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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Stellung eines Globus und einer projicierten Karte, einen Ueberschlag über die
anzunehmende Längen- und Breitenausdehnung der Oekumene nach Reisemaßen
und endlich eine sehr ungleichmäßige Ausschmückung einer Anzahl von Parallelen
aus der Tabelle Hipparchs mit Eratosthenischen und Hipparchischen Notizen.
In der Zonenlehre geht er bemerkenswerther Weise auf die alte Ansicht von der
Unbewohnbarkeit der äußern Zonen zurück, über seine Haltung in der Okeanos-
frage ist bereits gesprochen. Die Gestaltung der Oekumene entlehnt er dem
Eratosthenes, nur im Nordwesten weicht er ab und beschreibt an Stelle der
nach Pytheas, den er wie Polybius verurtheilt, entworfenen Küsten jene flache
Bogenlinie von den Pyrenäen bis zur Mündung des kaspischen Meeres. Bei
Strabo endet unsere Kenntniß von dem Verlaufe dieser seit Polybius einge¬
schlagenen Richtung der Erdkunde. Die mathematische Geographie fand, wie
wir wissen, noch lange nach Strabo ihren abschließenden Bearbeiter. Was aber
nach Strabo und neben und nach dem merkwürdig vereinzelten Ptolemäus von
geographischer Literatur der Griechen existiert, gehört nicht mehr in die Geschichte
der Entwicklung der wissenschaftlichen griechischen Geographie, denn ohne jeden
Versuch weiterer selbständiger Arbeit begnügen sich die zahlreichen Vertreter
dieser letzten Periode ausnahmslos mit Reproductionen aus den Arbeiten der
frühern Perioden, die uns in Auszügen, Bearbeitungen und Zusammenstellungen
der verschiedensten Art vorliegen.




Die Geschichte von den Abderiten.

Unter den Colonien des alten Griechenlands ist wohl keine so oft genannt
worden wie Abdera. Diesen Ruf dankte es dem hochfahrenden, eiteln und dabei
doch so beschränkten und störrischen Sinne der durch Besitz und Stellung mäch¬
tigsten unter seinen Bürgern. Und dieser Ruf hat mit den Jahrhunderten zu¬
genommen: der Name Abdera ist typisch geworden in der ganzen Welt, und
aller Orten bezeichnet man noch heute damit eine Stadt, deren Bewohner sich
durch Einfalt und unverständige Handlungen ganz besonders lächerlich gemacht
haben. Mitunter will es uns aber auch bedünken, als ob das Abderitenthum
mit den Jahrhunderten zugenommen habe: die Ausbreitung desselben ist die ge¬
schichtliche Grundlage für die universale Bedeutung Abderas. Und wie es für
den denkenden Menschen wenig Neues giebt und der Geschichtsforscher, je tiefer
er forscht, desto mehr die Ueberzeugung gewinnt, daß alles sich im Leben wieder-


Stellung eines Globus und einer projicierten Karte, einen Ueberschlag über die
anzunehmende Längen- und Breitenausdehnung der Oekumene nach Reisemaßen
und endlich eine sehr ungleichmäßige Ausschmückung einer Anzahl von Parallelen
aus der Tabelle Hipparchs mit Eratosthenischen und Hipparchischen Notizen.
In der Zonenlehre geht er bemerkenswerther Weise auf die alte Ansicht von der
Unbewohnbarkeit der äußern Zonen zurück, über seine Haltung in der Okeanos-
frage ist bereits gesprochen. Die Gestaltung der Oekumene entlehnt er dem
Eratosthenes, nur im Nordwesten weicht er ab und beschreibt an Stelle der
nach Pytheas, den er wie Polybius verurtheilt, entworfenen Küsten jene flache
Bogenlinie von den Pyrenäen bis zur Mündung des kaspischen Meeres. Bei
Strabo endet unsere Kenntniß von dem Verlaufe dieser seit Polybius einge¬
schlagenen Richtung der Erdkunde. Die mathematische Geographie fand, wie
wir wissen, noch lange nach Strabo ihren abschließenden Bearbeiter. Was aber
nach Strabo und neben und nach dem merkwürdig vereinzelten Ptolemäus von
geographischer Literatur der Griechen existiert, gehört nicht mehr in die Geschichte
der Entwicklung der wissenschaftlichen griechischen Geographie, denn ohne jeden
Versuch weiterer selbständiger Arbeit begnügen sich die zahlreichen Vertreter
dieser letzten Periode ausnahmslos mit Reproductionen aus den Arbeiten der
frühern Perioden, die uns in Auszügen, Bearbeitungen und Zusammenstellungen
der verschiedensten Art vorliegen.




