Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Auftreten Hipparchs äußerte seine Wirkung in verschiedener Weise auf
Zeitgenossen und Nachfolger. Ein Theil hielt an der mathematischen Geogra¬
phie fest und leistete derselben nach Maßgabe der Möglichkeit und des Bedürf¬
nisses seine Dienste, ein größerer Theil wandte ihr den Rücken. Alls dem erstern
Wege finden wir zunächst Posidonius, der um den Anfang des ersten Jahr¬
hunderts v. Chr. blühte. Er benutzte den Hipparch, schrieb aber, vielleicht mit
Rücksicht auf dessen Forderungen, keine Geographie, sondern legte nur geogra¬
phische Arbeiten in einem Buche über den Ocean, in seiner Physik, seiner Meteoro¬
logie und seinen umfangreichen historischen Werken nieder. Er eifert gegen die
im Rückschritte wieder angenommene Benutzung des wandelbaren arktischen Kreises
als Zonentheiler und leitet den Polarkreis, der die gemäßigte Zone abschließen
soll, bestimmt von der Bewegung der Achse der Ekliptik ab. Er faßte die schon
vorhandenen Lehren über die Gezeiten, insbesondere über das Verhältniß ihrer
täglichen, monatlichen und jährlichen Schwankungen zum Stande des Mondes
und der Sonne, systematisch zusammen, wohl in Anlehnung an den auch von
Hipparch benutzten Seleukus von Babylon. In Sachen der Okecmosfrage trat
er auf die Seite des Eratosthenes und sammelte alte und neue Belege für die
Umschiffbarkeit der Oekumene, worunter die Geschichte des Eudoxus von Kyzikos,
eines Mannes, der noch zu seinen Lebzeiten mit unglaublicher Energie Hab und
Gut und Leben dem Versuche der Umsegelung Afrikas geweiht hatte, besondres
Interesse erweckt. Zwischen die gemäßigte Zone und die Aequatorialzone, deren
Bewohnbarkeit seit der Zeit des Polybius und Panütius keinem Zweifel mehr
unterlag, legte er eine besondere Zone der Region des Wendekreises, die unter
dem Einflüsse eines langen Zenithstcmdes der Sonne besondere Merkmale der
Vertrocknung in Beschaffenheit des Bodens, der Pflanzen, der Thiere und Men¬
schen auswies. In Verfolgung dieser Annahme machte er darauf aufmerksam,
daß man statt andrer Theilnngsarten die Oekumene durch Parallelen einfach
in Klimate theilen könne, soll aber den Gedanken zurückgezogen und sich für die
Theilung in die drei Erdtheile entschieden haben, da er einsah, daß die gleiche
Production innerhalb derselben Klimate sich nicht bewahrheite, wie die Ver¬
schiedenheit der Inder von den Aethiopen zeige. Die ihm zugeschriebene Erd¬
messung scheint wirklich nur als ein von ihm vorgelegtes Beispiel zur Verdeut¬
lichung des Verfahrens betrachtet werden zu müssen. Das Verhältniß des zu
bestimmenden Bogens zum ganzen Meridian wurde danach abgenommen von
der Verschiedenheit der Culminationshöhe des Sternes Kanopus über den Hori¬
zont von Rhodus und von Alexandria, eine Beobachtung, die sehr an gewisse
Angaben über die Sternwarten des Eudoxus in Knidos und Heliopolis erinnert.
