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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Julius Mosen.

gehenden politischen Gegensätze zwischen dem neuen Königthum und dem Stam-
mesherzogthum in den Versöhnungsscenen zwischen König Heinrich und dem
Baierherzog Arnulf etwa so gelöst sieht, wie sich ein Studeutenzwist auf erregter
Kneipe lösen mag, aber er wird sich dem Zauber dieser schlichten Heldenge¬
stalt, die mit ihrer eignen Kraft die Umgebungen zu durchdringen weiß, dieses
echten, tendenziösen Pathos der Vaterlandstreue und der männlich-freudigen Pflicht¬
erfüllung so wenig entziehen können, als dem bestimmten Eindrucke der gestaltenden
ausgiebigen Kraft dieses Dichters. Menschenfiguren wie König Heinrich, wie der
Vogelfänger Staudenbein und der zum trotzigen Krieger erwachsende Statz, sind
aus bloßer Nachahmung und ohne den Quell lebendiger Wärme und plastischer
Anschauung in der eigenen Seele ein für allemal nicht zu schaffen. Auch das
ungefähr gleichzeitige in Prosa geschriebene kleine Drama "Wendelin und He¬
lene", welches die Zeit des Bauernkrieges zum Hintergrunde hat, zeichnet sich
durch feste Gestalten und namentlich durch die lebendigen Farben jener kleinen
Episoden aus, welche auch im "Heinrich" erfreuen.

Gewiß -- dieser Dichter war nicht ergriffen und kaum berührt von dem
Genialitätsschwindel der Stürmer und Dränger neusten Datums, er wurzelte
in fester Sicherheit in seinem so einfachen und doch so tiefen Antheil an großen
und kleinen Erscheinungen des unmittelbaren Lebens wie der Geschichte, und
einer echt nationalen Empfindung, die mit der ganzen Naturgewalt einer vollen
und edlen Leidenschaft in ihm wirkte, und endlich in der Keuschheit seiner Kunst¬
übung, welche nach lüsternen, rohen und grellen Effecten, nach Pikanterien weder
strebte, noch auch nur streben konnte. Der aus dem Innersten quellende "Zuruf":


Stehst du zum deutschen Sängerorden,
Denk' nicht an Lohn und Lorbeerkron'!
Das Vaterland ist Bettler worden,
Was fordert noch des Bettlers Sohn?
Er heischt ein Schwert und todestiefe Wunden,
Die sind ja bald in seinem Dienst gefunden --
Nur kühn voran!
Die Freiheit schenkt nicht goldne Ketten,
Das Vaterland nicht Hof und Haus,
Lern' auf die Erde dich zu betten,
Unter Gottes Himmel hinaus!
Kannst unters Haupt dir mit den Händen greifen
Und laß vom Sturm ein Wiegenlied dir pfeifen --
Stark, starr und stolz!

trennte den Dichter, da er keine Phrase, sondern gesteigerter Ausdruck seiner
Grundanschauung war, von der rührigen Eitelkeit und der unruhigen Gro߬
mannssucht der jungdeutschen Bewegung. Selbst wenn er nicht in der Abge¬
schiedenheit seines kleinen sächsischen Lnndstädtchens gesessen hätte, würde er


Julius Mosen.

gehenden politischen Gegensätze zwischen dem neuen Königthum und dem Stam-
mesherzogthum in den Versöhnungsscenen zwischen König Heinrich und dem
Baierherzog Arnulf etwa so gelöst sieht, wie sich ein Studeutenzwist auf erregter
Kneipe lösen mag, aber er wird sich dem Zauber dieser schlichten Heldenge¬
stalt, die mit ihrer eignen Kraft die Umgebungen zu durchdringen weiß, dieses
echten, tendenziösen Pathos der Vaterlandstreue und der männlich-freudigen Pflicht¬
erfüllung so wenig entziehen können, als dem bestimmten Eindrucke der gestaltenden
ausgiebigen Kraft dieses Dichters. Menschenfiguren wie König Heinrich, wie der
Vogelfänger Staudenbein und der zum trotzigen Krieger erwachsende Statz, sind
aus bloßer Nachahmung und ohne den Quell lebendiger Wärme und plastischer
Anschauung in der eigenen Seele ein für allemal nicht zu schaffen. Auch das
ungefähr gleichzeitige in Prosa geschriebene kleine Drama „Wendelin und He¬
lene", welches die Zeit des Bauernkrieges zum Hintergrunde hat, zeichnet sich
durch feste Gestalten und namentlich durch die lebendigen Farben jener kleinen
Episoden aus, welche auch im „Heinrich" erfreuen.

