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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Giuv Lapponi.

zu seinen Lebzeiten durch den Tod ihrer letzten Sprossen aus dem goldnen
Buche der Arnostadt ailsgelöscht. Er selbst, wenn auch in den letzten Jahren
öfters körperlich leidend, war noch immer ungeschwächten Geistes, noch kurz
vor seinem Tode mit wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt. Nichts ließ das
nahe Ende ahnen, das nach kaum dreitägiger.Krankheit am 3, Februar 1876
infolge eines Lungenschlages eintrat. Das Räderwerk der Maschine war ab¬
genutzt, wenn auch die edelsten Organe, die der geistigen Thätigkeit, noch frisch
und intact erschienen.

Ganz Florenz eilte herbei, die hochverehrten Züge des Mannes nochmals
zu schauen, dessen ehrwürdige Gestalt, von den Eltern den Kindern, von den
Führern den fremden Besuchern gezeigt, seit Jahrzehnten zu den typischen Er¬
scheinungen der Arnostadt gehörte. In der alten Kirche von Santa Croce,
dem Mausoleum von Florenz, veranstalteten die Gemeindebehörden dem Ge-
schiednen eine großartige Todtenfeier, Sein Leichenzug glich dem eines Fürsten.
Seine körperliche Hülle wurde dem Wunsche des Verstorbnen gemäß nach der
Familienvilla von Marignvllc auf einem jener freundlichen vlivenbetleideteu
Hügel im Süden der Stadt gebracht, wo er um der Seite der Gattin seiner
Jngend ruht. Eine Grabschrift, von seinem Freunde und Biographen Marco
Tabarrini verfaßt, zeichnet in einfach würdiger Sprache sein Wesen und ver¬
kündet seine Verdienste.

Giuv Capponi war eine durchaus ideal angelegte Natur, stets bedacht, die
edelsten Zwecke dnrch die reinsten Mittel zu erreichen, von unerschütterlicher
Redlichkeit, ohne allen persönlichen Ehrgeiz, "Sein Geist," sagt Ugo Fvseolo,
der ihn im Jahre 1318 kennen lernte, "ist hochstrebcnd, kraftvoll, unabhängig,
aber zugleich weich und maßvoll; er ist ein Denker und von so naturwüchsiger
Originalität, daß er in wenigen Jahren die Fesseln einer falschen Erziehung
und die einfältigen Vorurtheile unwissender Priester und müßiger Edelleute von
selbst zerbrochen hat,"^) Der moralische Werth eines Meuschen oder einer Hand¬
lung allein bestimmte sein oft allzu rasches Urtheil. Er hatte ein klares Be¬
wußtsein der Müugel seiner Zeit und der vaterländischen Zustände, ein sast
allzu reizbares Gefühl für die des eignen Wesens. Er war sich bewußt, daß
es ihm an Energie und rascher Entschlossenheit, an der rechten Harmonie von
Denken und Thun, von Wollen und Vollbringen, von Idee und Wirklichkeit
fehle. Es steckte etwas von einer HmnletSnatur in ihm: der frischen Farbe
der Entschließung ward stets des Gedankens Blässe angekränkelt, "Ich würde
mich," sagte Ginsti, "mit Giuv nach geschehener That besprechen, vorher nicht,



") So wenig umsiergiltig CnM'mis moralisch,' und nitellectnesle Erziehung war, so
erscheint doch Foscolos Urtheil über seine Lehrer einseitig und übertrieben.
Giuv Lapponi.

zu seinen Lebzeiten durch den Tod ihrer letzten Sprossen aus dem goldnen
Buche der Arnostadt ailsgelöscht. Er selbst, wenn auch in den letzten Jahren
öfters körperlich leidend, war noch immer ungeschwächten Geistes, noch kurz
vor seinem Tode mit wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt. Nichts ließ das
nahe Ende ahnen, das nach kaum dreitägiger.Krankheit am 3, Februar 1876
infolge eines Lungenschlages eintrat. Das Räderwerk der Maschine war ab¬
genutzt, wenn auch die edelsten Organe, die der geistigen Thätigkeit, noch frisch
und intact erschienen.

Ganz Florenz eilte herbei, die hochverehrten Züge des Mannes nochmals
zu schauen, dessen ehrwürdige Gestalt, von den Eltern den Kindern, von den
Führern den fremden Besuchern gezeigt, seit Jahrzehnten zu den typischen Er¬
scheinungen der Arnostadt gehörte. In der alten Kirche von Santa Croce,
dem Mausoleum von Florenz, veranstalteten die Gemeindebehörden dem Ge-
schiednen eine großartige Todtenfeier, Sein Leichenzug glich dem eines Fürsten.
Seine körperliche Hülle wurde dem Wunsche des Verstorbnen gemäß nach der
Familienvilla von Marignvllc auf einem jener freundlichen vlivenbetleideteu
Hügel im Süden der Stadt gebracht, wo er um der Seite der Gattin seiner
Jngend ruht. Eine Grabschrift, von seinem Freunde und Biographen Marco
Tabarrini verfaßt, zeichnet in einfach würdiger Sprache sein Wesen und ver¬
kündet seine Verdienste.

