Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.Iio destructiven Elemente im Staate. auch bei ihren Beamten in Respect zu setzen, da bemächtigt sich der Volksseele Als nach der Begeisterung der Freiheitskriege der Tugendbund zwar mit Iio destructiven Elemente im Staate. auch bei ihren Beamten in Respect zu setzen, da bemächtigt sich der Volksseele Als nach der Begeisterung der Freiheitskriege der Tugendbund zwar mit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0115" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149099"/> <fw type="header" place="top"> Iio destructiven Elemente im Staate.</fw><lb/> <p xml:id="ID_295" prev="#ID_294"> auch bei ihren Beamten in Respect zu setzen, da bemächtigt sich der Volksseele<lb/> das tiefste Mißtrauen gegen den Staat. Jedes einzelne Unrecht, jedes politi¬<lb/> sche oder allgemeine Unglück wird dann dem Staate zur Last gelegt, und Mi߬<lb/> trauen und Erbitterung erben sich Generationen hindurch fort, selbst wenn die<lb/> ursprüngliche Veranlassung längst in Vergessenheit gerathen ist. Man sollte<lb/> meinen, daß z. B. Bismarck doch seit Decennien wahrlich genug gethan hätte,<lb/> um das Vertrauen des gesammten Volkes zu verdienen, und doch hat er mit<lb/> einer andauernden mißtrauischen Opposition zu thun. Es dürfte einst die Zeit<lb/> kommen, wo man sich nur mit Wehmuth und Scham an die Verblendung unsrer<lb/> undankbaren Tage erinnern wird und an jenes Wahlprogramm mit dem Motto:<lb/> Fort mit Bismarck! Unsere Zeit und auch Bismarck haben eben noch mit<lb/> Oppositionselementen im Volke zu kämpfen, welche, aus der Schuld der Ver¬<lb/> gangenheit hervorgegangen, in unsere Tage herüberreichen.</p><lb/> <p xml:id="ID_296" next="#ID_297"> Als nach der Begeisterung der Freiheitskriege der Tugendbund zwar mit<lb/> nebulosen, aber nicht mit unehrenhaften Zielen, später die Burschenschaft, die<lb/> Turnerschaft und endlich die geheimen politischen Verbindungen entstanden waren,<lb/> begingen die deutschen Regierungen den verhängnißvollen Fehler, durch die Karls¬<lb/> bader Beschlüsse und die Mainzer Centraluntersuchungs-Commission ausgedehnte<lb/> Verfolgungen anzuordnen, wegen „demagogischer Umtriebe" und wegen „Ver¬<lb/> dachts zur Hinneigung an staatsfeindliche Tendenzen." Langjährige Unter¬<lb/> suchungshaft und verhältnißmäßig sehr schwere Strafen waren Jahre hindurch<lb/> das die Bevölkerung aufregende und gegen die Regierung verhetzende Resultat<lb/> dieser unglückseligen „Demagogenriecherei." Weniger noch die Gesetze als die<lb/> harte, rücksichtslose Ausführung derselben, angethan mit allen Chikanen der Klein-<lb/> staatsmiscre, verbitterte durch ganz Deutschland den Sinn des Volkes. Das<lb/> war die Zeit, in welcher das unwürdige Wort des „Rackers von Staat" ent¬<lb/> stand. Die ernsten Leute schüttelten die Köpfe, gesundkräftige Ideologen saßen<lb/> ihre Strafe ab und verließen dann das Vaterland, die Jugend schwärmte in<lb/> Vereinen für Utopien, die Alten hofften auf bessere Zeiten. Die Studenten<lb/> hielten Versammlungen und politische Apvstelreden, ballten die Fäuste und de-<lb/> monstrirten, wie's gemacht werden müsse; die Faselhänse wurden als Märtyrer<lb/> der Freiheit gefeiert; die edeln Naturen wurden verbittert, die unlautern Ele¬<lb/> mente schritten zur Gewaltthat; alle mißtrauten der Regierung und sahen in ihr<lb/> einen Feind. Auch die Folgezeit brachte viel Stoff zu fernerm Mißtrauen;<lb/> gleichviel, ob es mit Recht oder Unrecht dem Staate entgegengebracht wurde, es<lb/> wurde entgegengebracht. Wir mögen hier nicht das Jahr 1848 besprechen, nicht<lb/> den wirthschaftlichen Niedergang jener Zeit, nicht die aus den Verhältnissen<lb/> resultirende Ohnmachtstellung Preußens, nicht den trügerischen Glanz der neuen<lb/> napoleonischen Dynastie, nicht Rußlands noch Englands noch Oesterreichs Ueber-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0115]
Iio destructiven Elemente im Staate.