In Rhodus ging der Stern gleich nach seinein Erscheinen wieder unter, in
Alexandria erhob er sich den vierten Theil eines Zeichens d. i. 7'/s", also


Das Auftreten Hipparchs äußerte seine Wirkung in verschiedener Weise auf
Zeitgenossen und Nachfolger. Ein Theil hielt an der mathematischen Geogra¬
phie fest und leistete derselben nach Maßgabe der Möglichkeit und des Bedürf¬
nisses seine Dienste, ein größerer Theil wandte ihr den Rücken. Alls dem erstern
Wege finden wir zunächst Posidonius, der um den Anfang des ersten Jahr¬
hunderts v. Chr. blühte. Er benutzte den Hipparch, schrieb aber, vielleicht mit
Rücksicht auf dessen Forderungen, keine Geographie, sondern legte nur geogra¬
phische Arbeiten in einem Buche über den Ocean, in seiner Physik, seiner Meteoro¬
logie und seinen umfangreichen historischen Werken nieder. Er eifert gegen die
im Rückschritte wieder angenommene Benutzung des wandelbaren arktischen Kreises
als Zonentheiler und leitet den Polarkreis, der die gemäßigte Zone abschließen
soll, bestimmt von der Bewegung der Achse der Ekliptik ab. Er faßte die schon
vorhandenen Lehren über die Gezeiten, insbesondere über das Verhältniß ihrer
täglichen, monatlichen und jährlichen Schwankungen zum Stande des Mondes
und der Sonne, systematisch zusammen, wohl in Anlehnung an den auch von
Hipparch benutzten Seleukus von Babylon. In Sachen der Okecmosfrage trat
er auf die Seite des Eratosthenes und sammelte alte und neue Belege für die
Umschiffbarkeit der Oekumene, worunter die Geschichte des Eudoxus von Kyzikos,
eines Mannes, der noch zu seinen Lebzeiten mit unglaublicher Energie Hab und
Gut und Leben dem Versuche der Umsegelung Afrikas geweiht hatte, besondres
Interesse erweckt. Zwischen die gemäßigte Zone und die Aequatorialzone, deren
Bewohnbarkeit seit der Zeit des Polybius und Panütius keinem Zweifel mehr
unterlag, legte er eine besondere Zone der Region des Wendekreises, die unter
dem Einflüsse eines langen Zenithstcmdes der Sonne besondere Merkmale der
Vertrocknung in Beschaffenheit des Bodens, der Pflanzen, der Thiere und Men¬
schen auswies. In Verfolgung dieser Annahme machte er darauf aufmerksam,
daß man statt andrer Theilnngsarten die Oekumene durch Parallelen einfach
in Klimate theilen könne, soll aber den Gedanken zurückgezogen und sich für die
Theilung in die drei Erdtheile entschieden haben, da er einsah, daß die gleiche
Production innerhalb derselben Klimate sich nicht bewahrheite, wie die Ver¬
schiedenheit der Inder von den Aethiopen zeige. Die ihm zugeschriebene Erd¬
messung scheint wirklich nur als ein von ihm vorgelegtes Beispiel zur Verdeut¬
lichung des Verfahrens betrachtet werden zu müssen. Das Verhältniß des zu
bestimmenden Bogens zum ganzen Meridian wurde danach abgenommen von
der Verschiedenheit der Culminationshöhe des Sternes Kanopus über den Hori¬
zont von Rhodus und von Alexandria, eine Beobachtung, die sehr an gewisse
Angaben über die Sternwarten des Eudoxus in Knidos und Heliopolis erinnert.
In Rhodus ging der Stern gleich nach seinein Erscheinen wieder unter, in
Alexandria erhob er sich den vierten Theil eines Zeichens d. i. 7'/s", also


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0460" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/148107"/>
          <p xml:id="ID_1213" next="#ID_1214"> Das Auftreten Hipparchs äußerte seine Wirkung in verschiedener Weise auf<lb/>
Zeitgenossen und Nachfolger. Ein Theil hielt an der mathematischen Geogra¬<lb/>
phie fest und leistete derselben nach Maßgabe der Möglichkeit und des Bedürf¬<lb/>
nisses seine Dienste, ein größerer Theil wandte ihr den Rücken. Alls dem erstern<lb/>
Wege finden wir zunächst Posidonius, der um den Anfang des ersten Jahr¬<lb/>
hunderts v. Chr. blühte. Er benutzte den Hipparch, schrieb aber, vielleicht mit<lb/>
Rücksicht auf dessen Forderungen, keine Geographie, sondern legte nur geogra¬<lb/>
phische Arbeiten in einem Buche über den Ocean, in seiner Physik, seiner Meteoro¬<lb/>
logie und seinen umfangreichen historischen Werken nieder. Er eifert gegen die<lb/>
im Rückschritte wieder angenommene Benutzung des wandelbaren arktischen Kreises<lb/>
als Zonentheiler und leitet den Polarkreis, der die gemäßigte Zone abschließen<lb/>
soll, bestimmt von der Bewegung der Achse der Ekliptik ab. Er faßte die schon<lb/>
vorhandenen Lehren über die Gezeiten, insbesondere über das Verhältniß ihrer<lb/>
täglichen, monatlichen und jährlichen Schwankungen zum Stande des Mondes<lb/>