Gewiß — dieser Dichter war nicht ergriffen und kaum berührt von dem
Genialitätsschwindel der Stürmer und Dränger neusten Datums, er wurzelte
in fester Sicherheit in seinem so einfachen und doch so tiefen Antheil an großen
und kleinen Erscheinungen des unmittelbaren Lebens wie der Geschichte, und
einer echt nationalen Empfindung, die mit der ganzen Naturgewalt einer vollen
und edlen Leidenschaft in ihm wirkte, und endlich in der Keuschheit seiner Kunst¬
übung, welche nach lüsternen, rohen und grellen Effecten, nach Pikanterien weder
strebte, noch auch nur streben konnte. Der aus dem Innersten quellende „Zuruf":


Stehst du zum deutschen Sängerorden,
Denk' nicht an Lohn und Lorbeerkron'!
Das Vaterland ist Bettler worden,
Was fordert noch des Bettlers Sohn?
Er heischt ein Schwert und todestiefe Wunden,
Die sind ja bald in seinem Dienst gefunden —
Nur kühn voran!
Die Freiheit schenkt nicht goldne Ketten,
Das Vaterland nicht Hof und Haus,
Lern' auf die Erde dich zu betten,
Unter Gottes Himmel hinaus!
Kannst unters Haupt dir mit den Händen greifen
Und laß vom Sturm ein Wiegenlied dir pfeifen —
Stark, starr und stolz!

trennte den Dichter, da er keine Phrase, sondern gesteigerter Ausdruck seiner
Grundanschauung war, von der rührigen Eitelkeit und der unruhigen Gro߬
mannssucht der jungdeutschen Bewegung. Selbst wenn er nicht in der Abge¬
schiedenheit seines kleinen sächsischen Lnndstädtchens gesessen hätte, würde er


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[0026] Julius Mosen. gehenden politischen Gegensätze zwischen dem neuen Königthum und dem Stam- mesherzogthum in den Versöhnungsscenen zwischen König Heinrich und dem Baierherzog Arnulf etwa so gelöst sieht, wie sich ein Studeutenzwist auf erregter Kneipe lösen mag, aber er wird sich dem Zauber dieser schlichten Heldenge¬ stalt, die mit ihrer eignen Kraft die Umgebungen zu durchdringen weiß, dieses echten, tendenziösen Pathos der Vaterlandstreue und der männlich-freudigen Pflicht¬ erfüllung so wenig entziehen können, als dem bestimmten Eindrucke der gestaltenden ausgiebigen Kraft dieses Dichters. Menschenfiguren wie König Heinrich, wie der Vogelfänger Staudenbein und der zum trotzigen Krieger erwachsende Statz, sind aus bloßer Nachahmung und ohne den Quell lebendiger Wärme und plastischer Anschauung in der eigenen Seele ein für allemal nicht zu schaffen. Auch das ungefähr gleichzeitige in Prosa geschriebene kleine Drama „Wendelin und He¬ lene", welches die Zeit des Bauernkrieges zum Hintergrunde hat, zeichnet sich durch feste Gestalten und namentlich durch die lebendigen Farben jener kleinen Episoden aus, welche auch im „Heinrich" erfreuen. Gewiß — dieser Dichter war nicht ergriffen und kaum berührt von dem Genialitätsschwindel der Stürmer und Dränger neusten Datums, er wurzelte in fester Sicherheit in seinem so einfachen und doch so tiefen Antheil an großen und kleinen Erscheinungen des unmittelbaren Lebens wie der Geschichte, und einer echt nationalen Empfindung, die mit der ganzen Naturgewalt einer vollen und edlen Leidenschaft in ihm wirkte, und endlich in der Keuschheit seiner Kunst¬ übung, welche nach lüsternen, rohen und grellen Effecten, nach Pikanterien weder strebte, noch auch nur streben konnte. Der aus dem Innersten quellende „Zuruf": Stehst du zum deutschen Sängerorden, Denk' nicht an Lohn und Lorbeerkron'! Das Vaterland ist Bettler worden, Was fordert noch des Bettlers Sohn? Er heischt ein Schwert und todestiefe Wunden, Die sind ja bald in seinem Dienst gefunden — Nur kühn voran! Die Freiheit schenkt nicht goldne Ketten, Das Vaterland nicht Hof und Haus, Lern' auf die Erde dich zu betten, Unter Gottes Himmel hinaus! Kannst unters Haupt dir mit den Händen greifen Und laß vom Sturm ein Wiegenlied dir pfeifen — Stark, starr und stolz! trennte den Dichter, da er keine Phrase, sondern gesteigerter Ausdruck seiner Grundanschauung war, von der rührigen Eitelkeit und der unruhigen Gro߬ mannssucht der jungdeutschen Bewegung. Selbst wenn er nicht in der Abge¬ schiedenheit seines kleinen sächsischen Lnndstädtchens gesessen hätte, würde er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/26>, abgerufen am 27.12.2024.