Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Großdeutsche Geschichtschreibung.

riß der neunziger Jahre und ihrer nationalen Tragödie einen Schlüssel für die
Gegenwart bieten kann. Ich habe einen Beitrag zur Geschichte dessen geben
wollen, was man ,das Unrechtsrechk genannt hat." Erst "wenn wir unsere
Geschichte wieder verstehen und würdigen lernen" -- d. h. im Sinne Vivenots
und Langwerths von Simmern verstehen lernen -- "dann werden gesunde Zu¬
stände in Deutschland entstehen." Denn vieles ist faul im Staate Dänemark.
Die preußische Hegemonie "ist nicht eine wohlverdiente und auf organischem
Wege entstandene----Das Jahr 1866 hat auf jene Politik wieder zurückge¬
griffen, die uns zum Jahre 1806 geführt und hat auf der Grundlage von 1803
bis 1806 weitergebaut." Das also ist des Pudels Kern. Der Verfasser ist mit
dein gegenwärtigen Reiche unzufrieden. Die Rechtscontinuität wurde bei den
Reformen nie gewahrt. Das Reich, wie es ist, hat ein klein wenig revolutio¬
näres Parfüm an sich.

Es wäre nun also wohl gerathener, den alten Bund wieder herzustellen? --
Nein, der deutsche Bund hat zu wenig auf die Ideen und das Rechtsleben unseres
Reichs Rücksicht genommen. "Dadurch daß der Rheinbund mit einer Schärfe,
der seinen französischen Ursprung verräth, sich vom Reiche lossagte und die
Reichsgesetze in ihrer Gesammtheit für null und nichtig erklärte, entstand ein
unberechenbarer Schaden, der leider nur zu sehr auf den deutsche" Bund zurück¬
gewirkt hat." So bleibt denn für uns nichts anderes übrig als eine entschie¬
dene Umkehr zu dem heiligen römischen Reiche deutscher Nation. "Unsere Zu¬
kunft," sagt der Verfasser, und damit ist es ihm voller Ernst, "wird davon ab¬
hängen, ob wir noch Lebenskraft und Lebensfrische, ob wir noch Tiefe genug
besitzen, um zum zweiten Male da wieder anzuknüpfen, wo der Faden unsrer
Geschichte unter dem Drucke der französischen Eroberer zerriß." Man sieht, der
Verfasser ist kein Mann von halben Maßregeln, er ist radical, und das ist das
einzige, was wir an seiner politischen Meinung loben können, für die er wohl
nur wenige Anhänger finden wird. Anzuerkennen ist auch, daß er schon darüber
nachdenkt, wie es möglich sein wird, den Geist des an Altersschwäche gestorbenen
ehrwürdigen römischen Reiches zu materialisiren. Ohne Oesterreichs Mitwir¬
kung wird diese "fröhliche Urstände" nicht möglich sein, das ist die feste Ueber¬
zeugung des Verfassers. Nur die Modalitäten einer solchen Mitwirkung, meint
er, lassen sich nicht bestimmen.

Sonderbarer Schwärmer, der da glaubt, achtzig arbeitsvolle Jahre im Leben
einer Nation ließen sich ausstreichen wie eine falsche Zahl in einem Rechen¬
exempel, oder der Fluß könne wieder den Weg zurücklaufen, den er gekommen!




Großdeutsche Geschichtschreibung.

riß der neunziger Jahre und ihrer nationalen Tragödie einen Schlüssel für die
Gegenwart bieten kann. Ich habe einen Beitrag zur Geschichte dessen geben
wollen, was man ,das Unrechtsrechk genannt hat." Erst „wenn wir unsere
Geschichte wieder verstehen und würdigen lernen" — d. h. im Sinne Vivenots
und Langwerths von Simmern verstehen lernen — „dann werden gesunde Zu¬
stände in Deutschland entstehen." Denn vieles ist faul im Staate Dänemark.
Die preußische Hegemonie „ist nicht eine wohlverdiente und auf organischem
Wege entstandene----Das Jahr 1866 hat auf jene Politik wieder zurückge¬
griffen, die uns zum Jahre 1806 geführt und hat auf der Grundlage von 1803
bis 1806 weitergebaut." Das also ist des Pudels Kern. Der Verfasser ist mit
dein gegenwärtigen Reiche unzufrieden. Die Rechtscontinuität wurde bei den
Reformen nie gewahrt. Das Reich, wie es ist, hat ein klein wenig revolutio¬
näres Parfüm an sich.

