Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die destructiven Elemente im Staate.

wirklichuug sittlicher Ziele, gegen den Werdegang göttlicher Vernunft, und die
daher schließlich das ganze Weltall gegen sich haben. Schuld und Irrthum waren
es, welche die Gattin des dritten Napoleon die lästerlichen Worte (Z'est ins, Knerro
sprechen ließen, als man sich zur frivolsten und frevelhaftesten Kriegserklärung,
die unser Jahrhundert gesehen, herbeiließ. Aber die Unsterblichen lassen sich uicht
verspotten. Der teuflische Sarkasmus der mannshohen schwarzen Schriftzüge
libörtö, öMlit", kiAt.si'uno, auf den rauchenden Ruinen des communistischen Paris,
-- der Kaiser gestorben in Verbannung, der Sohn von den Kaffern erschlagen,
die Mutter eine mitleidswerthe Gestalt, ruhelos irrend im fremden Lande, --
sie sind Zeugen des Weltgerichts. Wie das singuläre Unrecht der Beamten den
Bürger verbittert, so fordert der Frevel, den der Staat als solcher durch seinen
höchsten Vertreter begeht, sichtlich den Zorn Gottes heraus.

Blicken wir auf England. Dort giebt es keine bestechlichen Beamten wie
in der Türkei. Das Unrecht tritt in feinern Formen ans, umgeben mit vielen
Palliativen und Entschuldigungen, verbrämt mit Phrasen und Selbstbetrug, aber
Unrecht bleibt es doch, mag es wissentlich oder mag es unwissentlich, wie man
sagt liong, na<z geschehen. Wenn in einem Lande Agrarnwrde vorkommen,
wie der jüngst an Lord Mountmvurris verübte, dann müssen Zustände daselbst
vorhanden sein, welche im gewöhnlichen Laufe des Kampfes staatlicher Gerechtig¬
keit mit den ungerechten Leidenschaften der Menschen nicht entstanden sein würden.
Wenn ein Mann meuchlings erschossen wird und man die Barmherzigkeit eines
in der Nähe deS Ortes der Mordthat ansässigen Farmers anspricht mit dein
Gesuche, den in den letzten Zügen liegenden Mitmenschen für wenige Minuten
in sein Haus aufzunehmen, und das verweigert wird, weil sonst der betreffende
Besitzer des Hauses für Leib und Leben seiner Familie und feiner selbst besorgt
sein muß und sich nicht vor der Rachsucht seiner Mitbürger zu schützen vermag,
dann ist es weit gekommen; dann muß langjähriges Unrecht, langjährige Ver-
bitterung vorausgegangen sein, dann müsse" Verhältnisse vorliegen, an deren
Zustandekommen der Staat nicht ohne Schuld sein kann. Es ist nicht der Meuchel¬
mord an sich, denn in den besten Staaten werden scheußliche Verbrechen vorkommen
können und vorkommen, es sind vielmehr die die englischen Agrarmorde be¬
gleitenden Umstände, welche den Schluß rechtfertigen, daß die destructiven Ideen,
deren Resultat jene verbrecherischen Verzweiflungsaetc sind, durch ein allgemeines
im Lande fortwucherndes Unrecht immer wieder neue Nahrung finden. Der
Staat kaun die zum Himmel schreiende Unbill, welche der systematisch großge¬
zogene Plutokratismus in England Namens des Gesetzes ausübt, uicht mit einem
Federzug sühnen und ungeschehen machen, aber jede Neußernng der destructiven
Tendenzen des Vvlkswilleus muß ihn an seine Verpflichtung gemahnen, daß


Die destructiven Elemente im Staate.

wirklichuug sittlicher Ziele, gegen den Werdegang göttlicher Vernunft, und die
daher schließlich das ganze Weltall gegen sich haben. Schuld und Irrthum waren
es, welche die Gattin des dritten Napoleon die lästerlichen Worte (Z'est ins, Knerro
sprechen ließen, als man sich zur frivolsten und frevelhaftesten Kriegserklärung,
die unser Jahrhundert gesehen, herbeiließ. Aber die Unsterblichen lassen sich uicht
verspotten. Der teuflische Sarkasmus der mannshohen schwarzen Schriftzüge
libörtö, öMlit», kiAt.si'uno, auf den rauchenden Ruinen des communistischen Paris,
— der Kaiser gestorben in Verbannung, der Sohn von den Kaffern erschlagen,
die Mutter eine mitleidswerthe Gestalt, ruhelos irrend im fremden Lande, —
sie sind Zeugen des Weltgerichts. Wie das singuläre Unrecht der Beamten den
Bürger verbittert, so fordert der Frevel, den der Staat als solcher durch seinen
höchsten Vertreter begeht, sichtlich den Zorn Gottes heraus.

