiuen sehr empfänglichen Boden
gefunden. Viele Franzosen hatten sich hier gesammelt, der Herzog von Orleans,
Dumouriez hielten sich unter fremden Namen in der vermöge ihrer Neutralität
einladenden Stadt auf. So wurde Hamburg kosmopolitisch. "Als ich Bewohner
von Hamburg wurde," sagt Rist, "stand diese Stadt mitten in einer Verwand¬
lungsepoche. Der alterthümliche Rost in Gesinnung, Bauart, Sitten und Lebens¬
weise war merklich abgeschliffen, und gerade um diese Zeit hatte der plötzlich
zunehmende Wohlstand durch die Neutralität während des Nevolutivnskrieges
sich schnell vermehrt, die Ansiedlung fremder, üppiger Haudlungshüuser und das
Einströmen einer Menge müssiger, zum Theil wohlhabender, zum Theil dem Luxus
dienender Fremden, die hier Sicherheit und Zeitvertreib suchten, dem ganzen Ge¬
triebe des bürgerlichen Lebens einen ungewöhnlichen Schwung, den Gesellschaften
einen andern Charakter und den Sitten eine neue Richtung gegeben, die man
wohl lustiger, aber uicht eben besser nennen dürfte. Kaffeehäuser, schöne Luder, Re¬
staurationen, glänzende Fuhrwerke entstanden erst in dieser Zeit; ein französisches
und englisches Schauspiel kam neben dem deutschen auf, und die Verführung
drang in die Bürgerhäuser und zeigte sich zuerst frech auf den Gassen." Kein
Wunder, daß die Ideen der Revolution hier Eingang fanden. Rist erzählt uns,
daß in dem Hause eines Verwandten, Schuhmacher, wöchentlich ein Kreis von
Literaten und ihnen gleichgesinnten Radicalen sich zusammenfand, in welchem
rücksichtslos über alles, was bis dahin als Heiligthum gegolten hatte, der Stab
gebrochen wurde. Häufig endeten diese Zusammenkünfte in jacobinischen Baccha¬
nalien. Die Theilnahme an diesen Zirkeln brachte zum Glück dem Gymnasiasten
keinen Schaden. Sein reiner und klarer Geist blieb von ihren Ausschweifungen
unberührt; "noch erinnere ich mich deutlich," erzählt er, "des innern Grauens
und Widerwillens, mit dem die Ruchlosigkeit dieses Kreises mich erfüllte, mich,
dem so Vieles heilig und werth war. Ich konnte die Wuth nicht theilen, die
sich, gleich einer Ansteckung, der Menschen bemeistert hatte, die ich im übrigen
Leben als harmlos kannte; und wenn ich so früh schon in die Geheimnisse der


Aus den Erinnerungen eines dänischen Staatsmannes.

in das idyllische Pfarrhaus zu Niendorf bei Hamburg einzutreten, wo ihm Kindheit
und erste Jugend verfloß — Rist wurde geboren den 23. November 1775 —,
und suchen ihn zuerst als Schiller des Hamburger Gymnasiums auf. Den Unter¬
richt, den Rist hier empfing, weiß er wenig zu loben. Trotz des berühmten
Namens einiger Lehrer mochte die Hamburger Anstalt damals wohl unter den
gelehrten Schulen Deutschlands ziemlich niedrig stehen. Der Vortrag der Pro¬
fessoren fesselte nicht, und so konnte es geschehen, daß während desselben die
Schüler die französischen Revvlutionshymnen summten. Die Ideen der französischen
Revolution, die damals so viele Sinne blendeten und in einen förmlichen Taumel
der Begeisterung versetzten, hatten in Hamburg eiuen sehr empfänglichen Boden
gefunden. Viele Franzosen hatten sich hier gesammelt, der Herzog von Orleans,
Dumouriez hielten sich unter fremden Namen in der vermöge ihrer Neutralität
einladenden Stadt auf. So wurde Hamburg kosmopolitisch. „Als ich Bewohner
von Hamburg wurde," sagt Rist, „stand diese Stadt mitten in einer Verwand¬
lungsepoche. Der alterthümliche Rost in Gesinnung, Bauart, Sitten und Lebens¬
weise war merklich abgeschliffen, und gerade um diese Zeit hatte der plötzlich
zunehmende Wohlstand durch die Neutralität während des Nevolutivnskrieges
sich schnell vermehrt, die Ansiedlung fremder, üppiger Haudlungshüuser und das
Einströmen einer Menge müssiger, zum Theil wohlhabender, zum Theil dem Luxus
dienender Fremden, die hier Sicherheit und Zeitvertreib suchten, dem ganzen Ge¬
triebe des bürgerlichen Lebens einen ungewöhnlichen Schwung, den Gesellschaften
einen andern Charakter und den Sitten eine neue Richtung gegeben, die man
wohl lustiger, aber uicht eben besser nennen dürfte. Kaffeehäuser, schöne Luder, Re¬
staurationen, glänzende Fuhrwerke entstanden erst in dieser Zeit; ein französisches
und englisches Schauspiel kam neben dem deutschen auf, und die Verführung
drang in die Bürgerhäuser und zeigte sich zuerst frech auf den Gassen." Kein
Wunder, daß die Ideen der Revolution hier Eingang fanden. Rist erzählt uns,
daß in dem Hause eines Verwandten, Schuhmacher, wöchentlich ein Kreis von
Literaten und ihnen gleichgesinnten Radicalen sich zusammenfand, in welchem
rücksichtslos über alles, was bis dahin als Heiligthum gegolten hatte, der Stab
gebrochen wurde. Häufig endeten diese Zusammenkünfte in jacobinischen Baccha¬
nalien. Die Theilnahme an diesen Zirkeln brachte zum Glück dem Gymnasiasten
keinen Schaden. Sein reiner und klarer Geist blieb von ihren Ausschweifungen
unberührt; „noch erinnere ich mich deutlich," erzählt er, „des innern Grauens
und Widerwillens, mit dem die Ruchlosigkeit dieses Kreises mich erfüllte, mich,
dem so Vieles heilig und werth war. Ich konnte die Wuth nicht theilen, die
sich, gleich einer Ansteckung, der Menschen bemeistert hatte, die ich im übrigen
Leben als harmlos kannte; und wenn ich so früh schon in die Geheimnisse der


