Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die destructiven Elemente im Staate.

Wir haben erwähnt, wie noch bis in neuere Zeit herein die bourbonische
Regierung sich mit dem Gesinde! verbündete, um jede mißliebige Richtung zu
unterdrücken. Sie ließ bestrafte Spitzbuben frei uuter der Bedingung, daß sie
politische Spiondienste leisteten, sie nahm Fälscher und Mörder in die Polizei
auf und ließ von ihnen die Verdächtigen arretiren. Das trug denn auch die
nothwendigen Früchte. In Favigncma kam der Fall vor, daß die Richter einen
politisch angeklagten wegen Mangels an Schuldbeweisen freisprechen wollten.
Da erklärte der Präsident öffentlich: "Meine Herren Collegen, hier handelt es
sich um unsere Toga", und sie verurtheilten den Beschuldigten zum Tode durch
Erschießen. Im Jahre 1874 eröffnete der Generalstaatsanwalt von Palermo
die Gerichtssitzungen mit einer Rede, in der er u. a. sagte: "M. H., wenn
unsere Thätigkeit Erfolg haben soll, dann darf es nicht wieder vorkommen, daß
die Strafurtheile des Gerichts unvollzogen bleiben, daß die Verbrecher, nachdem
eine mühevolle Untersuchung sie ans Licht gezogen, nachdem die Geschwornen
sie verurtheilt, und die Richter ihnen den Kerker zudictirt haben, frei in den
Straßen herumgehen, während die Ausführung des Urtheils einfach vergessen
wird." Er hätte noch hinzufügen können: Es darf nicht geschehen, daß man
uns die Acten eines mühsam instruirten Processes aus dem eignen Justizge¬
bäude stiehlt.

In Italien hat sich Schillers Schreckenswort erfüllt: "Des Gesetzes Ge¬
spenst steht an der Könige Thron." Das Gesetz war Gespenst, d. h. blut- und
körperloses Nichts geworden. Die destructiven Elemente hatten die Idee des
Rechtsstaates vernichtet und überwucherten sie mit dein raffinirtesten Detail,
dessen nur ein begabtes Culturvolk fähig war. Von oben her war an Stelle
des Gemeinsinns und des Rechts Egoismus und Gewalt gesetzt worden, welche
wiederum Egoismus und Gewalt von unten her heraufbeschworen. Das moderne
Italien und seine Regenten, obgleich vom besten Willen beseelt, haben daher
noch heute mit der Erbschaft der Vergangenheit, mit eben jenen destructiven
Tendenzen, deren Reste wir in Sicilien und Neapel aufgezeigt haben, zu kämpfen
und es wird noch vieler gesetzmüßiger Anstrengungen bedürfen, ehe die Schuld
der Vergangenheit von der Gegenwart getilgt sein wird.

(Schluß folgt.)




Die destructiven Elemente im Staate.

Wir haben erwähnt, wie noch bis in neuere Zeit herein die bourbonische
Regierung sich mit dem Gesinde! verbündete, um jede mißliebige Richtung zu
unterdrücken. Sie ließ bestrafte Spitzbuben frei uuter der Bedingung, daß sie
politische Spiondienste leisteten, sie nahm Fälscher und Mörder in die Polizei
auf und ließ von ihnen die Verdächtigen arretiren. Das trug denn auch die
nothwendigen Früchte. In Favigncma kam der Fall vor, daß die Richter einen
politisch angeklagten wegen Mangels an Schuldbeweisen freisprechen wollten.
Da erklärte der Präsident öffentlich: „Meine Herren Collegen, hier handelt es
sich um unsere Toga", und sie verurtheilten den Beschuldigten zum Tode durch
Erschießen. Im Jahre 1874 eröffnete der Generalstaatsanwalt von Palermo
die Gerichtssitzungen mit einer Rede, in der er u. a. sagte: „M. H., wenn
unsere Thätigkeit Erfolg haben soll, dann darf es nicht wieder vorkommen, daß
die Strafurtheile des Gerichts unvollzogen bleiben, daß die Verbrecher, nachdem
eine mühevolle Untersuchung sie ans Licht gezogen, nachdem die Geschwornen
sie verurtheilt, und die Richter ihnen den Kerker zudictirt haben, frei in den
Straßen herumgehen, während die Ausführung des Urtheils einfach vergessen
wird." Er hätte noch hinzufügen können: Es darf nicht geschehen, daß man
uns die Acten eines mühsam instruirten Processes aus dem eignen Justizge¬
bäude stiehlt.