Die Geschichte von den Abderiten.

Unter den Colonien des alten Griechenlands ist wohl keine so oft genannt
worden wie Abdera. Diesen Ruf dankte es dem hochfahrenden, eiteln und dabei
doch so beschränkten und störrischen Sinne der durch Besitz und Stellung mäch¬
tigsten unter seinen Bürgern. Und dieser Ruf hat mit den Jahrhunderten zu¬
genommen: der Name Abdera ist typisch geworden in der ganzen Welt, und
aller Orten bezeichnet man noch heute damit eine Stadt, deren Bewohner sich
durch Einfalt und unverständige Handlungen ganz besonders lächerlich gemacht
haben. Mitunter will es uns aber auch bedünken, als ob das Abderitenthum
mit den Jahrhunderten zugenommen habe: die Ausbreitung desselben ist die ge¬
schichtliche Grundlage für die universale Bedeutung Abderas. Und wie es für
den denkenden Menschen wenig Neues giebt und der Geschichtsforscher, je tiefer
er forscht, desto mehr die Ueberzeugung gewinnt, daß alles sich im Leben wieder-


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[0466] Stellung eines Globus und einer projicierten Karte, einen Ueberschlag über die anzunehmende Längen- und Breitenausdehnung der Oekumene nach Reisemaßen und endlich eine sehr ungleichmäßige Ausschmückung einer Anzahl von Parallelen aus der Tabelle Hipparchs mit Eratosthenischen und Hipparchischen Notizen. In der Zonenlehre geht er bemerkenswerther Weise auf die alte Ansicht von der Unbewohnbarkeit der äußern Zonen zurück, über seine Haltung in der Okeanos- frage ist bereits gesprochen. Die Gestaltung der Oekumene entlehnt er dem Eratosthenes, nur im Nordwesten weicht er ab und beschreibt an Stelle der nach Pytheas, den er wie Polybius verurtheilt, entworfenen Küsten jene flache Bogenlinie von den Pyrenäen bis zur Mündung des kaspischen Meeres. Bei Strabo endet unsere Kenntniß von dem Verlaufe dieser seit Polybius einge¬ schlagenen Richtung der Erdkunde. Die mathematische Geographie fand, wie wir wissen, noch lange nach Strabo ihren abschließenden Bearbeiter. Was aber nach Strabo und neben und nach dem merkwürdig vereinzelten Ptolemäus von geographischer Literatur der Griechen existiert, gehört nicht mehr in die Geschichte der Entwicklung der wissenschaftlichen griechischen Geographie, denn ohne jeden Versuch weiterer selbständiger Arbeit begnügen sich die zahlreichen Vertreter dieser letzten Periode ausnahmslos mit Reproductionen aus den Arbeiten der frühern Perioden, die uns in Auszügen, Bearbeitungen und Zusammenstellungen der verschiedensten Art vorliegen. Die Geschichte von den Abderiten. Unter den Colonien des alten Griechenlands ist wohl keine so oft genannt worden wie Abdera. Diesen Ruf dankte es dem hochfahrenden, eiteln und dabei doch so beschränkten und störrischen Sinne der durch Besitz und Stellung mäch¬ tigsten unter seinen Bürgern. Und dieser Ruf hat mit den Jahrhunderten zu¬ genommen: der Name Abdera ist typisch geworden in der ganzen Welt, und aller Orten bezeichnet man noch heute damit eine Stadt, deren Bewohner sich durch Einfalt und unverständige Handlungen ganz besonders lächerlich gemacht haben. Mitunter will es uns aber auch bedünken, als ob das Abderitenthum mit den Jahrhunderten zugenommen habe: die Ausbreitung desselben ist die ge¬ schichtliche Grundlage für die universale Bedeutung Abderas. Und wie es für den denkenden Menschen wenig Neues giebt und der Geschichtsforscher, je tiefer er forscht, desto mehr die Ueberzeugung gewinnt, daß alles sich im Leben wieder-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/466>, abgerufen am 29.12.2024.