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[0468] Aus den Erinnerungen eines dänischen Staatsmannes. in das idyllische Pfarrhaus zu Niendorf bei Hamburg einzutreten, wo ihm Kindheit und erste Jugend verfloß — Rist wurde geboren den 23. November 1775 —, und suchen ihn zuerst als Schiller des Hamburger Gymnasiums auf. Den Unter¬ richt, den Rist hier empfing, weiß er wenig zu loben. Trotz des berühmten Namens einiger Lehrer mochte die Hamburger Anstalt damals wohl unter den gelehrten Schulen Deutschlands ziemlich niedrig stehen. Der Vortrag der Pro¬ fessoren fesselte nicht, und so konnte es geschehen, daß während desselben die Schüler die französischen Revvlutionshymnen summten. Die Ideen der französischen Revolution, die damals so viele Sinne blendeten und in einen förmlichen Taumel der Begeisterung versetzten, hatten in Hamburg eiuen sehr empfänglichen Boden gefunden. Viele Franzosen hatten sich hier gesammelt, der Herzog von Orleans, Dumouriez hielten sich unter fremden Namen in der vermöge ihrer Neutralität einladenden Stadt auf. So wurde Hamburg kosmopolitisch. „Als ich Bewohner von Hamburg wurde," sagt Rist, „stand diese Stadt mitten in einer Verwand¬ lungsepoche. Der alterthümliche Rost in Gesinnung, Bauart, Sitten und Lebens¬ weise war merklich abgeschliffen, und gerade um diese Zeit hatte der plötzlich zunehmende Wohlstand durch die Neutralität während des Nevolutivnskrieges sich schnell vermehrt, die Ansiedlung fremder, üppiger Haudlungshüuser und das Einströmen einer Menge müssiger, zum Theil wohlhabender, zum Theil dem Luxus dienender Fremden, die hier Sicherheit und Zeitvertreib suchten, dem ganzen Ge¬ triebe des bürgerlichen Lebens einen ungewöhnlichen Schwung, den Gesellschaften einen andern Charakter und den Sitten eine neue Richtung gegeben, die man wohl lustiger, aber uicht eben besser nennen dürfte. Kaffeehäuser, schöne Luder, Re¬ staurationen, glänzende Fuhrwerke entstanden erst in dieser Zeit; ein französisches und englisches Schauspiel kam neben dem deutschen auf, und die Verführung drang in die Bürgerhäuser und zeigte sich zuerst frech auf den Gassen." Kein Wunder, daß die Ideen der Revolution hier Eingang fanden. Rist erzählt uns, daß in dem Hause eines Verwandten, Schuhmacher, wöchentlich ein Kreis von Literaten und ihnen gleichgesinnten Radicalen sich zusammenfand, in welchem rücksichtslos über alles, was bis dahin als Heiligthum gegolten hatte, der Stab gebrochen wurde. Häufig endeten diese Zusammenkünfte in jacobinischen Baccha¬ nalien. Die Theilnahme an diesen Zirkeln brachte zum Glück dem Gymnasiasten keinen Schaden. Sein reiner und klarer Geist blieb von ihren Ausschweifungen unberührt; „noch erinnere ich mich deutlich," erzählt er, „des innern Grauens und Widerwillens, mit dem die Ruchlosigkeit dieses Kreises mich erfüllte, mich, dem so Vieles heilig und werth war. Ich konnte die Wuth nicht theilen, die sich, gleich einer Ansteckung, der Menschen bemeistert hatte, die ich im übrigen Leben als harmlos kannte; und wenn ich so früh schon in die Geheimnisse der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/468>, abgerufen am 27.12.2024.