Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.Die destructiven Elemente im Staate. in der That abgeleitet. Was sein soll, um den Willen der Individuen zu be¬ Die destructiven Elemente im Staate. in der That abgeleitet. Was sein soll, um den Willen der Individuen zu be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0187" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149171"/> <fw type="header" place="top"> Die destructiven Elemente im Staate.</fw><lb/> <p xml:id="ID_499" prev="#ID_498"> in der That abgeleitet. Was sein soll, um den Willen der Individuen zu be¬<lb/> fruchten, mußte die höchste Autorität, der Kaiser, dem Volke zuerst vormachen,<lb/> sowie es der große Peter in der That gethan hat. Die väterliche Gewalt des<lb/> Zaren hat nun schon einen Theil ihrer Autokratie an die Gemeinden abgegeben,<lb/> warum sollte sie die Autoritäten der Korporationen nicht benutzen, um die<lb/> Willkür der Beamten in Schranken zu halten, da dies der Zar, der nicht überall<lb/> sein kann, erfahrungsmäßig nicht vermag? In der Unterwerfung des russischen<lb/> Jndividuälwillens unter die Autorität der Corporation liegt in der That die<lb/> Remedur, welche den Beamtenstand allmählich zum liebevollen Verständniß des<lb/> Volkswillens bringen und auch in dein herrschsüchtigsten Beamten durch den<lb/> Zwang der Corporatiousaufsicht einen Theil jenes versöhnenden Allgemeinen<lb/> wachzurufen im Stande sein wird, welches Peter den Großen zu einem so wohl¬<lb/> thätigen Reformer machte. Beamtenwahl durch die Corporationen und Con-<lb/> trole der niedern Beamten dnrch diese Verbände ist das Schema einer zu¬<lb/> künftigen Reform. Statt eines Nationalparlamentes, mit dem Rußland zur<lb/> Zeit kaum etwas Nützliches beginnen könnte, bedarf das Reich tausend neuer<lb/> ständischer corporcitiver Verbände, nicht um sich mit hoher Politik oder dem<lb/> Budgetbewilligungsrechte zu befassen, sondern um die Wahl und die Controle<lb/> über das Beamtenheer in öffentlichem Verfahren zu besorgen. Dadurch sind<lb/> Einschränkungen durch Candidaten-Präsentation, durch Bestätigung seitens des<lb/> Kaisers, durch Gebundensein an Staatsprüfungen nicht ausgeschlossen. Selbst¬<lb/> verständlich würde ein Theil der Beamten unabhängig von der Controle der<lb/> Verbände, aber unter besondern Disciplinargerichtshöfeu im Sinne einer strengen<lb/> Centralisation verbleiben können. Centralisation und Decentralisation würden<lb/> sich die Hand reichen, und die Verbände eine innige Vermittlung zwischen Krone<lb/> und Volk herbeiführen. Nur das Muster des lateinischen Imperialismus, das<lb/> Nikolaus ohne Verständniß copirte, ist für Rußland gründlich antinational<lb/> und verderblich, denn ein Beamtenstaat ist nur nach langjähriger Cultur, bei<lb/> einer reichen Menge fähiger Beamten und nur bei einer freien Verfassung,<lb/> welche Kritik und Controle der Beamten durch die öffentlichen Organe zuläßt,<lb/> niemals aber bei einer rein autokratischen Verfassung und ohne durchgreifend<lb/> strenge Disciplinargesetze möglich; im andern Falle erzeugt er die Hydra der<lb/> Beamtenwillkür, und diese bedeutet, gleichwie die Mafia und Camorra in Italien,<lb/> die Negation des Staats oder, mit den Mitteln eines Naturvolkes ausgedrückt,<lb/> den Nihilismus. (Schluß folgt.)</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0187]
Die destructiven Elemente im Staate.
in der That abgeleitet. Was sein soll, um den Willen der Individuen zu be¬
fruchten, mußte die höchste Autorität, der Kaiser, dem Volke zuerst vormachen,
sowie es der große Peter in der That gethan hat. Die väterliche Gewalt des
Zaren hat nun schon einen Theil ihrer Autokratie an die Gemeinden abgegeben,
warum sollte sie die Autoritäten der Korporationen nicht benutzen, um die
Willkür der Beamten in Schranken zu halten, da dies der Zar, der nicht überall
sein kann, erfahrungsmäßig nicht vermag? In der Unterwerfung des russischen
Jndividuälwillens unter die Autorität der Corporation liegt in der That die
Remedur, welche den Beamtenstand allmählich zum liebevollen Verständniß des
Volkswillens bringen und auch in dein herrschsüchtigsten Beamten durch den
Zwang der Corporatiousaufsicht einen Theil jenes versöhnenden Allgemeinen
wachzurufen im Stande sein wird, welches Peter den Großen zu einem so wohl¬
thätigen Reformer machte. Beamtenwahl durch die Corporationen und Con-
trole der niedern Beamten dnrch diese Verbände ist das Schema einer zu¬
künftigen Reform. Statt eines Nationalparlamentes, mit dem Rußland zur
Zeit kaum etwas Nützliches beginnen könnte, bedarf das Reich tausend neuer
ständischer corporcitiver Verbände, nicht um sich mit hoher Politik oder dem
Budgetbewilligungsrechte zu befassen, sondern um die Wahl und die Controle
über das Beamtenheer in öffentlichem Verfahren zu besorgen. Dadurch sind
Einschränkungen durch Candidaten-Präsentation, durch Bestätigung seitens des
Kaisers, durch Gebundensein an Staatsprüfungen nicht ausgeschlossen. Selbst¬
verständlich würde ein Theil der Beamten unabhängig von der Controle der
Verbände, aber unter besondern Disciplinargerichtshöfeu im Sinne einer strengen
Centralisation verbleiben können. Centralisation und Decentralisation würden
sich die Hand reichen, und die Verbände eine innige Vermittlung zwischen Krone
und Volk herbeiführen. Nur das Muster des lateinischen Imperialismus, das
Nikolaus ohne Verständniß copirte, ist für Rußland gründlich antinational
und verderblich, denn ein Beamtenstaat ist nur nach langjähriger Cultur, bei
einer reichen Menge fähiger Beamten und nur bei einer freien Verfassung,
welche Kritik und Controle der Beamten durch die öffentlichen Organe zuläßt,
niemals aber bei einer rein autokratischen Verfassung und ohne durchgreifend
strenge Disciplinargesetze möglich; im andern Falle erzeugt er die Hydra der
Beamtenwillkür, und diese bedeutet, gleichwie die Mafia und Camorra in Italien,
die Negation des Staats oder, mit den Mitteln eines Naturvolkes ausgedrückt,
den Nihilismus. (Schluß folgt.)
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