Blicken wir auf England. Dort giebt es keine bestechlichen Beamten wie
in der Türkei. Das Unrecht tritt in feinern Formen ans, umgeben mit vielen
Palliativen und Entschuldigungen, verbrämt mit Phrasen und Selbstbetrug, aber
Unrecht bleibt es doch, mag es wissentlich oder mag es unwissentlich, wie man
sagt liong, na<z geschehen. Wenn in einem Lande Agrarnwrde vorkommen,
wie der jüngst an Lord Mountmvurris verübte, dann müssen Zustände daselbst
vorhanden sein, welche im gewöhnlichen Laufe des Kampfes staatlicher Gerechtig¬
keit mit den ungerechten Leidenschaften der Menschen nicht entstanden sein würden.
Wenn ein Mann meuchlings erschossen wird und man die Barmherzigkeit eines
in der Nähe deS Ortes der Mordthat ansässigen Farmers anspricht mit dein
Gesuche, den in den letzten Zügen liegenden Mitmenschen für wenige Minuten
in sein Haus aufzunehmen, und das verweigert wird, weil sonst der betreffende
Besitzer des Hauses für Leib und Leben seiner Familie und feiner selbst besorgt
sein muß und sich nicht vor der Rachsucht seiner Mitbürger zu schützen vermag,
dann ist es weit gekommen; dann muß langjähriges Unrecht, langjährige Ver-
bitterung vorausgegangen sein, dann müsse» Verhältnisse vorliegen, an deren
Zustandekommen der Staat nicht ohne Schuld sein kann. Es ist nicht der Meuchel¬
mord an sich, denn in den besten Staaten werden scheußliche Verbrechen vorkommen
können und vorkommen, es sind vielmehr die die englischen Agrarmorde be¬
gleitenden Umstände, welche den Schluß rechtfertigen, daß die destructiven Ideen,
deren Resultat jene verbrecherischen Verzweiflungsaetc sind, durch ein allgemeines
im Lande fortwucherndes Unrecht immer wieder neue Nahrung finden. Der
Staat kaun die zum Himmel schreiende Unbill, welche der systematisch großge¬
zogene Plutokratismus in England Namens des Gesetzes ausübt, uicht mit einem
Federzug sühnen und ungeschehen machen, aber jede Neußernng der destructiven
Tendenzen des Vvlkswilleus muß ihn an seine Verpflichtung gemahnen, daß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0356" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149340"/>
          <fw type="header" place="top"> Die destructiven Elemente im Staate.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_986" prev="#ID_985"> wirklichuug sittlicher Ziele, gegen den Werdegang göttlicher Vernunft, und die<lb/>
daher schließlich das ganze Weltall gegen sich haben. Schuld und Irrthum waren<lb/>
es, welche die Gattin des dritten Napoleon die lästerlichen Worte (Z'est ins, Knerro<lb/>
sprechen ließen, als man sich zur frivolsten und frevelhaftesten Kriegserklärung,<lb/>
die unser Jahrhundert gesehen, herbeiließ. Aber die Unsterblichen lassen sich uicht<lb/>
verspotten. Der teuflische Sarkasmus der mannshohen schwarzen Schriftzüge<lb/>
libörtö, öMlit», kiAt.si'uno, auf den rauchenden Ruinen des communistischen Paris,<lb/>
&#x2014; der Kaiser gestorben in Verbannung, der Sohn von den Kaffern erschlagen,<lb/>
die Mutter eine mitleidswerthe Gestalt, ruhelos irrend im fremden Lande, &#x2014;<lb/>
sie sind Zeugen des Weltgerichts. Wie das singuläre Unrecht der Beamten den<lb/>
Bürger verbittert, so fordert der Frevel, den der Staat als solcher durch seinen<lb/>
höchsten Vertreter begeht, sichtlich den Zorn Gottes heraus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_987" next="#ID_988"> Blicken wir auf England. Dort giebt es keine bestechlichen Beamten wie<lb/>
in der Türkei. Das Unrecht tritt in feinern Formen ans, umgeben mit vielen<lb/>
Palliativen und Entschuldigungen, verbrämt mit Phrasen und Selbstbetrug, aber<lb/>
Unrecht bleibt es doch, mag es wissentlich oder mag es unwissentlich, wie man<lb/>
sagt liong, na&lt;z geschehen. Wenn in einem Lande Agrarnwrde vorkommen,<lb/>
wie der jüngst an Lord Mountmvurris verübte, dann müssen Zustände daselbst<lb/>
vorhanden sein, welche im gewöhnlichen Laufe des Kampfes staatlicher Gerechtig¬<lb/>
keit mit den ungerechten Leidenschaften der Menschen nicht entstanden sein würden.<lb/>
Wenn ein Mann meuchlings erschossen wird und man die Barmherzigkeit eines<lb/>
in der Nähe deS Ortes der Mordthat ansässigen Farmers anspricht mit dein<lb/>
Gesuche, den in den letzten Zügen liegenden Mitmenschen für wenige Minuten<lb/>
in sein Haus aufzunehmen, und das verweigert wird, weil sonst der betreffende<lb/>