auch bei ihren Beamten in Respect zu setzen, da bemächtigt sich der Volksseele
das tiefste Mißtrauen gegen den Staat. Jedes einzelne Unrecht, jedes politi¬
sche oder allgemeine Unglück wird dann dem Staate zur Last gelegt, und Mi߬
trauen und Erbitterung erben sich Generationen hindurch fort, selbst wenn die
ursprüngliche Veranlassung längst in Vergessenheit gerathen ist. Man sollte
meinen, daß z. B. Bismarck doch seit Decennien wahrlich genug gethan hätte,
um das Vertrauen des gesammten Volkes zu verdienen, und doch hat er mit
einer andauernden mißtrauischen Opposition zu thun. Es dürfte einst die Zeit
kommen, wo man sich nur mit Wehmuth und Scham an die Verblendung unsrer
undankbaren Tage erinnern wird und an jenes Wahlprogramm mit dem Motto:
Fort mit Bismarck! Unsere Zeit und auch Bismarck haben eben noch mit
Oppositionselementen im Volke zu kämpfen, welche, aus der Schuld der Ver¬
gangenheit hervorgegangen, in unsere Tage herüberreichen.
Als nach der Begeisterung der Freiheitskriege der Tugendbund zwar mit
nebulosen, aber nicht mit unehrenhaften Zielen, später die Burschenschaft, die
Turnerschaft und endlich die geheimen politischen Verbindungen entstanden waren,
begingen die deutschen Regierungen den verhängnißvollen Fehler, durch die Karls¬
bader Beschlüsse und die Mainzer Centraluntersuchungs-Commission ausgedehnte
Verfolgungen anzuordnen, wegen „demagogischer Umtriebe" und wegen „Ver¬
dachts zur Hinneigung an staatsfeindliche Tendenzen." Langjährige Unter¬
suchungshaft und verhältnißmäßig sehr schwere Strafen waren Jahre hindurch
das die Bevölkerung aufregende und gegen die Regierung verhetzende Resultat
dieser unglückseligen „Demagogenriecherei." Weniger noch die Gesetze als die
harte, rücksichtslose Ausführung derselben, angethan mit allen Chikanen der Klein-
staatsmiscre, verbitterte durch ganz Deutschland den Sinn des Volkes. Das
war die Zeit, in welcher das unwürdige Wort des „Rackers von Staat" ent¬
stand. Die ernsten Leute schüttelten die Köpfe, gesundkräftige Ideologen saßen
ihre Strafe ab und verließen dann das Vaterland, die Jugend schwärmte in
Vereinen für Utopien, die Alten hofften auf bessere Zeiten. Die Studenten
hielten Versammlungen und politische Apvstelreden, ballten die Fäuste und de-
monstrirten, wie's gemacht werden müsse; die Faselhänse wurden als Märtyrer
der Freiheit gefeiert; die edeln Naturen wurden verbittert, die unlautern Ele¬
mente schritten zur Gewaltthat; alle mißtrauten der Regierung und sahen in ihr
einen Feind. Auch die Folgezeit brachte viel Stoff zu fernerm Mißtrauen;
gleichviel, ob es mit Recht oder Unrecht dem Staate entgegengebracht wurde, es
wurde entgegengebracht. Wir mögen hier nicht das Jahr 1848 besprechen, nicht
den wirthschaftlichen Niedergang jener Zeit, nicht die aus den Verhältnissen
resultirende Ohnmachtstellung Preußens, nicht den trügerischen Glanz der neuen
napoleonischen Dynastie, nicht Rußlands noch Englands noch Oesterreichs Ueber-
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