Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.Sadi-king, das Liederbuch der Chinesen. 321 gesteigerte nicht nur sittliche, sondern auch technische Cultur voraus. Der später
Auch der vorwaltend friedliche Sinn des chinesischen Stammes, die Abneigung
Grenzboten I. 1881.43
Sadi-king, das Liederbuch der Chinesen. 321 gesteigerte nicht nur sittliche, sondern auch technische Cultur voraus. Der später
Auch der vorwaltend friedliche Sinn des chinesischen Stammes, die Abneigung
Grenzboten I. 1881.43
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0329" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149313"/> <p xml:id="ID_907" next="#ID_908"> Sadi-king, das Liederbuch der Chinesen. 321</p><lb/> <p xml:id="ID_908" prev="#ID_907"> gesteigerte nicht nur sittliche, sondern auch technische Cultur voraus. Der später<lb/> das gesammte chinesische Dasein beherrschende Bureaukratismus ha,t schon so erheb¬<lb/> liche Fortschritte gemacht, daß nicht nur alle Freuden und Leiden, die dem getreuen<lb/> Beamten widerfahren können, geschildert, die verschiedensten Situationen wieder¬<lb/> gespiegelt, an ungetreue, habgierige und überstreuge Statthalter und Unterlinge<lb/> die schärfsten Mahnungen gerichtet werden, sondern sogar eine Stimmung des Ueber-<lb/> drusses um der ganzen gepriesenen Herrlichkeit wir möchten sagen in beinahe moderner<lb/> Weise zu Wort kommt:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_7" type="poem"> <l> Schiebe nicht den großen Wagen;<lb/> Wirst dir selbst nur Staub erregen.<lb/> Denke nicht der hundert Plagen;<lb/> Wirst dir selbst nur Leid auflegen.<lb/> Schiebe nicht den großen Wagen;<lb/> Wirst vom Staub verhüllt nur werden.<lb/> Denke nicht der hundert Plagen;<lb/> Machst dir selber nur Beschwerden!</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_909"> Auch der vorwaltend friedliche Sinn des chinesischen Stammes, die Abneigung<lb/> gegen aufgenöthigtes Hcroenthum tritt bereits zu Tage, und um so lebhafter, als<lb/> dieser Grundzug der Bevölkerung mit der Staatsidee, welche ans fortwährende<lb/> Ausbreitung des Reiches hindrängte, im entschiedensten Widerspruche steht. So<lb/> finden wir wohl die einzelnen Helden und Könige, die zu Wagen den Streit be¬<lb/> stehen, die großen Fürsten der Tscheu-Dynastie gepriesen, daneben aber in allen Liedern<lb/> der Krieger die Sehnsucht nach der Heimkehr, die Klage der einsam weilenden<lb/> Gattinnen und viel Heulen und Zähnklappen über die Beschwerden der Märsche,<lb/> schlechte Nahrung und Verpflegung. Die Lieder, welche im Gegensatz hierzu häusliche,<lb/> friedliche Empfindungen, Freuden und Tugenden darstellen, sind nicht nur in großer<lb/> Anzahl vorhanden, sondern es sind auch die erfreulichsten, von einem Hauch und<lb/> Duft echter Poesie durchdrungen, den der deutsche Uebersetzer mit höchster Einfach¬<lb/> heit und Anmuth wiederzugeben verstanden hat. Der Einzug von Bräuten zur<lb/> Vermählung, das Walten junger und schöner Frauen, die Beglückung und das<lb/> lichte Leben, welche von ihnen ausgehen, sind Lieblingsthemen des „Sadi-king" und<lb/> die Töne, welche gleich das Einleitnngsgcdicht anschlägt, und welche häufig und mit<lb/> charakteristischer Mannichfaltigkeit wiederkehren, klingen auch in unsre durch Jahr¬<lb/> tausende von der Entstehungszeit dieser Gedichte getrennte Welt noch mit poetischer<lb/> Wirkung herein und bezeugen, in welchem Grade der ausgezeichnete Uebersetzer seine<lb/> Absicht erreicht hat. Hier noch eine Probe:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_8" type="poem"> <head> Zur Vermählung des .Königs Wvn.</head> <l><lb/><cb type="start"/> Ein Entcnpaar ruft Wechsellaut,<lb/> Auf Stromes Insel hat's gebant.<lb/> Still, sittsam ist die reine Maid,<lb/> Des hohen Fürsten würd'ge Braut.<lb/> Seerosen schwimmen mannichfalt<lb/> Und rechts und links durchfährt man sie.<lb/> Still, züchtig ist die reine Maid;<lb/> Wach und im Schlaf begehrt er sie.