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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Die destructiven Elemente im Staate.

Anklagen seien Verleumdungen. Zu Alexanders I. Zeit meinte ein Staats¬
mann: "Unsere Verfassung ist der Despotismus, beschränkt durch den Meuchel¬
mord", und als man einen der Mörder Peters III., den Fürsten Bariatinski
fragte, wie er sich zu einer solchen That habe entschließen können, antwortete
er: <Zäh voulW ovo.s mon eb.6r, j'g,vais taut as clsttss.

Aber die Geister der Wahrheit und Gerechtigkeit lassen sich nicht verspotten!
Jedem Russen muß das Herz bluten, wenn er sieht, wieviel Menschenglück, Kraft
und Geisteiues großen Volkes wahrend dreißig Jahren durch eine Atmosphäre er¬
stickt wurde, die nur für die Mittelmäßigkeit Lebensluft übrig ließ. Um nichts
geopfert die eminentester Geister, welche der Genius des russischen Volkes seit
lange hervorgebracht! Puschkin, der erste große Nativnaldichter seines Volkes,
37 Jahre alt, Lermontow, sein ihm mindestens ebenbürtiger Nachfolger, 29 Jahre
alt, fallen im Duell; erstem tödtete eine gemeine Intrigue; letzterer wurde wegen
seines großartigen, politisch völlig harmlosen Gedichtes auf den Tod Puschkins
aus der Garde entlassen und in den Kaukasus verbannt. Sein Schwanen¬
gesang lautet in erschütternder Tragik:


Es lebt ein ewiger gerechter Richter,
Der wird, wenn wir die Missethat nicht rächen,
Auf unser Flehn in seinem Zorne sprechen:
Versiegen soll die Quelle neuer Lieder,
Ihr wußtet nicht zu ehren euren Dichter,
Zum zweiten Mal send' ich euch keinen wieder!

Gribvjedow, der große Sittenmaler, verdächtigt, verbannt, starb durch Meuchelmord,
34 Jahre alt; Polelajew, Bestuschew, Barätinski starben in der Verbannung;
drei Brüder Bestuschews wurden in die gleiche Anklage verwickelt und nach
Sibirien geschickt. Bestuschews Freund, der Dichter Rylejew, wurde hingerichtet;
Kolzow, der naive Volksdichter, 33 Jahre alt, und Wenjewitinow gingen in der
Erbärmlichkeit der Verhältnisse zu Grunde; Gogol, der geniale Humorist, starb
halbverhungert im Irrsinn, Herzen, der gewaltige Journalist, flieht das Land
seiner Geburt für immer, selbst der größte Erzähler des Jahrhunderts Turje-
niew entzieht sich dein Vaterlande. Wahrlich Herzen hat Recht, wenn er kla¬
gend ausruft: "Die Geschichte unserer Literatur ist ein Verzeichniß von Mär¬
tyrern!" Und das Gesagte gilt nur für die schöne Literatur. Was mag an
selbständigen, wahrheitsliebenden, unerschrockenen Geistern in den übrigen
Ständen trostlos zu Grunde gegangen sein!

Was war nun das Resultat einer dreißigjährigen eisernen Fesselung der
Geister? Auf der einen Seite eine bornirte Polizei, die in dem Wahne, jed¬
weden Geist abgethan zu haben, selbstgefällig Tag für Tag berichtete, "daß alles


Die destructiven Elemente im Staate.

Anklagen seien Verleumdungen. Zu Alexanders I. Zeit meinte ein Staats¬
mann: „Unsere Verfassung ist der Despotismus, beschränkt durch den Meuchel¬
mord", und als man einen der Mörder Peters III., den Fürsten Bariatinski
fragte, wie er sich zu einer solchen That habe entschließen können, antwortete
er: <Zäh voulW ovo.s mon eb.6r, j'g,vais taut as clsttss.

Aber die Geister der Wahrheit und Gerechtigkeit lassen sich nicht verspotten!
Jedem Russen muß das Herz bluten, wenn er sieht, wieviel Menschenglück, Kraft
und Geisteiues großen Volkes wahrend dreißig Jahren durch eine Atmosphäre er¬
stickt wurde, die nur für die Mittelmäßigkeit Lebensluft übrig ließ. Um nichts
geopfert die eminentester Geister, welche der Genius des russischen Volkes seit
lange hervorgebracht! Puschkin, der erste große Nativnaldichter seines Volkes,
37 Jahre alt, Lermontow, sein ihm mindestens ebenbürtiger Nachfolger, 29 Jahre
alt, fallen im Duell; erstem tödtete eine gemeine Intrigue; letzterer wurde wegen
seines großartigen, politisch völlig harmlosen Gedichtes auf den Tod Puschkins
aus der Garde entlassen und in den Kaukasus verbannt. Sein Schwanen¬
gesang lautet in erschütternder Tragik:


Es lebt ein ewiger gerechter Richter,
Der wird, wenn wir die Missethat nicht rächen,
Auf unser Flehn in seinem Zorne sprechen:
Versiegen soll die Quelle neuer Lieder,
Ihr wußtet nicht zu ehren euren Dichter,
Zum zweiten Mal send' ich euch keinen wieder!

