Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.Der Parlamentarismus in England. übermüthigen, königlichen, an die Tudors erinnernden Weise, aber auch mit der Ich sagte, daß die Times theils dadurch, daß sie die Strömung der öffent¬ Am Morgen des 1K. Juni erklärte sich die große Zeitung und sagte: ,Die Es war natürlich, daß einige Mitglieder der Regierung Gewissensbcunruhignngen Der Parlamentarismus in England. übermüthigen, königlichen, an die Tudors erinnernden Weise, aber auch mit der Ich sagte, daß die Times theils dadurch, daß sie die Strömung der öffent¬ Am Morgen des 1K. Juni erklärte sich die große Zeitung und sagte: ,Die Es war natürlich, daß einige Mitglieder der Regierung Gewissensbcunruhignngen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0320" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149304"/> <fw type="header" place="top"> Der Parlamentarismus in England.</fw><lb/> <p xml:id="ID_876" prev="#ID_875"> übermüthigen, königlichen, an die Tudors erinnernden Weise, aber auch mit der<lb/> Politik der Tndvrs; denn obwohl er alle Gegner als .alberne Menschen' behandelte,<lb/> bis sie gefährlich wurden, war er immer bemüht, das Wachsen einer Empfindung<lb/> oder Meinung des Volkes zu markiren, und sobald er im Stande war, zu be¬<lb/> stimmen, daß eine Sache stark wurde, ging er hin, erbot sich, die Führung der¬<lb/> selben zu übernehmen, und herrschte infolge dessen.</p><lb/> <p xml:id="ID_877"> Ich sagte, daß die Times theils dadurch, daß sie die Strömung der öffent¬<lb/> lichen Meinung geleitet, mehr aber noch dadurch, daß sie sich über dieselbe ver¬<lb/> gewissert und ihr gefolgt, stets bemüht gewesen sei, eins zu sein mit der großen<lb/> Masse des Volkes, und da sichs begab, daß in dieser Periode ein Zusammentreffen<lb/> der Empfindungen wie selten stattfand, und daß das Journal nach vielem Expe¬<lb/> rimentiren jetzt endlich die Seele der Nation gründlich ergriffen und verkörpert hatte,<lb/> so wirkten seine Aeußerungen mit zunehmender Gewalt, und in dem Maße, in<lb/> welchem die wachsende Eintracht des Volkes es in den Stand setzte, mit immer<lb/> mehr Ansehen zu sprechen, entglitt die Macht den Händen der Regierung mehr<lb/> und immer mehr, bis zuletzt die öffentliche Meinung, uicht mehr zufrieden, die all¬<lb/> gemeine Politik des Staates zu bestimme», sich bereit machte, die fast wissenschaft¬<lb/> liche, die fast technische Pflicht der Entwerfung eines Feldzugs zu übernehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_878"> Am Morgen des 1K. Juni erklärte sich die große Zeitung und sagte: ,Die<lb/> großartigen politischen und militärischen Ziele des Krieges können nicht erreicht<lb/> werden, so lange Sebastopol und die russische Flotte existiren, wenn aber diese<lb/> Centralstellung der russischen Macht im Süden des Reiches vernichtet ist, so muß<lb/> die ganze Schöpfung, deren Herstellung den Zaren Rußlands Jahrhunderte ge¬<lb/> kostet hat, zusammenstürzen/ Und weiter erklärte sie, daß ,die Einnahme Sebastopvls<lb/> und die Besetzung der Krim Gegenstände' wären, .welche alle Kosten des Krieges<lb/> bezahlen und die streitigen Hauptfragen bleibend zu unsern Gunsten lösen' würden,<lb/> und daß es ebenso klar wär, daß jene Ziele mit keinem andern Mittel erreicht<lb/> werden könnten, weil ein Friede, welcher Rußland im Besitze derselben Mittel zum<lb/> Angriffe beließe, es befähige» würde, den Krieg nach seinem Belieben wieder z»<lb/> beginnen.'</p><lb/> <p xml:id="ID_879" next="#ID_880"> Es war natürlich, daß einige Mitglieder der Regierung Gewissensbcunruhignngen<lb/> empfanden. Sie wußten, daß Oesterreich, für Zwecke der Vertheidigung von Preußen<lb/> unterstützt, zu dieser Zeit auf dem Punkte stand, sich bewaffnet den Westmächten<lb/> anzuschließen, und sie mußten wissen, daß, wenn die französischen und englischen<lb/> Heere vom Hauptlande Europas weggezogen wurden, um in die Krim einzufallen,<lb/> die heilsame Union der vier Mächte nothwendig geschwächt werden würde. Der<lb/> Premierminister (Aberdeen) war ein Maun, der den Frieden so zärtlich liebte, daß<lb/> er, obwohl es keinen Frieden mehr gab, sich kaum aus dessen kalter Umarmung<lb/> losgerissen hatte, und obwohl er in dem Glauben lebte, daß die militärische Stärke<lb/> des Zaren über die Maßen groß sei, hatte er von den zwölf Monaten, die Ru߬<lb/> land ihm zur Vorbereitung ließ, nur drei benutzt. Indem die Schwere dieser Ge¬<lb/> danken auf seinem Gemüthe lastete , sah er, wie laut erklärt wurde, daß das<lb/> Land, dessen erster Minister er war, nicht gut anders Verfahren als in das russische<lb/> Gebiet einbrechen könnte. Einem vorsichtigen Manne konnte die Maßregel unüber¬<lb/> legt vorkommen, einem guten, von Grausen vor Krieg erfüllten Manne konnte sie<lb/> sogar sehr ruchlos erscheinen; denn es war eine gewaltsame Wiederbelebung des<lb/> Krieges, der, wenn diese neue Brandfackel nicht geworfen worden wäre, von selbst<lb/> erloschen sein würde. Aber die Zeitungsstimme war deutlich, wie die strenge Göttin<lb/> der Nothwendigkeit drang sie ans den Willen schwacher Menschen ein; denn sie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0320]
Der Parlamentarismus in England.
