Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Cornelius im Lichte der Gegenwart.

gar keine rechte feine Gliederung." Und doch war der Architekt Schinkel zehn
Mal mehr Maler als der Maler Cornelius.

Aus München war Cornelius im Groll geschieden, und man hatte ihn
nicht einmal ungern scheiden sein. So glänzend er sich mit den Glyptothek¬
fresken eingeführt hatte, so wenig vermochte er selbst seine Verehrer mit den
Fresken der Ludwigskirche zu befriedigen. Wie es Michelangelo in der Sixti-
nischen Kapelle gethan, wollte auch Cornelius alle diejenigen, die sich über sein
technisches Können zweifelnd oder mißbilligend aussprachen, dnrch eine große
That zum Schweigen bringen. Eigenhändig führte er das jüngste Gericht in
der Ludwigskirche aus, bestätigte aber dadurch nur, was seine Gegner über ihn
in Umlauf gebracht hatten. Trotz einer nochmaligen Bearbeitung gelang es
ihm nicht, die dominirenden blauen und gelben Töne zu einer leidlichen Har¬
monie zu verschmelzen. Berührte schon damals die coloristische Haltung des
Riesengemäldes Freund und Feind gleich unangenehm, so ist dieser Eindruck
heute, wo Gelb und Blau noch mehr aus dem Gesammtton herausgewachsen
sind, noch störender geworden. Es war daher sehr unvorsichtig von Riegel, sich
in seiner Vertheidigung des Malers Cornelius gerade auf dieses Gemälde zu
berufen. "Gehört der Mann, der, von vielen andern Werken abgesehen, das
Weltgericht in der Ludwigskirche, ein Bild von 2 500 Quadratfußen, von An¬
fang bis zu Ende mit eigener Hand gemalt -- und wie! gemalt -- hat, wirk¬
lich zu deu Malern, die nicht malen können?" So fragt Riegel in seinem
oben angeführten Artikel. Ich muß annehmen, daß Riegel das Gemälde seit
längerer Zeit nicht gesehen hat. sonst konnte er dergleichen nicht schreiben. Als
Freskvmaler hat Cornelius mit diesem Bilde ein entschiedenes Fiasko erlitten,
was selbst von Reder, der doch ein warmer Verehrer des Meisters ist, in seiner
"Geschichte der neueren deutschen Kunst" ehrlich eingestanden wird. Man wird
also wenigstens dagegen Protest einlegen dürfen, daß nicht offenkundige That¬
sachen, wenn auch in noch so guter Absicht, verdunkelt werden.

Mit einem Fiasco schied Cornelius aus München, mit einem Fiasco de-
bütirte er auch in Berlin. Der Graf Raczynsti hatte bei ihm ein Gemälde
"Christus in der Vorhölle" bestellt, welches Cornelius in Oel ausführte; es
kam im Herbst 1843 zur Ausstellung. Hören wir nun, wie Kugler, einer der
maßvollsten Kritiker, die jemals die Feder geführt haben, den Eindruck schilderte,
den dieses Bild in Berlin hervorrief: "Ein Schrei des Unwillens zuckte durch
die Stadt und machte sich selbst in einzelnen sehr beißenden Aeußerungen in
den Zeitungen Luft. Sollten diese harten, schweren, zum Theil unvermittelter
Farben für Zeichnung und Plastik, diese seltsam zurückgewundenen Augen sür
Ausdruck gelten? Sollte dies zum Theil gänzlich apathische, zum Theil aller¬
dings leidenschaftlich angeregte Zusammensitzen und Stehen eines Kreises von


Cornelius im Lichte der Gegenwart.

gar keine rechte feine Gliederung." Und doch war der Architekt Schinkel zehn
Mal mehr Maler als der Maler Cornelius.

Aus München war Cornelius im Groll geschieden, und man hatte ihn
nicht einmal ungern scheiden sein. So glänzend er sich mit den Glyptothek¬
fresken eingeführt hatte, so wenig vermochte er selbst seine Verehrer mit den
Fresken der Ludwigskirche zu befriedigen. Wie es Michelangelo in der Sixti-
nischen Kapelle gethan, wollte auch Cornelius alle diejenigen, die sich über sein
technisches Können zweifelnd oder mißbilligend aussprachen, dnrch eine große
That zum Schweigen bringen. Eigenhändig führte er das jüngste Gericht in
der Ludwigskirche aus, bestätigte aber dadurch nur, was seine Gegner über ihn
in Umlauf gebracht hatten. Trotz einer nochmaligen Bearbeitung gelang es
ihm nicht, die dominirenden blauen und gelben Töne zu einer leidlichen Har¬
monie zu verschmelzen. Berührte schon damals die coloristische Haltung des
Riesengemäldes Freund und Feind gleich unangenehm, so ist dieser Eindruck
heute, wo Gelb und Blau noch mehr aus dem Gesammtton herausgewachsen
sind, noch störender geworden. Es war daher sehr unvorsichtig von Riegel, sich
in seiner Vertheidigung des Malers Cornelius gerade auf dieses Gemälde zu
berufen. „Gehört der Mann, der, von vielen andern Werken abgesehen, das
Weltgericht in der Ludwigskirche, ein Bild von 2 500 Quadratfußen, von An¬
fang bis zu Ende mit eigener Hand gemalt — und wie! gemalt — hat, wirk¬
lich zu deu Malern, die nicht malen können?" So fragt Riegel in seinem
oben angeführten Artikel. Ich muß annehmen, daß Riegel das Gemälde seit
längerer Zeit nicht gesehen hat. sonst konnte er dergleichen nicht schreiben. Als
Freskvmaler hat Cornelius mit diesem Bilde ein entschiedenes Fiasko erlitten,
was selbst von Reder, der doch ein warmer Verehrer des Meisters ist, in seiner
„Geschichte der neueren deutschen Kunst" ehrlich eingestanden wird. Man wird
also wenigstens dagegen Protest einlegen dürfen, daß nicht offenkundige That¬
sachen, wenn auch in noch so guter Absicht, verdunkelt werden.