Gribvjedow, der große Sittenmaler, verdächtigt, verbannt, starb durch Meuchelmord,
34 Jahre alt; Polelajew, Bestuschew, Barätinski starben in der Verbannung;
drei Brüder Bestuschews wurden in die gleiche Anklage verwickelt und nach
Sibirien geschickt. Bestuschews Freund, der Dichter Rylejew, wurde hingerichtet;
Kolzow, der naive Volksdichter, 33 Jahre alt, und Wenjewitinow gingen in der
Erbärmlichkeit der Verhältnisse zu Grunde; Gogol, der geniale Humorist, starb
halbverhungert im Irrsinn, Herzen, der gewaltige Journalist, flieht das Land
seiner Geburt für immer, selbst der größte Erzähler des Jahrhunderts Turje-
niew entzieht sich dein Vaterlande. Wahrlich Herzen hat Recht, wenn er kla¬
gend ausruft: „Die Geschichte unserer Literatur ist ein Verzeichniß von Mär¬
tyrern!" Und das Gesagte gilt nur für die schöne Literatur. Was mag an
selbständigen, wahrheitsliebenden, unerschrockenen Geistern in den übrigen
Ständen trostlos zu Grunde gegangen sein!

Was war nun das Resultat einer dreißigjährigen eisernen Fesselung der
Geister? Auf der einen Seite eine bornirte Polizei, die in dem Wahne, jed¬
weden Geist abgethan zu haben, selbstgefällig Tag für Tag berichtete, „daß alles


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[0181] Die destructiven Elemente im Staate. Anklagen seien Verleumdungen. Zu Alexanders I. Zeit meinte ein Staats¬ mann: „Unsere Verfassung ist der Despotismus, beschränkt durch den Meuchel¬ mord", und als man einen der Mörder Peters III., den Fürsten Bariatinski fragte, wie er sich zu einer solchen That habe entschließen können, antwortete er: <Zäh voulW ovo.s mon eb.6r, j'g,vais taut as clsttss. Aber die Geister der Wahrheit und Gerechtigkeit lassen sich nicht verspotten! Jedem Russen muß das Herz bluten, wenn er sieht, wieviel Menschenglück, Kraft und Geisteiues großen Volkes wahrend dreißig Jahren durch eine Atmosphäre er¬ stickt wurde, die nur für die Mittelmäßigkeit Lebensluft übrig ließ. Um nichts geopfert die eminentester Geister, welche der Genius des russischen Volkes seit lange hervorgebracht! Puschkin, der erste große Nativnaldichter seines Volkes, 37 Jahre alt, Lermontow, sein ihm mindestens ebenbürtiger Nachfolger, 29 Jahre alt, fallen im Duell; erstem tödtete eine gemeine Intrigue; letzterer wurde wegen seines großartigen, politisch völlig harmlosen Gedichtes auf den Tod Puschkins aus der Garde entlassen und in den Kaukasus verbannt. Sein Schwanen¬ gesang lautet in erschütternder Tragik: Es lebt ein ewiger gerechter Richter, Der wird, wenn wir die Missethat nicht rächen, Auf unser Flehn in seinem Zorne sprechen: Versiegen soll die Quelle neuer Lieder, Ihr wußtet nicht zu ehren euren Dichter, Zum zweiten Mal send' ich euch keinen wieder! Gribvjedow, der große Sittenmaler, verdächtigt, verbannt, starb durch Meuchelmord, 34 Jahre alt; Polelajew, Bestuschew, Barätinski starben in der Verbannung; drei Brüder Bestuschews wurden in die gleiche Anklage verwickelt und nach Sibirien geschickt. Bestuschews Freund, der Dichter Rylejew, wurde hingerichtet; Kolzow, der naive Volksdichter, 33 Jahre alt, und Wenjewitinow gingen in der Erbärmlichkeit der Verhältnisse zu Grunde; Gogol, der geniale Humorist, starb halbverhungert im Irrsinn, Herzen, der gewaltige Journalist, flieht das Land seiner Geburt für immer, selbst der größte Erzähler des Jahrhunderts Turje- niew entzieht sich dein Vaterlande. Wahrlich Herzen hat Recht, wenn er kla¬ gend ausruft: „Die Geschichte unserer Literatur ist ein Verzeichniß von Mär¬ tyrern!" Und das Gesagte gilt nur für die schöne Literatur. Was mag an selbständigen, wahrheitsliebenden, unerschrockenen Geistern in den übrigen Ständen trostlos zu Grunde gegangen sein! Was war nun das Resultat einer dreißigjährigen eisernen Fesselung der Geister? Auf der einen Seite eine bornirte Polizei, die in dem Wahne, jed¬ weden Geist abgethan zu haben, selbstgefällig Tag für Tag berichtete, „daß alles

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/181>, abgerufen am 29.12.2024.