Besitzer des Hauses für Leib und Leben seiner Familie und feiner selbst besorgt<lb/>
sein muß und sich nicht vor der Rachsucht seiner Mitbürger zu schützen vermag,<lb/>
dann ist es weit gekommen; dann muß langjähriges Unrecht, langjährige Ver-<lb/>
bitterung vorausgegangen sein, dann müsse» Verhältnisse vorliegen, an deren<lb/>
Zustandekommen der Staat nicht ohne Schuld sein kann. Es ist nicht der Meuchel¬<lb/>
mord an sich, denn in den besten Staaten werden scheußliche Verbrechen vorkommen<lb/>
können und vorkommen, es sind vielmehr die die englischen Agrarmorde be¬<lb/>
gleitenden Umstände, welche den Schluß rechtfertigen, daß die destructiven Ideen,<lb/>
deren Resultat jene verbrecherischen Verzweiflungsaetc sind, durch ein allgemeines<lb/>
im Lande fortwucherndes Unrecht immer wieder neue Nahrung finden. Der<lb/>
Staat kaun die zum Himmel schreiende Unbill, welche der systematisch großge¬<lb/>
zogene Plutokratismus in England Namens des Gesetzes ausübt, uicht mit einem<lb/>
Federzug sühnen und ungeschehen machen, aber jede Neußernng der destructiven<lb/>
Tendenzen des Vvlkswilleus muß ihn an seine Verpflichtung gemahnen, daß</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0356] Die destructiven Elemente im Staate. wirklichuug sittlicher Ziele, gegen den Werdegang göttlicher Vernunft, und die daher schließlich das ganze Weltall gegen sich haben. Schuld und Irrthum waren es, welche die Gattin des dritten Napoleon die lästerlichen Worte (Z'est ins, Knerro sprechen ließen, als man sich zur frivolsten und frevelhaftesten Kriegserklärung, die unser Jahrhundert gesehen, herbeiließ. Aber die Unsterblichen lassen sich uicht verspotten. Der teuflische Sarkasmus der mannshohen schwarzen Schriftzüge libörtö, öMlit», kiAt.si'uno, auf den rauchenden Ruinen des communistischen Paris, — der Kaiser gestorben in Verbannung, der Sohn von den Kaffern erschlagen, die Mutter eine mitleidswerthe Gestalt, ruhelos irrend im fremden Lande, — sie sind Zeugen des Weltgerichts. Wie das singuläre Unrecht der Beamten den Bürger verbittert, so fordert der Frevel, den der Staat als solcher durch seinen höchsten Vertreter begeht, sichtlich den Zorn Gottes heraus. Blicken wir auf England. Dort giebt es keine bestechlichen Beamten wie in der Türkei. Das Unrecht tritt in feinern Formen ans, umgeben mit vielen Palliativen und Entschuldigungen, verbrämt mit Phrasen und Selbstbetrug, aber Unrecht bleibt es doch, mag es wissentlich oder mag es unwissentlich, wie man sagt liong, na<z geschehen. Wenn in einem Lande Agrarnwrde vorkommen, wie der jüngst an Lord Mountmvurris verübte, dann müssen Zustände daselbst vorhanden sein, welche im gewöhnlichen Laufe des Kampfes staatlicher Gerechtig¬ keit mit den ungerechten Leidenschaften der Menschen nicht entstanden sein würden. Wenn ein Mann meuchlings erschossen wird und man die Barmherzigkeit eines in der Nähe deS Ortes der Mordthat ansässigen Farmers anspricht mit dein Gesuche, den in den letzten Zügen liegenden Mitmenschen für wenige Minuten in sein Haus aufzunehmen, und das verweigert wird, weil sonst der betreffende Besitzer des Hauses für Leib und Leben seiner Familie und feiner selbst besorgt sein muß und sich nicht vor der Rachsucht seiner Mitbürger zu schützen vermag, dann ist es weit gekommen; dann muß langjähriges Unrecht, langjährige Ver- bitterung vorausgegangen sein, dann müsse» Verhältnisse vorliegen, an deren Zustandekommen der Staat nicht ohne Schuld sein kann. Es ist nicht der Meuchel¬ mord an sich, denn in den besten Staaten werden scheußliche Verbrechen vorkommen können und vorkommen, es sind vielmehr die die englischen Agrarmorde be¬ gleitenden Umstände, welche den Schluß rechtfertigen, daß die destructiven Ideen, deren Resultat jene verbrecherischen Verzweiflungsaetc sind, durch ein allgemeines im Lande fortwucherndes Unrecht immer wieder neue Nahrung finden. Der Staat kaun die zum Himmel schreiende Unbill, welche der systematisch großge¬ zogene Plutokratismus in England Namens des Gesetzes ausübt, uicht mit einem Federzug sühnen und ungeschehen machen, aber jede Neußernng der destructiven Tendenzen des Vvlkswilleus muß ihn an seine Verpflichtung gemahnen, daß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/356
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/356>, abgerufen am 27.12.2024.