übermüthigen, königlichen, an die Tudors erinnernden Weise, aber auch mit der
Politik der Tndvrs; denn obwohl er alle Gegner als .alberne Menschen' behandelte,
bis sie gefährlich wurden, war er immer bemüht, das Wachsen einer Empfindung
oder Meinung des Volkes zu markiren, und sobald er im Stande war, zu be¬
stimmen, daß eine Sache stark wurde, ging er hin, erbot sich, die Führung der¬
selben zu übernehmen, und herrschte infolge dessen.
Ich sagte, daß die Times theils dadurch, daß sie die Strömung der öffent¬
lichen Meinung geleitet, mehr aber noch dadurch, daß sie sich über dieselbe ver¬
gewissert und ihr gefolgt, stets bemüht gewesen sei, eins zu sein mit der großen
Masse des Volkes, und da sichs begab, daß in dieser Periode ein Zusammentreffen
der Empfindungen wie selten stattfand, und daß das Journal nach vielem Expe¬
rimentiren jetzt endlich die Seele der Nation gründlich ergriffen und verkörpert hatte,
so wirkten seine Aeußerungen mit zunehmender Gewalt, und in dem Maße, in
welchem die wachsende Eintracht des Volkes es in den Stand setzte, mit immer
mehr Ansehen zu sprechen, entglitt die Macht den Händen der Regierung mehr
und immer mehr, bis zuletzt die öffentliche Meinung, uicht mehr zufrieden, die all¬
gemeine Politik des Staates zu bestimme», sich bereit machte, die fast wissenschaft¬
liche, die fast technische Pflicht der Entwerfung eines Feldzugs zu übernehmen.
Am Morgen des 1K. Juni erklärte sich die große Zeitung und sagte: ,Die
großartigen politischen und militärischen Ziele des Krieges können nicht erreicht
werden, so lange Sebastopol und die russische Flotte existiren, wenn aber diese
Centralstellung der russischen Macht im Süden des Reiches vernichtet ist, so muß
die ganze Schöpfung, deren Herstellung den Zaren Rußlands Jahrhunderte ge¬
kostet hat, zusammenstürzen/ Und weiter erklärte sie, daß ,die Einnahme Sebastopvls
und die Besetzung der Krim Gegenstände' wären, .welche alle Kosten des Krieges
bezahlen und die streitigen Hauptfragen bleibend zu unsern Gunsten lösen' würden,
und daß es ebenso klar wär, daß jene Ziele mit keinem andern Mittel erreicht
werden könnten, weil ein Friede, welcher Rußland im Besitze derselben Mittel zum
Angriffe beließe, es befähige» würde, den Krieg nach seinem Belieben wieder z»
beginnen.'
Es war natürlich, daß einige Mitglieder der Regierung Gewissensbcunruhignngen
empfanden. Sie wußten, daß Oesterreich, für Zwecke der Vertheidigung von Preußen
unterstützt, zu dieser Zeit auf dem Punkte stand, sich bewaffnet den Westmächten
anzuschließen, und sie mußten wissen, daß, wenn die französischen und englischen
Heere vom Hauptlande Europas weggezogen wurden, um in die Krim einzufallen,
die heilsame Union der vier Mächte nothwendig geschwächt werden würde. Der
Premierminister (Aberdeen) war ein Maun, der den Frieden so zärtlich liebte, daß
er, obwohl es keinen Frieden mehr gab, sich kaum aus dessen kalter Umarmung
losgerissen hatte, und obwohl er in dem Glauben lebte, daß die militärische Stärke
des Zaren über die Maßen groß sei, hatte er von den zwölf Monaten, die Ru߬
land ihm zur Vorbereitung ließ, nur drei benutzt. Indem die Schwere dieser Ge¬
danken auf seinem Gemüthe lastete , sah er, wie laut erklärt wurde, daß das
Land, dessen erster Minister er war, nicht gut anders Verfahren als in das russische
Gebiet einbrechen könnte. Einem vorsichtigen Manne konnte die Maßregel unüber¬
legt vorkommen, einem guten, von Grausen vor Krieg erfüllten Manne konnte sie
sogar sehr ruchlos erscheinen; denn es war eine gewaltsame Wiederbelebung des
Krieges, der, wenn diese neue Brandfackel nicht geworfen worden wäre, von selbst
erloschen sein würde. Aber die Zeitungsstimme war deutlich, wie die strenge Göttin
der Nothwendigkeit drang sie ans den Willen schwacher Menschen ein; denn sie
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