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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Auch die Abneigung vor der Verbindung mit einer solchen "Schwester" zu einer
staatsrechtlichen Familie wird bei solchen Erinnerungen sehr begreiflich, wenn
auch nur vom Standpunkte des Gefühls, nicht von dem der politischen Betrach¬
tung aus; denn ein selbständiges Irland wäre aus hundert Gründen, die sich
schwer oder gar nicht beseitigen lassen, weil sie in der Denkart und Sitte des
Volkes liegen, der sichere Ruin seiner Bewohner.

Auf diese Gründe einzugehen, ist hier nicht unsere Absicht. Wir wollen im
folgenden nur an der Hand des vortrefflichen Buches von Lecky*) einen Rück¬
blick auf die fast beispiellose Behandlung werfen, die Irland von den Tagen
Elisabeths an bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts durch die Gesetzgebung
und Regierung Englands erfahren hat. Wir halten dies für um so nothwen¬
diger und nützlicher, als dieser Theil der britischen Geschichte von den englischen
Historikern meist oberflächlich behandelt und (unter andern auch von Macaulay)
durch Vorurtheil und Entstellung verdunkelt worden ist, und wir hier einen
durchweg gründlichen und unparteiischen Schriftsteller vor uns haben.

Irland war unter den Plantagenets von England erobert worden, weil
kein eingeborner Chlodwig die ganze Insel unter seine Botmäßigkeit zu bringen
und damit stark gegen Invasionen zu machen vermocht hatte. Aber die Erobe¬
rung war und blieb Jahrhunderte hindurch keine vollständige. Das fremde
normannisch-sächsische Element, das mit ihr ins Land gekommen, wurde bald von
dem keltischen rings umschlossen, die neuen Ansiedler zerstreuten sich, vermischten
sich mit den Eingebornen, nahmen deren Gesetze und Sitten an und wurden
großentheils in wenigen Jahrzehnten "irischer als die Iren." Aber die Regie¬
rung gab gegen die letztern harte Gesetze, und die, welche jener Anziehung wider¬
standen, und welche den Kern der englischen Macht bildeten, blickten auf die
Unterworfenen wie die Colonisten Amerikas auf die Rothhäute, d. h. ungefähr
wie auf wilde Thiere, gegen die es keine moralischen Verpflichtungen gab. Es
war offenbar, daß die, welche Irland im Namen der englischen Krone regierten,
eine bleibende Scheidung zwischen Iren und Engländern herzustellen wünschten,
wobei sie hofften, daß die letztern die erstem allmählich ausrotten würden. Der
legale Grundsatz, daß die Tödtung eines Iren durch einen Engländer kein
Capitalverbrechen sei, sieht allerdings weniger schrecklich ans, wenn man ihn
neben das alte irische Recht hält, unter welchem die meisten Eingebornen fort¬
lebten, und welches einen Mord nnr mit Geldbuße ahndete. Aber wenn eng¬
lische Mönche erklärten, daß die Ermordung eines Iren der eines Hundes gleich



*) Geschichte Englands im achtzehnten Jahrhundert von William
Edward Hartpole Lenkt). Uebersicht von Ferdinand Löwe. Zweiter Band. Leipzig
und Heidelberg, C. F. Wintersche Verlagshandlung, 1880. Vgl. Capitel 6 und 7, Seite 97
bis 472.

Auch die Abneigung vor der Verbindung mit einer solchen „Schwester" zu einer
staatsrechtlichen Familie wird bei solchen Erinnerungen sehr begreiflich, wenn
auch nur vom Standpunkte des Gefühls, nicht von dem der politischen Betrach¬
tung aus; denn ein selbständiges Irland wäre aus hundert Gründen, die sich
schwer oder gar nicht beseitigen lassen, weil sie in der Denkart und Sitte des
Volkes liegen, der sichere Ruin seiner Bewohner.

Auf diese Gründe einzugehen, ist hier nicht unsere Absicht. Wir wollen im
folgenden nur an der Hand des vortrefflichen Buches von Lecky*) einen Rück¬
blick auf die fast beispiellose Behandlung werfen, die Irland von den Tagen
Elisabeths an bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts durch die Gesetzgebung
und Regierung Englands erfahren hat. Wir halten dies für um so nothwen¬
diger und nützlicher, als dieser Theil der britischen Geschichte von den englischen
Historikern meist oberflächlich behandelt und (unter andern auch von Macaulay)
durch Vorurtheil und Entstellung verdunkelt worden ist, und wir hier einen
durchweg gründlichen und unparteiischen Schriftsteller vor uns haben.

Irland war unter den Plantagenets von England erobert worden, weil
kein eingeborner Chlodwig die ganze Insel unter seine Botmäßigkeit zu bringen
und damit stark gegen Invasionen zu machen vermocht hatte. Aber die Erobe¬
rung war und blieb Jahrhunderte hindurch keine vollständige. Das fremde
normannisch-sächsische Element, das mit ihr ins Land gekommen, wurde bald von
dem keltischen rings umschlossen, die neuen Ansiedler zerstreuten sich, vermischten
sich mit den Eingebornen, nahmen deren Gesetze und Sitten an und wurden
großentheils in wenigen Jahrzehnten „irischer als die Iren." Aber die Regie¬
rung gab gegen die letztern harte Gesetze, und die, welche jener Anziehung wider¬
standen, und welche den Kern der englischen Macht bildeten, blickten auf die
Unterworfenen wie die Colonisten Amerikas auf die Rothhäute, d. h. ungefähr
wie auf wilde Thiere, gegen die es keine moralischen Verpflichtungen gab. Es
war offenbar, daß die, welche Irland im Namen der englischen Krone regierten,
eine bleibende Scheidung zwischen Iren und Engländern herzustellen wünschten,
wobei sie hofften, daß die letztern die erstem allmählich ausrotten würden. Der
legale Grundsatz, daß die Tödtung eines Iren durch einen Engländer kein
Capitalverbrechen sei, sieht allerdings weniger schrecklich ans, wenn man ihn
neben das alte irische Recht hält, unter welchem die meisten Eingebornen fort¬
lebten, und welches einen Mord nnr mit Geldbuße ahndete. Aber wenn eng¬
lische Mönche erklärten, daß die Ermordung eines Iren der eines Hundes gleich



*) Geschichte Englands im achtzehnten Jahrhundert von William
Edward Hartpole Lenkt). Uebersicht von Ferdinand Löwe. Zweiter Band. Leipzig
und Heidelberg, C. F. Wintersche Verlagshandlung, 1880. Vgl. Capitel 6 und 7, Seite 97
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/482>, abgerufen am 29.12.2024.