Mit einem Fiasco schied Cornelius aus München, mit einem Fiasco de-
bütirte er auch in Berlin. Der Graf Raczynsti hatte bei ihm ein Gemälde
„Christus in der Vorhölle" bestellt, welches Cornelius in Oel ausführte; es
kam im Herbst 1843 zur Ausstellung. Hören wir nun, wie Kugler, einer der
maßvollsten Kritiker, die jemals die Feder geführt haben, den Eindruck schilderte,
den dieses Bild in Berlin hervorrief: „Ein Schrei des Unwillens zuckte durch
die Stadt und machte sich selbst in einzelnen sehr beißenden Aeußerungen in
den Zeitungen Luft. Sollten diese harten, schweren, zum Theil unvermittelter
Farben für Zeichnung und Plastik, diese seltsam zurückgewundenen Augen sür
Ausdruck gelten? Sollte dies zum Theil gänzlich apathische, zum Theil aller¬
dings leidenschaftlich angeregte Zusammensitzen und Stehen eines Kreises von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0045" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149029"/>
          <fw type="header" place="top"> Cornelius im Lichte der Gegenwart.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_92" prev="#ID_91"> gar keine rechte feine Gliederung." Und doch war der Architekt Schinkel zehn<lb/>
Mal mehr Maler als der Maler Cornelius.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_93"> Aus München war Cornelius im Groll geschieden, und man hatte ihn<lb/>
nicht einmal ungern scheiden sein. So glänzend er sich mit den Glyptothek¬<lb/>
fresken eingeführt hatte, so wenig vermochte er selbst seine Verehrer mit den<lb/>
Fresken der Ludwigskirche zu befriedigen. Wie es Michelangelo in der Sixti-<lb/>
nischen Kapelle gethan, wollte auch Cornelius alle diejenigen, die sich über sein<lb/>
technisches Können zweifelnd oder mißbilligend aussprachen, dnrch eine große<lb/>
That zum Schweigen bringen. Eigenhändig führte er das jüngste Gericht in<lb/>
der Ludwigskirche aus, bestätigte aber dadurch nur, was seine Gegner über ihn<lb/>
in Umlauf gebracht hatten. Trotz einer nochmaligen Bearbeitung gelang es<lb/>
ihm nicht, die dominirenden blauen und gelben Töne zu einer leidlichen Har¬<lb/>
monie zu verschmelzen. Berührte schon damals die coloristische Haltung des<lb/>
Riesengemäldes Freund und Feind gleich unangenehm, so ist dieser Eindruck<lb/>
heute, wo Gelb und Blau noch mehr aus dem Gesammtton herausgewachsen<lb/>
sind, noch störender geworden. Es war daher sehr unvorsichtig von Riegel, sich<lb/>
in seiner Vertheidigung des Malers Cornelius gerade auf dieses Gemälde zu<lb/>
berufen. &#x201E;Gehört der Mann, der, von vielen andern Werken abgesehen, das<lb/>
Weltgericht in der Ludwigskirche, ein Bild von 2 500 Quadratfußen, von An¬<lb/>
fang bis zu Ende mit eigener Hand gemalt &#x2014; und wie! gemalt &#x2014; hat, wirk¬<lb/>
lich zu deu Malern, die nicht malen können?" So fragt Riegel in seinem<lb/>
oben angeführten Artikel. Ich muß annehmen, daß Riegel das Gemälde seit<lb/>
längerer Zeit nicht gesehen hat. sonst konnte er dergleichen nicht schreiben. Als<lb/>
Freskvmaler hat Cornelius mit diesem Bilde ein entschiedenes Fiasko erlitten,<lb/>
was selbst von Reder, der doch ein warmer Verehrer des Meisters ist, in seiner<lb/>
&#x201E;Geschichte der neueren deutschen Kunst" ehrlich eingestanden wird. Man wird<lb/>
also wenigstens dagegen Protest einlegen dürfen, daß nicht offenkundige That¬<lb/>
sachen, wenn auch in noch so guter Absicht, verdunkelt werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_94" next="#ID_95"> Mit einem Fiasco schied Cornelius aus München, mit einem Fiasco de-<lb/>
bütirte er auch in Berlin. Der Graf Raczynsti hatte bei ihm ein Gemälde<lb/>
&#x201E;Christus in der Vorhölle" bestellt, welches Cornelius in Oel ausführte; es<lb/>
kam im Herbst 1843 zur Ausstellung. Hören wir nun, wie Kugler, einer der<lb/>
