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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Ariegfnhnmg im Mittelalter,

1190 von den 100000 Türken, die das kaiserliche Lager angriffen, 12000 ge-
tödtet worden seien, während die Kreuzfahrer nur drei Knechte verloren hätten.
Wahrscheinlicher ist die Mittheilung des Itinsrarwra rs^is Rioaräi, der zufolge
in der Schlacht bei Ursus die Türken 7000, darunter 32 Anführer, die Christen
700 Mann auf dem Platze gelassen hätten. Wieder sehr unwahrscheinlich klingt
es, wenn in der Schlacht bei Bouvines Kaiser Otto IV. 30000 Todte und
Gefangene eingebüßt, Philipp August dagegen nur einen Ritter und einen Knecht
verloren haben soll.

Der Sieg wurde durch Gelage gefeiert, die bei Kerzenlicht bis tief in die
Nacht hinein dauerten, und bei denen Musikanten lustige Weisen aufspielten.
Doch wurden auch die Verwundeten nicht vergessen. Die Aerzte entfernten mit
Zangen und Messern die Pfeil- oder Lanzenspitzen, wuschen die Wunden mit
Oel und Wein, bestrichen sie mit guter Salbe und verbanden sie mit "Wimplin,"
d. h. Charpie. Sie kannten auch schmerzstillende Tränke. Sonst wußten sie
nicht viel zu helfen. Am 26. December 1194 brach der Herzog Leopold von
Oesterreich bei einem Turnier den Unterschenkel, sodaß die Knochensplitter eine
Spanne lang aus der Haut hervorragten. Die herbeigerufenen Aerzte ver¬
ordneten allerlei, amputirten den Fuß aber nicht, Am nächsten Tage war der¬
selbe schwarz geworden, und jetzt wollte man ihn zwar abnehmen, wagte es
aber nicht. Da setzte der Herzog selbst ein Beil auf das Schienbein, und sein
Kämmerer schlug mit einem Hammer dreimal darauf, sodaß das kranke Glied
abfiel. Die Aerzte verbanden die Wunde, aber am 30. December starb der
Fürst daran. Selbst Verwundete vom höchsten Range hatten also von den
damaligen Aesculapsjüngern wenig zu hoffen, und so werden die Massen bles-
sirter Soldaten noch schlimmer daran gewesen sein.

Ebenso wenig beneidenswert!) waren die Gefangnen in den Kriegen des
Mittelalters, die nach altem Brauche dem Kriegsherrn gehörten, während ihre
Rüstung denen zufiel, welche sie bezwungen hatten. Friedrich der Rothbart
ließ 1161 sechs gefangnen Mailändern das eine Auge, sechs andern beide aus¬
reißen und wieder sechs andern die Nase abschneiden und ein Auge ausstechen.
Richard Löwenherz befahl 1198, als bei einem Gefechte fünfzehn französische
Ritter in seine Gewalt gerathen waren, vierzehn auf beiden Augen, den fünf¬
zehnten aber nur auf dem einen zu blenden. Der Einäugige mußte dann seine
Kameraden ins französische Lager geleiten, wo man sofort Rache nahm, indem
fünfzehn englische Ritter der Augen beraubt wurden. 1170 ließ der englische
Ritter Raymund le Gros nach einem Gefecht mit den Iren 70 Gefangne durch
ein Mädchen enthaupten. Solche Nichtswürdigkeiten kamen wahrscheinlich nicht
oft vor. Aber von einer guten Behandlung der Gefangenen wird nirgends
berichtet. Man zog ihnen die Rüstung und ihre besten Kleider aus, band ihnen


Ariegfnhnmg im Mittelalter,

1190 von den 100000 Türken, die das kaiserliche Lager angriffen, 12000 ge-
tödtet worden seien, während die Kreuzfahrer nur drei Knechte verloren hätten.
Wahrscheinlicher ist die Mittheilung des Itinsrarwra rs^is Rioaräi, der zufolge
in der Schlacht bei Ursus die Türken 7000, darunter 32 Anführer, die Christen
700 Mann auf dem Platze gelassen hätten. Wieder sehr unwahrscheinlich klingt
es, wenn in der Schlacht bei Bouvines Kaiser Otto IV. 30000 Todte und
Gefangene eingebüßt, Philipp August dagegen nur einen Ritter und einen Knecht
verloren haben soll.

Der Sieg wurde durch Gelage gefeiert, die bei Kerzenlicht bis tief in die
Nacht hinein dauerten, und bei denen Musikanten lustige Weisen aufspielten.
Doch wurden auch die Verwundeten nicht vergessen. Die Aerzte entfernten mit
Zangen und Messern die Pfeil- oder Lanzenspitzen, wuschen die Wunden mit
Oel und Wein, bestrichen sie mit guter Salbe und verbanden sie mit „Wimplin,"
d. h. Charpie. Sie kannten auch schmerzstillende Tränke. Sonst wußten sie
nicht viel zu helfen. Am 26. December 1194 brach der Herzog Leopold von
Oesterreich bei einem Turnier den Unterschenkel, sodaß die Knochensplitter eine
Spanne lang aus der Haut hervorragten. Die herbeigerufenen Aerzte ver¬
ordneten allerlei, amputirten den Fuß aber nicht, Am nächsten Tage war der¬
selbe schwarz geworden, und jetzt wollte man ihn zwar abnehmen, wagte es
aber nicht. Da setzte der Herzog selbst ein Beil auf das Schienbein, und sein
Kämmerer schlug mit einem Hammer dreimal darauf, sodaß das kranke Glied
abfiel. Die Aerzte verbanden die Wunde, aber am 30. December starb der
Fürst daran. Selbst Verwundete vom höchsten Range hatten also von den
damaligen Aesculapsjüngern wenig zu hoffen, und so werden die Massen bles-
sirter Soldaten noch schlimmer daran gewesen sein.

