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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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p. le. Rosegger.

Gewiß ist nicht alles gleichwerthig, was Rosegger geschrieben hat. Schon
die Menge seiner Schristen, die er in der kurzen Zeit von zehn Jahren ver¬
öffentlicht hat, läßt dies erwarten; sodann der Zweck, welchem viele der einzelnen
Skizzen und Erzählungen zu dienen hatten -- sie sind zum Theil für Zeit¬
schriften und Kalender geschrieben und tragen oft die Spuren flüchtiger Arbeit
an sich. Nicht alles ist abgeklärt und reif; in dem Bildungsgange des Mannes
wird sich die Erklärung sür manches Schwache und sogar Abgeschmackte finden,
was durch die Bände verstreut ist. Dies wird aber weit überwogen durch den
reichen Schatz des wirklich guten und vortrefflichen, dein man sich mit unge¬
trübtem Genusse hingeben kann.

Gesunder und kräftiger Realismus weht durch alles, was Rosegger schreibt,
so lange er auf seiner eigentlichen Domäne, der Dorfgeschichte, bleibt. Auch in
den meisten Sachen, welche ihm nicht ganz gelungen sind, macht sich dieser geltend
und läßt uus über manche Absonderlichkeiten hinwegsehen. Seine Stärke ist
das Vermögen, die ihn umgebende Welt voll in sein Inneres aufzunehmen, das
unter der rauhen Hülle in der prosaischen Alltäglichkeit sich verbergende Gefühls¬
und Gedankenleben seiner einfachen Landsleute zu ergründen und zu begreifen;
seine Kunst, das durch freundlichen Humor oder leidenschaftliches Mitfühlen ver¬
klärte einfach und drastisch darzustellen. Die überzeugende Naturtreue, mit der er
seine Aelpler zeichnet, entspringt der Vertrautheit mit deren innerm und üußerm
Leben, die ihm nur dadurch zu Theil werden konnte, daß er von Kindheit aus
die gleiche Luft mit ihnen athmete, selbst ihrer einer war. Er ist in einem ein¬
samen Bauernhöfe Obersteiermarks geboren; fern von der "Welt", man kaun
wohl sagen mitten in der Wildnis; ist er aufgewachsen, frei wie die Ziegen und
Schafe, die er zu hüten hatte. Stundenweit war es bis zu dem nächsten Dorfe,
zu weit, als daß er in die Schule hätte wandern können, denn auch seine kleinen
Hände waren bei der harten Tagesarbeit nicht zu entbehren. Erst als ein armer
brotloser Schulmeister in die Einöde verschlagen wurde, der von Haus zu Hans
wandernd Unterricht gab, lernte er lesen und schreiben. Gewiß ein armes Leben,
und doch sand die Muse auch in diesen fernen Waldwinkel den Weg. Seine
Mutter war es, die in dem Kindesherzen die Phantasie erweckte, "mit den Liedern,
die sie ihm sang, mit den Märchen, die sie ihm erzählte, wenn sie zusammen
durch deu Wald gingen, oder sie abends an seinem Bettchen saß." "Das beste
in mir, ich habe es von ihr. Sie hatte in sich eine ganze Welt von Poesie."
Man lese die beiden Bände, welche seine Jugendgeschichte enthalten: "Waldheimat"
und "Aus meinem Handwerkerleben", lese, wie bei diesem harten Leben im
Elternhause der poetische Schaffensdrang in ihm wach wurde, wie er, da er
zum Bauern zu "lieber", zu schwach ist, zu einem Schneider in die Lehre


p. le. Rosegger.

Gewiß ist nicht alles gleichwerthig, was Rosegger geschrieben hat. Schon
die Menge seiner Schristen, die er in der kurzen Zeit von zehn Jahren ver¬
öffentlicht hat, läßt dies erwarten; sodann der Zweck, welchem viele der einzelnen
Skizzen und Erzählungen zu dienen hatten — sie sind zum Theil für Zeit¬
schriften und Kalender geschrieben und tragen oft die Spuren flüchtiger Arbeit
an sich. Nicht alles ist abgeklärt und reif; in dem Bildungsgange des Mannes
wird sich die Erklärung sür manches Schwache und sogar Abgeschmackte finden,
was durch die Bände verstreut ist. Dies wird aber weit überwogen durch den
reichen Schatz des wirklich guten und vortrefflichen, dein man sich mit unge¬
trübtem Genusse hingeben kann.

Gesunder und kräftiger Realismus weht durch alles, was Rosegger schreibt,
so lange er auf seiner eigentlichen Domäne, der Dorfgeschichte, bleibt. Auch in
den meisten Sachen, welche ihm nicht ganz gelungen sind, macht sich dieser geltend
und läßt uus über manche Absonderlichkeiten hinwegsehen. Seine Stärke ist
das Vermögen, die ihn umgebende Welt voll in sein Inneres aufzunehmen, das
unter der rauhen Hülle in der prosaischen Alltäglichkeit sich verbergende Gefühls¬
und Gedankenleben seiner einfachen Landsleute zu ergründen und zu begreifen;
seine Kunst, das durch freundlichen Humor oder leidenschaftliches Mitfühlen ver¬
klärte einfach und drastisch darzustellen. Die überzeugende Naturtreue, mit der er
seine Aelpler zeichnet, entspringt der Vertrautheit mit deren innerm und üußerm
Leben, die ihm nur dadurch zu Theil werden konnte, daß er von Kindheit aus
die gleiche Luft mit ihnen athmete, selbst ihrer einer war. Er ist in einem ein¬
samen Bauernhöfe Obersteiermarks geboren; fern von der „Welt", man kaun
wohl sagen mitten in der Wildnis; ist er aufgewachsen, frei wie die Ziegen und
Schafe, die er zu hüten hatte. Stundenweit war es bis zu dem nächsten Dorfe,
zu weit, als daß er in die Schule hätte wandern können, denn auch seine kleinen
Hände waren bei der harten Tagesarbeit nicht zu entbehren. Erst als ein armer
brotloser Schulmeister in die Einöde verschlagen wurde, der von Haus zu Hans
wandernd Unterricht gab, lernte er lesen und schreiben. Gewiß ein armes Leben,
und doch sand die Muse auch in diesen fernen Waldwinkel den Weg. Seine
Mutter war es, die in dem Kindesherzen die Phantasie erweckte, „mit den Liedern,
die sie ihm sang, mit den Märchen, die sie ihm erzählte, wenn sie zusammen
durch deu Wald gingen, oder sie abends an seinem Bettchen saß." „Das beste
in mir, ich habe es von ihr. Sie hatte in sich eine ganze Welt von Poesie."
Man lese die beiden Bände, welche seine Jugendgeschichte enthalten: „Waldheimat"
und „Aus meinem Handwerkerleben", lese, wie bei diesem harten Leben im
Elternhause der poetische Schaffensdrang in ihm wach wurde, wie er, da er
zum Bauern zu „lieber", zu schwach ist, zu einem Schneider in die Lehre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/222>, abgerufen am 27.12.2024.