<lb/> Und fand er nicht, die sein Begehr,<lb/> Wach und im Schlaf gedacht er der,<cb/> Ach wie so sehr, ach wie so sehr!<lb/> Und wälzt und warte sich hin und her.<lb/> Seerose» schwimmen mannichfalt,<lb/> Und rechts und links wir langen sie.<lb/> Still, sittsam ist die reine Maid<lb/> Und Laut' und Hars' empfangen sie,<lb/> Seerosen schwimmen mannichfalt,<lb/> Und rechts und links wir pflücken sie.<lb/> Still, sittsam ist die reine Maid<lb/> Und Glock' und Paul' entzücken sie.<cb type="end"/><lb/><lb/><lb/></l> </lg> </quote><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1881.43</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0329]
Sadi-king, das Liederbuch der Chinesen. 321
gesteigerte nicht nur sittliche, sondern auch technische Cultur voraus. Der später
das gesammte chinesische Dasein beherrschende Bureaukratismus ha,t schon so erheb¬
liche Fortschritte gemacht, daß nicht nur alle Freuden und Leiden, die dem getreuen
Beamten widerfahren können, geschildert, die verschiedensten Situationen wieder¬
gespiegelt, an ungetreue, habgierige und überstreuge Statthalter und Unterlinge
die schärfsten Mahnungen gerichtet werden, sondern sogar eine Stimmung des Ueber-
drusses um der ganzen gepriesenen Herrlichkeit wir möchten sagen in beinahe moderner
Weise zu Wort kommt:
Schiebe nicht den großen Wagen;
Wirst dir selbst nur Staub erregen.
Denke nicht der hundert Plagen;
Wirst dir selbst nur Leid auflegen.
Schiebe nicht den großen Wagen;
Wirst vom Staub verhüllt nur werden.
Denke nicht der hundert Plagen;
Machst dir selber nur Beschwerden!
Auch der vorwaltend friedliche Sinn des chinesischen Stammes, die Abneigung
gegen aufgenöthigtes Hcroenthum tritt bereits zu Tage, und um so lebhafter, als
dieser Grundzug der Bevölkerung mit der Staatsidee, welche ans fortwährende
Ausbreitung des Reiches hindrängte, im entschiedensten Widerspruche steht. So
finden wir wohl die einzelnen Helden und Könige, die zu Wagen den Streit be¬
stehen, die großen Fürsten der Tscheu-Dynastie gepriesen, daneben aber in allen Liedern
der Krieger die Sehnsucht nach der Heimkehr, die Klage der einsam weilenden
Gattinnen und viel Heulen und Zähnklappen über die Beschwerden der Märsche,
schlechte Nahrung und Verpflegung. Die Lieder, welche im Gegensatz hierzu häusliche,
friedliche Empfindungen, Freuden und Tugenden darstellen, sind nicht nur in großer
Anzahl vorhanden, sondern es sind auch die erfreulichsten, von einem Hauch und
Duft echter Poesie durchdrungen, den der deutsche Uebersetzer mit höchster Einfach¬
heit und Anmuth wiederzugeben verstanden hat. Der Einzug von Bräuten zur
Vermählung, das Walten junger und schöner Frauen, die Beglückung und das
lichte Leben, welche von ihnen ausgehen, sind Lieblingsthemen des „Sadi-king" und
die Töne, welche gleich das Einleitnngsgcdicht anschlägt, und welche häufig und mit
charakteristischer Mannichfaltigkeit wiederkehren, klingen auch in unsre durch Jahr¬
tausende von der Entstehungszeit dieser Gedichte getrennte Welt noch mit poetischer
Wirkung herein und bezeugen, in welchem Grade der ausgezeichnete Uebersetzer seine
Absicht erreicht hat. Hier noch eine Probe:
Zur Vermählung des .Königs Wvn.
Ein Entcnpaar ruft Wechsellaut,
Auf Stromes Insel hat's gebant.
Still, sittsam ist die reine Maid,
Des hohen Fürsten würd'ge Braut.
Seerosen schwimmen mannichfalt
Und rechts und links durchfährt man sie.
Still, züchtig ist die reine Maid;
Wach und im Schlaf begehrt er sie.
Und fand er nicht, die sein Begehr,
Wach und im Schlaf gedacht er der,
Ach wie so sehr, ach wie so sehr!
Und wälzt und warte sich hin und her.
Seerose» schwimmen mannichfalt,
Und rechts und links wir langen sie.
Still, sittsam ist die reine Maid
Und Laut' und Hars' empfangen sie,
Seerosen schwimmen mannichfalt,
Und rechts und links wir pflücken sie.
Still, sittsam ist die reine Maid
Und Glock' und Paul' entzücken sie.
Grenzboten I. 1881.43
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