Ebenso wenig beneidenswert!) waren die Gefangnen in den Kriegen des
Mittelalters, die nach altem Brauche dem Kriegsherrn gehörten, während ihre
Rüstung denen zufiel, welche sie bezwungen hatten. Friedrich der Rothbart
ließ 1161 sechs gefangnen Mailändern das eine Auge, sechs andern beide aus¬
reißen und wieder sechs andern die Nase abschneiden und ein Auge ausstechen.
Richard Löwenherz befahl 1198, als bei einem Gefechte fünfzehn französische
Ritter in seine Gewalt gerathen waren, vierzehn auf beiden Augen, den fünf¬
zehnten aber nur auf dem einen zu blenden. Der Einäugige mußte dann seine
Kameraden ins französische Lager geleiten, wo man sofort Rache nahm, indem
fünfzehn englische Ritter der Augen beraubt wurden. 1170 ließ der englische
Ritter Raymund le Gros nach einem Gefecht mit den Iren 70 Gefangne durch
ein Mädchen enthaupten. Solche Nichtswürdigkeiten kamen wahrscheinlich nicht
oft vor. Aber von einer guten Behandlung der Gefangenen wird nirgends
berichtet. Man zog ihnen die Rüstung und ihre besten Kleider aus, band ihnen


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[0140] Ariegfnhnmg im Mittelalter, 1190 von den 100000 Türken, die das kaiserliche Lager angriffen, 12000 ge- tödtet worden seien, während die Kreuzfahrer nur drei Knechte verloren hätten. Wahrscheinlicher ist die Mittheilung des Itinsrarwra rs^is Rioaräi, der zufolge in der Schlacht bei Ursus die Türken 7000, darunter 32 Anführer, die Christen 700 Mann auf dem Platze gelassen hätten. Wieder sehr unwahrscheinlich klingt es, wenn in der Schlacht bei Bouvines Kaiser Otto IV. 30000 Todte und Gefangene eingebüßt, Philipp August dagegen nur einen Ritter und einen Knecht verloren haben soll. Der Sieg wurde durch Gelage gefeiert, die bei Kerzenlicht bis tief in die Nacht hinein dauerten, und bei denen Musikanten lustige Weisen aufspielten. Doch wurden auch die Verwundeten nicht vergessen. Die Aerzte entfernten mit Zangen und Messern die Pfeil- oder Lanzenspitzen, wuschen die Wunden mit Oel und Wein, bestrichen sie mit guter Salbe und verbanden sie mit „Wimplin," d. h. Charpie. Sie kannten auch schmerzstillende Tränke. Sonst wußten sie nicht viel zu helfen. Am 26. December 1194 brach der Herzog Leopold von Oesterreich bei einem Turnier den Unterschenkel, sodaß die Knochensplitter eine Spanne lang aus der Haut hervorragten. Die herbeigerufenen Aerzte ver¬ ordneten allerlei, amputirten den Fuß aber nicht, Am nächsten Tage war der¬ selbe schwarz geworden, und jetzt wollte man ihn zwar abnehmen, wagte es aber nicht. Da setzte der Herzog selbst ein Beil auf das Schienbein, und sein Kämmerer schlug mit einem Hammer dreimal darauf, sodaß das kranke Glied abfiel. Die Aerzte verbanden die Wunde, aber am 30. December starb der Fürst daran. Selbst Verwundete vom höchsten Range hatten also von den damaligen Aesculapsjüngern wenig zu hoffen, und so werden die Massen bles- sirter Soldaten noch schlimmer daran gewesen sein. Ebenso wenig beneidenswert!) waren die Gefangnen in den Kriegen des Mittelalters, die nach altem Brauche dem Kriegsherrn gehörten, während ihre Rüstung denen zufiel, welche sie bezwungen hatten. Friedrich der Rothbart ließ 1161 sechs gefangnen Mailändern das eine Auge, sechs andern beide aus¬ reißen und wieder sechs andern die Nase abschneiden und ein Auge ausstechen. Richard Löwenherz befahl 1198, als bei einem Gefechte fünfzehn französische Ritter in seine Gewalt gerathen waren, vierzehn auf beiden Augen, den fünf¬ zehnten aber nur auf dem einen zu blenden. Der Einäugige mußte dann seine Kameraden ins französische Lager geleiten, wo man sofort Rache nahm, indem fünfzehn englische Ritter der Augen beraubt wurden. 1170 ließ der englische Ritter Raymund le Gros nach einem Gefecht mit den Iren 70 Gefangne durch ein Mädchen enthaupten. Solche Nichtswürdigkeiten kamen wahrscheinlich nicht oft vor. Aber von einer guten Behandlung der Gefangenen wird nirgends berichtet. Man zog ihnen die Rüstung und ihre besten Kleider aus, band ihnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/140>, abgerufen am 27.12.2024.