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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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meist unbekannte Erscheinungen aufzuklären. So entstand unsere heutige populär¬
wissenschaftliche Literatur, in der so hervorragende Leistungen zu verzeichnen
sind wie die Liebigschen Briefe über Chemie und die Besselschen Vorlesungen
über astronomische und verwandte Gegenstände.

Wenn die Gelehrten sich anfangs scheuten, solche Schriften zu verfassen, es
vornehm ablehnten, so gewöhnte man sich doch allmählich daran und erkannte
bald, daß solche Thätigkeit kein Herabsteigen von der Höhe der Wissenschaft in
sich begreift, daß es vielmehr eine große Kunst ist, dasjenige, was man mit
leichter Mühe dem Fachgenossen mitzutheilen verstand, der großen Menge leicht
faßlich vorzutragen und zum Eigenthume derselben zu machen. Der Irrthum,
daß man zur Abfassung einer guten populären Schrift keine tiefern Studien
angestellt zu haben brauche, tritt jetzt nur noch vereinzelt auf.

Vor uns liegt die Schrift eines jungen, talentvollen Gelehrten über die
Lebensversicherung*), welche sich zwar nicht im Titel als eine für das gebildete
Publieum geschriebene Schrift einführt, aber doch vorzugsweise und mehr für
das gebildete Publieum als für Fachleute geschrieben worden ist. Sie gehört
zu den besten volksthümlichen Schriften und ist aus zwei Gründen sehr beach-
tenswerth: einmal, weil es eine tüchtige, ans eingehenden Studien entsprungene
Leistung ist, dann aber, weil der darin behandelte volkswirtschaftliche Gegen¬
stand leider uoch zu denen gehört, die trotz ihrer mächtigen Bedeutung für das
Leben der Culturvölker doch noch nicht genug bekannt sind und daher eine ge¬
diegene und sachliche Behandlung in hohem Grade verdienen. Denn welchem
Fachmanne sollte entgangen sein, daß selbst hochgebildete und gelehrte Männer
die sonderbarsten Ansichten über die Versicherung im allgemeinen, ganz beson¬
ders aber über die Lebensversicherung besitzen?

In einer sehr beachtenswerthen Einleitung weist Elster auf die Theilnahm-
losigkeit hin, welche die meisten nationalökonomischen Schriftsteller der Versiche¬
rung gegenüber an den Tag legen, und widerlegt einige weit verbreitete aber
irrige Ansichten über dieselbe, wie die, daß man sie häufig als ein bloßes Han¬
delsgeschäft oder als ein Glücksspiel betrachtet hat. Elster zeigt, daß diese An¬
schauungen theilweise durch die Stellung veranlaßt worden sind, welche man
der Versicherung im Rechtssystem eingeräumt, mehr wohl noch durch die Un¬
sicherheit, welche bei dieser Einräumung geherrscht hat. Es giebt gegenwärtig
keine Stelle in unserm Rechtssystem, an welche man die Versicherung hinbringen
könnte. Aber auch noch andere Ursachen haben zu diesen falschen Ansichten



*) Die Lebensversicherung in Deutschland, ihre gesetzliche Regelung u, s, w.
vou Dr, Ludwig Elster, Docent der Staatswissenschaften an der Universität Halle. Jena,
Gustav Fischers Verlag, 18L0.

meist unbekannte Erscheinungen aufzuklären. So entstand unsere heutige populär¬
wissenschaftliche Literatur, in der so hervorragende Leistungen zu verzeichnen
sind wie die Liebigschen Briefe über Chemie und die Besselschen Vorlesungen
über astronomische und verwandte Gegenstände.

Wenn die Gelehrten sich anfangs scheuten, solche Schriften zu verfassen, es
vornehm ablehnten, so gewöhnte man sich doch allmählich daran und erkannte
bald, daß solche Thätigkeit kein Herabsteigen von der Höhe der Wissenschaft in
sich begreift, daß es vielmehr eine große Kunst ist, dasjenige, was man mit
leichter Mühe dem Fachgenossen mitzutheilen verstand, der großen Menge leicht
faßlich vorzutragen und zum Eigenthume derselben zu machen. Der Irrthum,
daß man zur Abfassung einer guten populären Schrift keine tiefern Studien
angestellt zu haben brauche, tritt jetzt nur noch vereinzelt auf.

Vor uns liegt die Schrift eines jungen, talentvollen Gelehrten über die
Lebensversicherung*), welche sich zwar nicht im Titel als eine für das gebildete
Publieum geschriebene Schrift einführt, aber doch vorzugsweise und mehr für
das gebildete Publieum als für Fachleute geschrieben worden ist. Sie gehört
zu den besten volksthümlichen Schriften und ist aus zwei Gründen sehr beach-
tenswerth: einmal, weil es eine tüchtige, ans eingehenden Studien entsprungene
Leistung ist, dann aber, weil der darin behandelte volkswirtschaftliche Gegen¬
stand leider uoch zu denen gehört, die trotz ihrer mächtigen Bedeutung für das
Leben der Culturvölker doch noch nicht genug bekannt sind und daher eine ge¬
diegene und sachliche Behandlung in hohem Grade verdienen. Denn welchem
Fachmanne sollte entgangen sein, daß selbst hochgebildete und gelehrte Männer
die sonderbarsten Ansichten über die Versicherung im allgemeinen, ganz beson¬
ders aber über die Lebensversicherung besitzen?