Giuv Capponi war eine durchaus ideal angelegte Natur, stets bedacht, die
edelsten Zwecke dnrch die reinsten Mittel zu erreichen, von unerschütterlicher
Redlichkeit, ohne allen persönlichen Ehrgeiz, „Sein Geist," sagt Ugo Fvseolo,
der ihn im Jahre 1318 kennen lernte, „ist hochstrebcnd, kraftvoll, unabhängig,
aber zugleich weich und maßvoll; er ist ein Denker und von so naturwüchsiger
Originalität, daß er in wenigen Jahren die Fesseln einer falschen Erziehung
und die einfältigen Vorurtheile unwissender Priester und müßiger Edelleute von
selbst zerbrochen hat,"^) Der moralische Werth eines Meuschen oder einer Hand¬
lung allein bestimmte sein oft allzu rasches Urtheil. Er hatte ein klares Be¬
wußtsein der Müugel seiner Zeit und der vaterländischen Zustände, ein sast
allzu reizbares Gefühl für die des eignen Wesens. Er war sich bewußt, daß
es ihm an Energie und rascher Entschlossenheit, an der rechten Harmonie von
Denken und Thun, von Wollen und Vollbringen, von Idee und Wirklichkeit
fehle. Es steckte etwas von einer HmnletSnatur in ihm: der frischen Farbe
der Entschließung ward stets des Gedankens Blässe angekränkelt, „Ich würde
mich," sagte Ginsti, „mit Giuv nach geschehener That besprechen, vorher nicht,



") So wenig umsiergiltig CnM'mis moralisch,' und nitellectnesle Erziehung war, so
erscheint doch Foscolos Urtheil über seine Lehrer einseitig und übertrieben.
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[0264] Giuv Lapponi. zu seinen Lebzeiten durch den Tod ihrer letzten Sprossen aus dem goldnen Buche der Arnostadt ailsgelöscht. Er selbst, wenn auch in den letzten Jahren öfters körperlich leidend, war noch immer ungeschwächten Geistes, noch kurz vor seinem Tode mit wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt. Nichts ließ das nahe Ende ahnen, das nach kaum dreitägiger.Krankheit am 3, Februar 1876 infolge eines Lungenschlages eintrat. Das Räderwerk der Maschine war ab¬ genutzt, wenn auch die edelsten Organe, die der geistigen Thätigkeit, noch frisch und intact erschienen. Ganz Florenz eilte herbei, die hochverehrten Züge des Mannes nochmals zu schauen, dessen ehrwürdige Gestalt, von den Eltern den Kindern, von den Führern den fremden Besuchern gezeigt, seit Jahrzehnten zu den typischen Er¬ scheinungen der Arnostadt gehörte. In der alten Kirche von Santa Croce, dem Mausoleum von Florenz, veranstalteten die Gemeindebehörden dem Ge- schiednen eine großartige Todtenfeier, Sein Leichenzug glich dem eines Fürsten. Seine körperliche Hülle wurde dem Wunsche des Verstorbnen gemäß nach der Familienvilla von Marignvllc auf einem jener freundlichen vlivenbetleideteu Hügel im Süden der Stadt gebracht, wo er um der Seite der Gattin seiner Jngend ruht. Eine Grabschrift, von seinem Freunde und Biographen Marco Tabarrini verfaßt, zeichnet in einfach würdiger Sprache sein Wesen und ver¬ kündet seine Verdienste. Giuv Capponi war eine durchaus ideal angelegte Natur, stets bedacht, die edelsten Zwecke dnrch die reinsten Mittel zu erreichen, von unerschütterlicher Redlichkeit, ohne allen persönlichen Ehrgeiz, „Sein Geist," sagt Ugo Fvseolo, der ihn im Jahre 1318 kennen lernte, „ist hochstrebcnd, kraftvoll, unabhängig, aber zugleich weich und maßvoll; er ist ein Denker und von so naturwüchsiger Originalität, daß er in wenigen Jahren die Fesseln einer falschen Erziehung und die einfältigen Vorurtheile unwissender Priester und müßiger Edelleute von selbst zerbrochen hat,"^) Der moralische Werth eines Meuschen oder einer Hand¬ lung allein bestimmte sein oft allzu rasches Urtheil. Er hatte ein klares Be¬ wußtsein der Müugel seiner Zeit und der vaterländischen Zustände, ein sast allzu reizbares Gefühl für die des eignen Wesens. Er war sich bewußt, daß es ihm an Energie und rascher Entschlossenheit, an der rechten Harmonie von Denken und Thun, von Wollen und Vollbringen, von Idee und Wirklichkeit fehle. Es steckte etwas von einer HmnletSnatur in ihm: der frischen Farbe der Entschließung ward stets des Gedankens Blässe angekränkelt, „Ich würde mich," sagte Ginsti, „mit Giuv nach geschehener That besprechen, vorher nicht, ") So wenig umsiergiltig CnM'mis moralisch,' und nitellectnesle Erziehung war, so erscheint doch Foscolos Urtheil über seine Lehrer einseitig und übertrieben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/264>, abgerufen am 28.12.2024.