In Italien hat sich Schillers Schreckenswort erfüllt: „Des Gesetzes Ge¬
spenst steht an der Könige Thron." Das Gesetz war Gespenst, d. h. blut- und
körperloses Nichts geworden. Die destructiven Elemente hatten die Idee des
Rechtsstaates vernichtet und überwucherten sie mit dein raffinirtesten Detail,
dessen nur ein begabtes Culturvolk fähig war. Von oben her war an Stelle
des Gemeinsinns und des Rechts Egoismus und Gewalt gesetzt worden, welche
wiederum Egoismus und Gewalt von unten her heraufbeschworen. Das moderne
Italien und seine Regenten, obgleich vom besten Willen beseelt, haben daher
noch heute mit der Erbschaft der Vergangenheit, mit eben jenen destructiven
Tendenzen, deren Reste wir in Sicilien und Neapel aufgezeigt haben, zu kämpfen
und es wird noch vieler gesetzmüßiger Anstrengungen bedürfen, ehe die Schuld
der Vergangenheit von der Gegenwart getilgt sein wird.

(Schluß folgt.)




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0125" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149109"/>
          <fw type="header" place="top"> Die destructiven Elemente im Staate.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_319"> Wir haben erwähnt, wie noch bis in neuere Zeit herein die bourbonische<lb/>
Regierung sich mit dem Gesinde! verbündete, um jede mißliebige Richtung zu<lb/>
unterdrücken. Sie ließ bestrafte Spitzbuben frei uuter der Bedingung, daß sie<lb/>
politische Spiondienste leisteten, sie nahm Fälscher und Mörder in die Polizei<lb/>
auf und ließ von ihnen die Verdächtigen arretiren. Das trug denn auch die<lb/>
nothwendigen Früchte. In Favigncma kam der Fall vor, daß die Richter einen<lb/>
politisch angeklagten wegen Mangels an Schuldbeweisen freisprechen wollten.<lb/>
Da erklärte der Präsident öffentlich: &#x201E;Meine Herren Collegen, hier handelt es<lb/>
sich um unsere Toga", und sie verurtheilten den Beschuldigten zum Tode durch<lb/>
Erschießen. Im Jahre 1874 eröffnete der Generalstaatsanwalt von Palermo<lb/>
die Gerichtssitzungen mit einer Rede, in der er u. a. sagte: &#x201E;M. H., wenn<lb/>
unsere Thätigkeit Erfolg haben soll, dann darf es nicht wieder vorkommen, daß<lb/>
die Strafurtheile des Gerichts unvollzogen bleiben, daß die Verbrecher, nachdem<lb/>
eine mühevolle Untersuchung sie ans Licht gezogen, nachdem die Geschwornen<lb/>
sie verurtheilt, und die Richter ihnen den Kerker zudictirt haben, frei in den<lb/>
Straßen herumgehen, während die Ausführung des Urtheils einfach vergessen<lb/>
wird." Er hätte noch hinzufügen können: Es darf nicht geschehen, daß man<lb/>
uns die Acten eines mühsam instruirten Processes aus dem eignen Justizge¬<lb/>
bäude stiehlt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_320"> In Italien hat sich Schillers Schreckenswort erfüllt: &#x201E;Des Gesetzes Ge¬<lb/>
spenst steht an der Könige Thron." Das Gesetz war Gespenst, d. h. blut- und<lb/>
körperloses Nichts geworden. Die destructiven Elemente hatten die Idee des<lb/>
Rechtsstaates vernichtet und überwucherten sie mit dein raffinirtesten Detail,<lb/>
dessen nur ein begabtes Culturvolk fähig war. Von oben her war an Stelle<lb/>
