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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Der Parlamentarismus in England.

"Am Vorabend des Geburtstags der Königin 18SV verließ der französische
Gesandte London. Darüber interpellirt, erklärte Lord Palmerston: ,Es ist
bekannt, daß der französische Gesandte gestern Abend nach Paris gegangen ist,
um persönlich den Verkehr zwischen den beiden Regierungen über die griechische
Angelegenheit zu vermitteln; aber ich bin überzeugt, daß diese Angelegenheit
nicht zu einer Störung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern
führen kann.' An demselben Tage machte der französische Kriegsminister Lahitte
von der Tribüne der Nationalversammlung folgende Mittheilung: ,Da die guten
Dienste, welche wir angeboten hatten, fehlgeschlagen, so verlangte die Regierung
von dem Londoner Cabinet Aufschlüsse. Da die Antwort nicht so ausfiel, wie
wir zu erwarten berechtigt waren, so hat der Präsident die Abberufung des
Gesandten befohlen.' Am folgenden Tage, als diese Erklärung in London be¬
kannt geworden, fehlte Lord Palmerston im Unterhause."

Trotz solcher Beantwortungen von Interpellationen fahren deutsche Politiker
fort, zu glauben, daß die auswärtige Politik Englands vom Parlamente geleitet,
daß ohne dessen Vorwissen und Zustimmung kein Vertrag geschlossen und kein
Krieg erklärt wird, und sie werden verdrießlich, wenn ihnen nachgewiesen wird,
daß dies ein grober Irrthum ist. Sehr häufig hat Palmerston auf das Ver¬
langen nach Vorlegung der betreffenden Papiere erklärt: "Wenn die Papiere
sich auf eine schwebende Sache beziehen, so ist ihre Vorlegung gefährlich, wenn
auf eine abgemachte, so wäre sie offenbar nutzlos." Machte man Mittheilungen in
Gestalt von Blaubüchern, so waren sie harmlos. "Wenn diplomatische Ver¬
handlungen vorkommen," sagte Palmerston am 1. März 1848, "von denen dem
Parlament und dem Lande Kenntniß zu geben wünschenswerth ist, so ist die
gewöhnliche und von mir stets befolgte Praxis die, daß dem Parlamente solche
Theile der Verhandlungen vorgelegt werden, die ihm eine wahrheitsgetreue Kennt¬
niß von den hauptsächlichsten und wichtigsten Umständen geben. Es ist aber
nicht die Pflicht der Regierung, im Gegentheile, es würde eine Pflichtwidrigkeit
sein, dem Parlamente Stücke der Correspondenz vorzulegen, die bloße Meinungen
oder vertrauliche Mittheilungen des auswärtigen Ministers an unsere Geschäfts¬
träger im Auslande enthalte", und deren Veröffentlichung dem Dienste nach¬
theilig sein und die Zwecke vereiteln würde, die Parlament und Regierung im
Auge haben müssen." Neuerdings hat man unangenehme Interpellationen noch
auf andere Weise beantwortet, nämlich durch Stillschweigen. Am 24. Januar d. I.
fragt Sir G. Campbell den Minister, wie es zugehe, daß die "Times" und
mehrere große Provinzialblätter das Blaubuch über Afghanistan früher erhalten
hätten als die Abgeordneten. Ins "uffe-ion nöt vieil no rsxl^, sagt der steno¬
graphische Bericht. Mit dem Obigen ist jedoch der Proceß des Anfertiget von


Der Parlamentarismus in England.

„Am Vorabend des Geburtstags der Königin 18SV verließ der französische
Gesandte London. Darüber interpellirt, erklärte Lord Palmerston: ,Es ist
bekannt, daß der französische Gesandte gestern Abend nach Paris gegangen ist,
um persönlich den Verkehr zwischen den beiden Regierungen über die griechische
Angelegenheit zu vermitteln; aber ich bin überzeugt, daß diese Angelegenheit
nicht zu einer Störung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern
führen kann.' An demselben Tage machte der französische Kriegsminister Lahitte
von der Tribüne der Nationalversammlung folgende Mittheilung: ,Da die guten
Dienste, welche wir angeboten hatten, fehlgeschlagen, so verlangte die Regierung
von dem Londoner Cabinet Aufschlüsse. Da die Antwort nicht so ausfiel, wie
wir zu erwarten berechtigt waren, so hat der Präsident die Abberufung des
Gesandten befohlen.' Am folgenden Tage, als diese Erklärung in London be¬
kannt geworden, fehlte Lord Palmerston im Unterhause."