Es wäre nun also wohl gerathener, den alten Bund wieder herzustellen? —
Nein, der deutsche Bund hat zu wenig auf die Ideen und das Rechtsleben unseres
Reichs Rücksicht genommen. „Dadurch daß der Rheinbund mit einer Schärfe,
der seinen französischen Ursprung verräth, sich vom Reiche lossagte und die
Reichsgesetze in ihrer Gesammtheit für null und nichtig erklärte, entstand ein
unberechenbarer Schaden, der leider nur zu sehr auf den deutsche» Bund zurück¬
gewirkt hat." So bleibt denn für uns nichts anderes übrig als eine entschie¬
dene Umkehr zu dem heiligen römischen Reiche deutscher Nation. „Unsere Zu¬
kunft," sagt der Verfasser, und damit ist es ihm voller Ernst, „wird davon ab¬
hängen, ob wir noch Lebenskraft und Lebensfrische, ob wir noch Tiefe genug
besitzen, um zum zweiten Male da wieder anzuknüpfen, wo der Faden unsrer
Geschichte unter dem Drucke der französischen Eroberer zerriß." Man sieht, der
Verfasser ist kein Mann von halben Maßregeln, er ist radical, und das ist das
einzige, was wir an seiner politischen Meinung loben können, für die er wohl
nur wenige Anhänger finden wird. Anzuerkennen ist auch, daß er schon darüber
nachdenkt, wie es möglich sein wird, den Geist des an Altersschwäche gestorbenen
ehrwürdigen römischen Reiches zu materialisiren. Ohne Oesterreichs Mitwir¬
kung wird diese „fröhliche Urstände" nicht möglich sein, das ist die feste Ueber¬
zeugung des Verfassers. Nur die Modalitäten einer solchen Mitwirkung, meint
er, lassen sich nicht bestimmen.

Sonderbarer Schwärmer, der da glaubt, achtzig arbeitsvolle Jahre im Leben
einer Nation ließen sich ausstreichen wie eine falsche Zahl in einem Rechen¬
exempel, oder der Fluß könne wieder den Weg zurücklaufen, den er gekommen!