maßvollsten Kritiker, die jemals die Feder geführt haben, den Eindruck schilderte,<lb/>
den dieses Bild in Berlin hervorrief: &#x201E;Ein Schrei des Unwillens zuckte durch<lb/>
die Stadt und machte sich selbst in einzelnen sehr beißenden Aeußerungen in<lb/>
den Zeitungen Luft. Sollten diese harten, schweren, zum Theil unvermittelter<lb/>
Farben für Zeichnung und Plastik, diese seltsam zurückgewundenen Augen sür<lb/>
Ausdruck gelten? Sollte dies zum Theil gänzlich apathische, zum Theil aller¬<lb/>
dings leidenschaftlich angeregte Zusammensitzen und Stehen eines Kreises von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0045] Cornelius im Lichte der Gegenwart. gar keine rechte feine Gliederung." Und doch war der Architekt Schinkel zehn Mal mehr Maler als der Maler Cornelius. Aus München war Cornelius im Groll geschieden, und man hatte ihn nicht einmal ungern scheiden sein. So glänzend er sich mit den Glyptothek¬ fresken eingeführt hatte, so wenig vermochte er selbst seine Verehrer mit den Fresken der Ludwigskirche zu befriedigen. Wie es Michelangelo in der Sixti- nischen Kapelle gethan, wollte auch Cornelius alle diejenigen, die sich über sein technisches Können zweifelnd oder mißbilligend aussprachen, dnrch eine große That zum Schweigen bringen. Eigenhändig führte er das jüngste Gericht in der Ludwigskirche aus, bestätigte aber dadurch nur, was seine Gegner über ihn in Umlauf gebracht hatten. Trotz einer nochmaligen Bearbeitung gelang es ihm nicht, die dominirenden blauen und gelben Töne zu einer leidlichen Har¬ monie zu verschmelzen. Berührte schon damals die coloristische Haltung des Riesengemäldes Freund und Feind gleich unangenehm, so ist dieser Eindruck heute, wo Gelb und Blau noch mehr aus dem Gesammtton herausgewachsen sind, noch störender geworden. Es war daher sehr unvorsichtig von Riegel, sich in seiner Vertheidigung des Malers Cornelius gerade auf dieses Gemälde zu berufen. „Gehört der Mann, der, von vielen andern Werken abgesehen, das Weltgericht in der Ludwigskirche, ein Bild von 2 500 Quadratfußen, von An¬ fang bis zu Ende mit eigener Hand gemalt — und wie! gemalt — hat, wirk¬ lich zu deu Malern, die nicht malen können?" So fragt Riegel in seinem oben angeführten Artikel. Ich muß annehmen, daß Riegel das Gemälde seit längerer Zeit nicht gesehen hat. sonst konnte er dergleichen nicht schreiben. Als Freskvmaler hat Cornelius mit diesem Bilde ein entschiedenes Fiasko erlitten, was selbst von Reder, der doch ein warmer Verehrer des Meisters ist, in seiner „Geschichte der neueren deutschen Kunst" ehrlich eingestanden wird. Man wird also wenigstens dagegen Protest einlegen dürfen, daß nicht offenkundige That¬ sachen, wenn auch in noch so guter Absicht, verdunkelt werden. Mit einem Fiasco schied Cornelius aus München, mit einem Fiasco de- bütirte er auch in Berlin. Der Graf Raczynsti hatte bei ihm ein Gemälde „Christus in der Vorhölle" bestellt, welches Cornelius in Oel ausführte; es kam im Herbst 1843 zur Ausstellung. Hören wir nun, wie Kugler, einer der maßvollsten Kritiker, die jemals die Feder geführt haben, den Eindruck schilderte, den dieses Bild in Berlin hervorrief: „Ein Schrei des Unwillens zuckte durch die Stadt und machte sich selbst in einzelnen sehr beißenden Aeußerungen in den Zeitungen Luft. Sollten diese harten, schweren, zum Theil unvermittelter Farben für Zeichnung und Plastik, diese seltsam zurückgewundenen Augen sür Ausdruck gelten? Sollte dies zum Theil gänzlich apathische, zum Theil aller¬ dings leidenschaftlich angeregte Zusammensitzen und Stehen eines Kreises von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/45
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/45>, abgerufen am 27.12.2024.