des Gemeinsinns und des Rechts Egoismus und Gewalt gesetzt worden, welche<lb/>
wiederum Egoismus und Gewalt von unten her heraufbeschworen. Das moderne<lb/>
Italien und seine Regenten, obgleich vom besten Willen beseelt, haben daher<lb/>
noch heute mit der Erbschaft der Vergangenheit, mit eben jenen destructiven<lb/>
Tendenzen, deren Reste wir in Sicilien und Neapel aufgezeigt haben, zu kämpfen<lb/>
und es wird noch vieler gesetzmüßiger Anstrengungen bedürfen, ehe die Schuld<lb/>
der Vergangenheit von der Gegenwart getilgt sein wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_321"> (Schluß folgt.)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0125] Die destructiven Elemente im Staate. Wir haben erwähnt, wie noch bis in neuere Zeit herein die bourbonische Regierung sich mit dem Gesinde! verbündete, um jede mißliebige Richtung zu unterdrücken. Sie ließ bestrafte Spitzbuben frei uuter der Bedingung, daß sie politische Spiondienste leisteten, sie nahm Fälscher und Mörder in die Polizei auf und ließ von ihnen die Verdächtigen arretiren. Das trug denn auch die nothwendigen Früchte. In Favigncma kam der Fall vor, daß die Richter einen politisch angeklagten wegen Mangels an Schuldbeweisen freisprechen wollten. Da erklärte der Präsident öffentlich: „Meine Herren Collegen, hier handelt es sich um unsere Toga", und sie verurtheilten den Beschuldigten zum Tode durch Erschießen. Im Jahre 1874 eröffnete der Generalstaatsanwalt von Palermo die Gerichtssitzungen mit einer Rede, in der er u. a. sagte: „M. H., wenn unsere Thätigkeit Erfolg haben soll, dann darf es nicht wieder vorkommen, daß die Strafurtheile des Gerichts unvollzogen bleiben, daß die Verbrecher, nachdem eine mühevolle Untersuchung sie ans Licht gezogen, nachdem die Geschwornen sie verurtheilt, und die Richter ihnen den Kerker zudictirt haben, frei in den Straßen herumgehen, während die Ausführung des Urtheils einfach vergessen wird." Er hätte noch hinzufügen können: Es darf nicht geschehen, daß man uns die Acten eines mühsam instruirten Processes aus dem eignen Justizge¬ bäude stiehlt. In Italien hat sich Schillers Schreckenswort erfüllt: „Des Gesetzes Ge¬ spenst steht an der Könige Thron." Das Gesetz war Gespenst, d. h. blut- und körperloses Nichts geworden. Die destructiven Elemente hatten die Idee des Rechtsstaates vernichtet und überwucherten sie mit dein raffinirtesten Detail, dessen nur ein begabtes Culturvolk fähig war. Von oben her war an Stelle des Gemeinsinns und des Rechts Egoismus und Gewalt gesetzt worden, welche wiederum Egoismus und Gewalt von unten her heraufbeschworen. Das moderne Italien und seine Regenten, obgleich vom besten Willen beseelt, haben daher noch heute mit der Erbschaft der Vergangenheit, mit eben jenen destructiven Tendenzen, deren Reste wir in Sicilien und Neapel aufgezeigt haben, zu kämpfen und es wird noch vieler gesetzmüßiger Anstrengungen bedürfen, ehe die Schuld der Vergangenheit von der Gegenwart getilgt sein wird. (Schluß folgt.)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/125
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/125>, abgerufen am 27.12.2024.