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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Die Lnthiillungcn über die russische Politik in Asien.

das britische und das russische Reich in Asien müßten sich einmal mit ihren
Grenzen berühren. .. Se> Excellenz sagte, wenn England es in seinem Interesse
finden sollte, Afghanistan seinem indischen Reiche einzuverleiben, so würde die
russische Regierung dies nicht als eine gegen sich gerichtete Drohung auffassen
und ebensowenig den Versuch machen, es zu verhindern ..." Herr Doria fügt
hinzu: "Ich bin zu der Ueberzeugung gelangt, daß viele Russen und unter ihnen
Leute von politischer Stellung und im Dienste der Negierung vollständig über¬
zeugt davon sind, daß für alle Zeit die Aufrechthaltung eines großen neutralen
Gebiets zwischen den beiden Reichen eine Unmöglichkeit ist, und daß dieser Ge¬
danke aufgegeben werden muß."

Ein Wink in Bezug auf das, was vor fünf und ein halb Jahren vorging,
scheint Kabul sehr bald erreicht zu haben; denn in einem Briefe des Generals
v. Kaufmann an den Emir schir Ali, der vom 12. Juli 1875, demselben Tage,
wo Doria seine zweite Unterredung mit Jomini hatte, datirt war, und der im
September in Kabul eintraf, machten sich die dortigen Behörden folgende geheime
Notiz: "Diesmal hat die russische Negierung sich zum Theilnehmer an der Be-
schützung Afghanistans erklärt. Dieser Paragraph schlägt einen neuen Ton an.
Gott weiß, was für Staatsgeheimnisse in ihm stecken."

Im Mai 1876 begegnete Lord Augustus Loftus, der britische Botschafter
in Se. Petersburg, dort dem General v. Kaufmann, der zu ihm sagte, er habe
die Rede des Herrn Disraeli gelesen, und dem Botschafter "die Hoffnung aus¬
drückte, daß Nußland und England in Ccntralasieu in herzlichem EinVerständniß
zu ihrem beiderseitigen Wohle und zum Fortschreiten der Civilisation handeln
würden."

Wir brauchen aus den Blaubüchern nur noch den Brief zu citiren, den Lord
Loftus am 21. Juni 1877 auf Befehl des Lords Derby an Herrn de Giers
schrieb, und in welchem es hieß, "die Bewegung russischer Truppen gegen Merv
oder ein anderes derartiges Vorgehen werde Ihrer Majestät Regierung die Noth¬
wendigkeit auferlegen, in dem entsprechender Weise vorzurücken.. . Dieselbe könne
aber eine so starke Annäherung der Vorposten der beiden Reiche nicht als an
sich wünschenswerth oder förderlich für die Erfüllung der schwierigen Pflichten
betrachten, welche den Verwaltungen dieser Länder auferlegt seien."

Diese indirecte Antwort auf die Anerbietungen des Versuchers bewog diesen
nicht, vom Urgiren seiner Pläne abzulassen. Im Jahre 1878 theilte das Indische
Amt dem Minister des Auswärtigen zu London einen Brief mit Berichten des
Regierungsagenten in Peschcmwar mit, der vom 3. August datirt war, und in
welchem die folgende Stelle vorkam: "Ein Ungenannter übersandte von hier eine
Bittschrift an den Emir, in welcher er denselben benachrichtigte, daß die britische


Die Lnthiillungcn über die russische Politik in Asien.

das britische und das russische Reich in Asien müßten sich einmal mit ihren
Grenzen berühren. .. Se> Excellenz sagte, wenn England es in seinem Interesse
finden sollte, Afghanistan seinem indischen Reiche einzuverleiben, so würde die
russische Regierung dies nicht als eine gegen sich gerichtete Drohung auffassen
und ebensowenig den Versuch machen, es zu verhindern ..." Herr Doria fügt
hinzu: „Ich bin zu der Ueberzeugung gelangt, daß viele Russen und unter ihnen
Leute von politischer Stellung und im Dienste der Negierung vollständig über¬
zeugt davon sind, daß für alle Zeit die Aufrechthaltung eines großen neutralen
Gebiets zwischen den beiden Reichen eine Unmöglichkeit ist, und daß dieser Ge¬
danke aufgegeben werden muß."

Ein Wink in Bezug auf das, was vor fünf und ein halb Jahren vorging,
scheint Kabul sehr bald erreicht zu haben; denn in einem Briefe des Generals
v. Kaufmann an den Emir schir Ali, der vom 12. Juli 1875, demselben Tage,
wo Doria seine zweite Unterredung mit Jomini hatte, datirt war, und der im
September in Kabul eintraf, machten sich die dortigen Behörden folgende geheime
Notiz: „Diesmal hat die russische Negierung sich zum Theilnehmer an der Be-
schützung Afghanistans erklärt. Dieser Paragraph schlägt einen neuen Ton an.
Gott weiß, was für Staatsgeheimnisse in ihm stecken."