Trotz solcher Beantwortungen von Interpellationen fahren deutsche Politiker
fort, zu glauben, daß die auswärtige Politik Englands vom Parlamente geleitet,
daß ohne dessen Vorwissen und Zustimmung kein Vertrag geschlossen und kein
Krieg erklärt wird, und sie werden verdrießlich, wenn ihnen nachgewiesen wird,
daß dies ein grober Irrthum ist. Sehr häufig hat Palmerston auf das Ver¬
langen nach Vorlegung der betreffenden Papiere erklärt: „Wenn die Papiere
sich auf eine schwebende Sache beziehen, so ist ihre Vorlegung gefährlich, wenn
auf eine abgemachte, so wäre sie offenbar nutzlos." Machte man Mittheilungen in
Gestalt von Blaubüchern, so waren sie harmlos. „Wenn diplomatische Ver¬
handlungen vorkommen," sagte Palmerston am 1. März 1848, „von denen dem
Parlament und dem Lande Kenntniß zu geben wünschenswerth ist, so ist die
gewöhnliche und von mir stets befolgte Praxis die, daß dem Parlamente solche
Theile der Verhandlungen vorgelegt werden, die ihm eine wahrheitsgetreue Kennt¬
niß von den hauptsächlichsten und wichtigsten Umständen geben. Es ist aber
nicht die Pflicht der Regierung, im Gegentheile, es würde eine Pflichtwidrigkeit
sein, dem Parlamente Stücke der Correspondenz vorzulegen, die bloße Meinungen
oder vertrauliche Mittheilungen des auswärtigen Ministers an unsere Geschäfts¬
träger im Auslande enthalte», und deren Veröffentlichung dem Dienste nach¬
theilig sein und die Zwecke vereiteln würde, die Parlament und Regierung im
Auge haben müssen." Neuerdings hat man unangenehme Interpellationen noch
auf andere Weise beantwortet, nämlich durch Stillschweigen. Am 24. Januar d. I.
fragt Sir G. Campbell den Minister, wie es zugehe, daß die „Times" und
mehrere große Provinzialblätter das Blaubuch über Afghanistan früher erhalten
hätten als die Abgeordneten. Ins «uffe-ion nöt vieil no rsxl^, sagt der steno¬
graphische Bericht. Mit dem Obigen ist jedoch der Proceß des Anfertiget von


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[0276] Der Parlamentarismus in England. „Am Vorabend des Geburtstags der Königin 18SV verließ der französische Gesandte London. Darüber interpellirt, erklärte Lord Palmerston: ,Es ist bekannt, daß der französische Gesandte gestern Abend nach Paris gegangen ist, um persönlich den Verkehr zwischen den beiden Regierungen über die griechische Angelegenheit zu vermitteln; aber ich bin überzeugt, daß diese Angelegenheit nicht zu einer Störung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern führen kann.' An demselben Tage machte der französische Kriegsminister Lahitte von der Tribüne der Nationalversammlung folgende Mittheilung: ,Da die guten Dienste, welche wir angeboten hatten, fehlgeschlagen, so verlangte die Regierung von dem Londoner Cabinet Aufschlüsse. Da die Antwort nicht so ausfiel, wie wir zu erwarten berechtigt waren, so hat der Präsident die Abberufung des Gesandten befohlen.' Am folgenden Tage, als diese Erklärung in London be¬ kannt geworden, fehlte Lord Palmerston im Unterhause." Trotz solcher Beantwortungen von Interpellationen fahren deutsche Politiker fort, zu glauben, daß die auswärtige Politik Englands vom Parlamente geleitet, daß ohne dessen Vorwissen und Zustimmung kein Vertrag geschlossen und kein Krieg erklärt wird, und sie werden verdrießlich, wenn ihnen nachgewiesen wird, daß dies ein grober Irrthum ist. Sehr häufig hat Palmerston auf das Ver¬ langen nach Vorlegung der betreffenden Papiere erklärt: „Wenn die Papiere sich auf eine schwebende Sache beziehen, so ist ihre Vorlegung gefährlich, wenn auf eine abgemachte, so wäre sie offenbar nutzlos." Machte man Mittheilungen in Gestalt von Blaubüchern, so waren sie harmlos. „Wenn diplomatische Ver¬ handlungen vorkommen," sagte Palmerston am 1. März 1848, „von denen dem Parlament und dem Lande Kenntniß zu geben wünschenswerth ist, so ist die gewöhnliche und von mir stets befolgte Praxis die, daß dem Parlamente solche Theile der Verhandlungen vorgelegt werden, die ihm eine wahrheitsgetreue Kennt¬ niß von den hauptsächlichsten und wichtigsten Umständen geben. Es ist aber nicht die Pflicht der Regierung, im Gegentheile, es würde eine Pflichtwidrigkeit sein, dem Parlamente Stücke der Correspondenz vorzulegen, die bloße Meinungen oder vertrauliche Mittheilungen des auswärtigen Ministers an unsere Geschäfts¬ träger im Auslande enthalte», und deren Veröffentlichung dem Dienste nach¬ theilig sein und die Zwecke vereiteln würde, die Parlament und Regierung im Auge haben müssen." Neuerdings hat man unangenehme Interpellationen noch auf andere Weise beantwortet, nämlich durch Stillschweigen. Am 24. Januar d. I. fragt Sir G. Campbell den Minister, wie es zugehe, daß die „Times" und mehrere große Provinzialblätter das Blaubuch über Afghanistan früher erhalten hätten als die Abgeordneten. Ins «uffe-ion nöt vieil no rsxl^, sagt der steno¬ graphische Bericht. Mit dem Obigen ist jedoch der Proceß des Anfertiget von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/276>, abgerufen am 28.12.2024.