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0103" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149087"/>
          <fw type="header" place="top"> Großdeutsche Geschichtschreibung.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_264" prev="#ID_263"> riß der neunziger Jahre und ihrer nationalen Tragödie einen Schlüssel für die<lb/>
Gegenwart bieten kann. Ich habe einen Beitrag zur Geschichte dessen geben<lb/>
wollen, was man ,das Unrechtsrechk genannt hat." Erst &#x201E;wenn wir unsere<lb/>
Geschichte wieder verstehen und würdigen lernen" &#x2014; d. h. im Sinne Vivenots<lb/>
und Langwerths von Simmern verstehen lernen &#x2014; &#x201E;dann werden gesunde Zu¬<lb/>
stände in Deutschland entstehen." Denn vieles ist faul im Staate Dänemark.<lb/>
Die preußische Hegemonie &#x201E;ist nicht eine wohlverdiente und auf organischem<lb/>
Wege entstandene----Das Jahr 1866 hat auf jene Politik wieder zurückge¬<lb/>
griffen, die uns zum Jahre 1806 geführt und hat auf der Grundlage von 1803<lb/>
bis 1806 weitergebaut." Das also ist des Pudels Kern. Der Verfasser ist mit<lb/>
dein gegenwärtigen Reiche unzufrieden. Die Rechtscontinuität wurde bei den<lb/>
Reformen nie gewahrt. Das Reich, wie es ist, hat ein klein wenig revolutio¬<lb/>
näres Parfüm an sich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_265"> Es wäre nun also wohl gerathener, den alten Bund wieder herzustellen? &#x2014;<lb/>
Nein, der deutsche Bund hat zu wenig auf die Ideen und das Rechtsleben unseres<lb/>
Reichs Rücksicht genommen. &#x201E;Dadurch daß der Rheinbund mit einer Schärfe,<lb/>
der seinen französischen Ursprung verräth, sich vom Reiche lossagte und die<lb/>
Reichsgesetze in ihrer Gesammtheit für null und nichtig erklärte, entstand ein<lb/>
unberechenbarer Schaden, der leider nur zu sehr auf den deutsche» Bund zurück¬<lb/>
gewirkt hat." So bleibt denn für uns nichts anderes übrig als eine entschie¬<lb/>
dene Umkehr zu dem heiligen römischen Reiche deutscher Nation. &#x201E;Unsere Zu¬<lb/>
kunft," sagt der Verfasser, und damit ist es ihm voller Ernst, &#x201E;wird davon ab¬<lb/>
hängen, ob wir noch Lebenskraft und Lebensfrische, ob wir noch Tiefe genug<lb/>
besitzen, um zum zweiten Male da wieder anzuknüpfen, wo der Faden unsrer<lb/>
Geschichte unter dem Drucke der französischen Eroberer zerriß." Man sieht, der<lb/>
Verfasser ist kein Mann von halben Maßregeln, er ist radical, und das ist das<lb/>
einzige, was wir an seiner politischen Meinung loben können, für die er wohl<lb/>
nur wenige Anhänger finden wird. Anzuerkennen ist auch, daß er schon darüber<lb/>
nachdenkt, wie es möglich sein wird, den Geist des an Altersschwäche gestorbenen<lb/>
ehrwürdigen römischen Reiches zu materialisiren. Ohne Oesterreichs Mitwir¬<lb/>
kung wird diese &#x201E;fröhliche Urstände" nicht möglich sein, das ist die feste Ueber¬<lb/>
zeugung des Verfassers. Nur die Modalitäten einer solchen Mitwirkung, meint<lb/>
er, lassen sich nicht bestimmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_266"> Sonderbarer Schwärmer, der da glaubt, achtzig arbeitsvolle Jahre im Leben<lb/>
einer Nation ließen sich ausstreichen wie eine falsche Zahl in einem Rechen¬<lb/>
exempel, oder der Fluß könne wieder den Weg zurücklaufen, den er gekommen!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0103] Großdeutsche Geschichtschreibung. riß der neunziger Jahre und ihrer nationalen Tragödie einen Schlüssel für die Gegenwart bieten kann. Ich habe einen Beitrag zur Geschichte dessen geben wollen, was man ,das Unrechtsrechk genannt hat." Erst „wenn wir unsere Geschichte wieder verstehen und würdigen lernen" — d. h. im Sinne Vivenots und Langwerths von Simmern verstehen lernen — „dann werden gesunde Zu¬ stände in Deutschland entstehen." Denn vieles ist faul im Staate Dänemark. Die preußische Hegemonie „ist nicht eine wohlverdiente und auf organischem Wege entstandene----Das Jahr 1866 hat auf jene Politik wieder zurückge¬ griffen, die uns zum Jahre 1806 geführt und hat auf der Grundlage von 1803 bis 1806 weitergebaut." Das also ist des Pudels Kern. Der Verfasser ist mit dein gegenwärtigen Reiche unzufrieden. Die Rechtscontinuität wurde bei den Reformen nie gewahrt. Das Reich, wie es ist, hat ein klein wenig revolutio¬ näres Parfüm an sich. Es wäre nun also wohl gerathener, den alten Bund wieder herzustellen? — Nein, der deutsche Bund hat zu wenig auf die Ideen und das Rechtsleben unseres Reichs Rücksicht genommen. „Dadurch daß der Rheinbund mit einer Schärfe, der seinen französischen Ursprung verräth, sich vom Reiche lossagte und die Reichsgesetze in ihrer Gesammtheit für null und nichtig erklärte, entstand ein unberechenbarer Schaden, der leider nur zu sehr auf den deutsche» Bund zurück¬ gewirkt hat." So bleibt denn für uns nichts anderes übrig als eine entschie¬ dene Umkehr zu dem heiligen römischen Reiche deutscher Nation. „Unsere Zu¬ kunft," sagt der Verfasser, und damit ist es ihm voller Ernst, „wird davon ab¬ hängen, ob wir noch Lebenskraft und Lebensfrische, ob wir noch Tiefe genug besitzen, um zum zweiten Male da wieder anzuknüpfen, wo der Faden unsrer Geschichte unter dem Drucke der französischen Eroberer zerriß." Man sieht, der Verfasser ist kein Mann von halben Maßregeln, er ist radical, und das ist das einzige, was wir an seiner politischen Meinung loben können, für die er wohl nur wenige Anhänger finden wird. Anzuerkennen ist auch, daß er schon darüber nachdenkt, wie es möglich sein wird, den Geist des an Altersschwäche gestorbenen ehrwürdigen römischen Reiches zu materialisiren. Ohne Oesterreichs Mitwir¬ kung wird diese „fröhliche Urstände" nicht möglich sein, das ist die feste Ueber¬ zeugung des Verfassers. Nur die Modalitäten einer solchen Mitwirkung, meint er, lassen sich nicht bestimmen. Sonderbarer Schwärmer, der da glaubt, achtzig arbeitsvolle Jahre im Leben einer Nation ließen sich ausstreichen wie eine falsche Zahl in einem Rechen¬ exempel, oder der Fluß könne wieder den Weg zurücklaufen, den er gekommen!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/103
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/103>, abgerufen am 27.12.2024.