Im Mai 1876 begegnete Lord Augustus Loftus, der britische Botschafter
in Se. Petersburg, dort dem General v. Kaufmann, der zu ihm sagte, er habe
die Rede des Herrn Disraeli gelesen, und dem Botschafter „die Hoffnung aus¬
drückte, daß Nußland und England in Ccntralasieu in herzlichem EinVerständniß
zu ihrem beiderseitigen Wohle und zum Fortschreiten der Civilisation handeln
würden."

Wir brauchen aus den Blaubüchern nur noch den Brief zu citiren, den Lord
Loftus am 21. Juni 1877 auf Befehl des Lords Derby an Herrn de Giers
schrieb, und in welchem es hieß, „die Bewegung russischer Truppen gegen Merv
oder ein anderes derartiges Vorgehen werde Ihrer Majestät Regierung die Noth¬
wendigkeit auferlegen, in dem entsprechender Weise vorzurücken.. . Dieselbe könne
aber eine so starke Annäherung der Vorposten der beiden Reiche nicht als an
sich wünschenswerth oder förderlich für die Erfüllung der schwierigen Pflichten
betrachten, welche den Verwaltungen dieser Länder auferlegt seien."

Diese indirecte Antwort auf die Anerbietungen des Versuchers bewog diesen
nicht, vom Urgiren seiner Pläne abzulassen. Im Jahre 1878 theilte das Indische
Amt dem Minister des Auswärtigen zu London einen Brief mit Berichten des
Regierungsagenten in Peschcmwar mit, der vom 3. August datirt war, und in
welchem die folgende Stelle vorkam: „Ein Ungenannter übersandte von hier eine
Bittschrift an den Emir, in welcher er denselben benachrichtigte, daß die britische


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[0464] Die Lnthiillungcn über die russische Politik in Asien. das britische und das russische Reich in Asien müßten sich einmal mit ihren Grenzen berühren. .. Se> Excellenz sagte, wenn England es in seinem Interesse finden sollte, Afghanistan seinem indischen Reiche einzuverleiben, so würde die russische Regierung dies nicht als eine gegen sich gerichtete Drohung auffassen und ebensowenig den Versuch machen, es zu verhindern ..." Herr Doria fügt hinzu: „Ich bin zu der Ueberzeugung gelangt, daß viele Russen und unter ihnen Leute von politischer Stellung und im Dienste der Negierung vollständig über¬ zeugt davon sind, daß für alle Zeit die Aufrechthaltung eines großen neutralen Gebiets zwischen den beiden Reichen eine Unmöglichkeit ist, und daß dieser Ge¬ danke aufgegeben werden muß." Ein Wink in Bezug auf das, was vor fünf und ein halb Jahren vorging, scheint Kabul sehr bald erreicht zu haben; denn in einem Briefe des Generals v. Kaufmann an den Emir schir Ali, der vom 12. Juli 1875, demselben Tage, wo Doria seine zweite Unterredung mit Jomini hatte, datirt war, und der im September in Kabul eintraf, machten sich die dortigen Behörden folgende geheime Notiz: „Diesmal hat die russische Negierung sich zum Theilnehmer an der Be- schützung Afghanistans erklärt. Dieser Paragraph schlägt einen neuen Ton an. Gott weiß, was für Staatsgeheimnisse in ihm stecken." Im Mai 1876 begegnete Lord Augustus Loftus, der britische Botschafter in Se. Petersburg, dort dem General v. Kaufmann, der zu ihm sagte, er habe die Rede des Herrn Disraeli gelesen, und dem Botschafter „die Hoffnung aus¬ drückte, daß Nußland und England in Ccntralasieu in herzlichem EinVerständniß zu ihrem beiderseitigen Wohle und zum Fortschreiten der Civilisation handeln würden." Wir brauchen aus den Blaubüchern nur noch den Brief zu citiren, den Lord Loftus am 21. Juni 1877 auf Befehl des Lords Derby an Herrn de Giers schrieb, und in welchem es hieß, „die Bewegung russischer Truppen gegen Merv oder ein anderes derartiges Vorgehen werde Ihrer Majestät Regierung die Noth¬ wendigkeit auferlegen, in dem entsprechender Weise vorzurücken.. . Dieselbe könne aber eine so starke Annäherung der Vorposten der beiden Reiche nicht als an sich wünschenswerth oder förderlich für die Erfüllung der schwierigen Pflichten betrachten, welche den Verwaltungen dieser Länder auferlegt seien." Diese indirecte Antwort auf die Anerbietungen des Versuchers bewog diesen nicht, vom Urgiren seiner Pläne abzulassen. Im Jahre 1878 theilte das Indische Amt dem Minister des Auswärtigen zu London einen Brief mit Berichten des Regierungsagenten in Peschcmwar mit, der vom 3. August datirt war, und in welchem die folgende Stelle vorkam: „Ein Ungenannter übersandte von hier eine Bittschrift an den Emir, in welcher er denselben benachrichtigte, daß die britische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/464>, abgerufen am 28.12.2024.