In einer sehr beachtenswerthen Einleitung weist Elster auf die Theilnahm-
losigkeit hin, welche die meisten nationalökonomischen Schriftsteller der Versiche¬
rung gegenüber an den Tag legen, und widerlegt einige weit verbreitete aber
irrige Ansichten über dieselbe, wie die, daß man sie häufig als ein bloßes Han¬
delsgeschäft oder als ein Glücksspiel betrachtet hat. Elster zeigt, daß diese An¬
schauungen theilweise durch die Stellung veranlaßt worden sind, welche man
der Versicherung im Rechtssystem eingeräumt, mehr wohl noch durch die Un¬
sicherheit, welche bei dieser Einräumung geherrscht hat. Es giebt gegenwärtig
keine Stelle in unserm Rechtssystem, an welche man die Versicherung hinbringen
könnte. Aber auch noch andere Ursachen haben zu diesen falschen Ansichten



*) Die Lebensversicherung in Deutschland, ihre gesetzliche Regelung u, s, w.
vou Dr, Ludwig Elster, Docent der Staatswissenschaften an der Universität Halle. Jena,
Gustav Fischers Verlag, 18L0.
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[0494] meist unbekannte Erscheinungen aufzuklären. So entstand unsere heutige populär¬ wissenschaftliche Literatur, in der so hervorragende Leistungen zu verzeichnen sind wie die Liebigschen Briefe über Chemie und die Besselschen Vorlesungen über astronomische und verwandte Gegenstände. Wenn die Gelehrten sich anfangs scheuten, solche Schriften zu verfassen, es vornehm ablehnten, so gewöhnte man sich doch allmählich daran und erkannte bald, daß solche Thätigkeit kein Herabsteigen von der Höhe der Wissenschaft in sich begreift, daß es vielmehr eine große Kunst ist, dasjenige, was man mit leichter Mühe dem Fachgenossen mitzutheilen verstand, der großen Menge leicht faßlich vorzutragen und zum Eigenthume derselben zu machen. Der Irrthum, daß man zur Abfassung einer guten populären Schrift keine tiefern Studien angestellt zu haben brauche, tritt jetzt nur noch vereinzelt auf. Vor uns liegt die Schrift eines jungen, talentvollen Gelehrten über die Lebensversicherung*), welche sich zwar nicht im Titel als eine für das gebildete Publieum geschriebene Schrift einführt, aber doch vorzugsweise und mehr für das gebildete Publieum als für Fachleute geschrieben worden ist. Sie gehört zu den besten volksthümlichen Schriften und ist aus zwei Gründen sehr beach- tenswerth: einmal, weil es eine tüchtige, ans eingehenden Studien entsprungene Leistung ist, dann aber, weil der darin behandelte volkswirtschaftliche Gegen¬ stand leider uoch zu denen gehört, die trotz ihrer mächtigen Bedeutung für das Leben der Culturvölker doch noch nicht genug bekannt sind und daher eine ge¬ diegene und sachliche Behandlung in hohem Grade verdienen. Denn welchem Fachmanne sollte entgangen sein, daß selbst hochgebildete und gelehrte Männer die sonderbarsten Ansichten über die Versicherung im allgemeinen, ganz beson¬ ders aber über die Lebensversicherung besitzen? In einer sehr beachtenswerthen Einleitung weist Elster auf die Theilnahm- losigkeit hin, welche die meisten nationalökonomischen Schriftsteller der Versiche¬ rung gegenüber an den Tag legen, und widerlegt einige weit verbreitete aber irrige Ansichten über dieselbe, wie die, daß man sie häufig als ein bloßes Han¬ delsgeschäft oder als ein Glücksspiel betrachtet hat. Elster zeigt, daß diese An¬ schauungen theilweise durch die Stellung veranlaßt worden sind, welche man der Versicherung im Rechtssystem eingeräumt, mehr wohl noch durch die Un¬ sicherheit, welche bei dieser Einräumung geherrscht hat. Es giebt gegenwärtig keine Stelle in unserm Rechtssystem, an welche man die Versicherung hinbringen könnte. Aber auch noch andere Ursachen haben zu diesen falschen Ansichten *) Die Lebensversicherung in Deutschland, ihre gesetzliche Regelung u, s, w. vou Dr, Ludwig Elster, Docent der Staatswissenschaften an der Universität Halle. Jena, Gustav Fischers Verlag, 18L0.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/494>, abgerufen am 28.12.2024.