und der Sonne, systematisch zusammen, wohl in Anlehnung an den auch von<lb/>
Hipparch benutzten Seleukus von Babylon. In Sachen der Okecmosfrage trat<lb/>
er auf die Seite des Eratosthenes und sammelte alte und neue Belege für die<lb/>
Umschiffbarkeit der Oekumene, worunter die Geschichte des Eudoxus von Kyzikos,<lb/>
eines Mannes, der noch zu seinen Lebzeiten mit unglaublicher Energie Hab und<lb/>
Gut und Leben dem Versuche der Umsegelung Afrikas geweiht hatte, besondres<lb/>
Interesse erweckt. Zwischen die gemäßigte Zone und die Aequatorialzone, deren<lb/>
Bewohnbarkeit seit der Zeit des Polybius und Panütius keinem Zweifel mehr<lb/>
unterlag, legte er eine besondere Zone der Region des Wendekreises, die unter<lb/>
dem Einflüsse eines langen Zenithstcmdes der Sonne besondere Merkmale der<lb/>
Vertrocknung in Beschaffenheit des Bodens, der Pflanzen, der Thiere und Men¬<lb/>
schen auswies. In Verfolgung dieser Annahme machte er darauf aufmerksam,<lb/>
daß man statt andrer Theilnngsarten die Oekumene durch Parallelen einfach<lb/>
in Klimate theilen könne, soll aber den Gedanken zurückgezogen und sich für die<lb/>
Theilung in die drei Erdtheile entschieden haben, da er einsah, daß die gleiche<lb/>
Production innerhalb derselben Klimate sich nicht bewahrheite, wie die Ver¬<lb/>
schiedenheit der Inder von den Aethiopen zeige. Die ihm zugeschriebene Erd¬<lb/>
messung scheint wirklich nur als ein von ihm vorgelegtes Beispiel zur Verdeut¬<lb/>
lichung des Verfahrens betrachtet werden zu müssen. Das Verhältniß des zu<lb/>
bestimmenden Bogens zum ganzen Meridian wurde danach abgenommen von<lb/>
der Verschiedenheit der Culminationshöhe des Sternes Kanopus über den Hori¬<lb/>
zont von Rhodus und von Alexandria, eine Beobachtung, die sehr an gewisse<lb/>
Angaben über die Sternwarten des Eudoxus in Knidos und Heliopolis erinnert.<lb/>
In Rhodus ging der Stern gleich nach seinein Erscheinen wieder unter, in<lb/>
Alexandria erhob er sich den vierten Theil eines Zeichens d. i. 7'/s", also</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0460] Das Auftreten Hipparchs äußerte seine Wirkung in verschiedener Weise auf Zeitgenossen und Nachfolger. Ein Theil hielt an der mathematischen Geogra¬ phie fest und leistete derselben nach Maßgabe der Möglichkeit und des Bedürf¬ nisses seine Dienste, ein größerer Theil wandte ihr den Rücken. Alls dem erstern Wege finden wir zunächst Posidonius, der um den Anfang des ersten Jahr¬ hunderts v. Chr. blühte. Er benutzte den Hipparch, schrieb aber, vielleicht mit Rücksicht auf dessen Forderungen, keine Geographie, sondern legte nur geogra¬ phische Arbeiten in einem Buche über den Ocean, in seiner Physik, seiner Meteoro¬ logie und seinen umfangreichen historischen Werken nieder. Er eifert gegen die im Rückschritte wieder angenommene Benutzung des wandelbaren arktischen Kreises als Zonentheiler und leitet den Polarkreis, der die gemäßigte Zone abschließen soll, bestimmt von der Bewegung der Achse der Ekliptik ab. Er faßte die schon vorhandenen Lehren über die Gezeiten, insbesondere über das Verhältniß ihrer täglichen, monatlichen und jährlichen Schwankungen zum Stande des Mondes und der Sonne, systematisch zusammen, wohl in Anlehnung an den auch von Hipparch benutzten Seleukus von Babylon. In Sachen der Okecmosfrage trat er auf die Seite des Eratosthenes und sammelte alte und neue Belege für die Umschiffbarkeit der Oekumene, worunter die Geschichte des Eudoxus von Kyzikos, eines Mannes, der noch zu seinen Lebzeiten mit unglaublicher Energie Hab und Gut und Leben dem Versuche der Umsegelung Afrikas geweiht hatte, besondres Interesse erweckt. Zwischen die gemäßigte Zone und die Aequatorialzone, deren Bewohnbarkeit seit der Zeit des Polybius und Panütius keinem Zweifel mehr unterlag, legte er eine besondere Zone der Region des Wendekreises, die unter dem Einflüsse eines langen Zenithstcmdes der Sonne besondere Merkmale der Vertrocknung in Beschaffenheit des Bodens, der Pflanzen, der Thiere und Men¬ schen auswies. In Verfolgung dieser Annahme machte er darauf aufmerksam, daß man statt andrer Theilnngsarten die Oekumene durch Parallelen einfach in Klimate theilen könne, soll aber den Gedanken zurückgezogen und sich für die Theilung in die drei Erdtheile entschieden haben, da er einsah, daß die gleiche Production innerhalb derselben Klimate sich nicht bewahrheite, wie die Ver¬ schiedenheit der Inder von den Aethiopen zeige. Die ihm zugeschriebene Erd¬ messung scheint wirklich nur als ein von ihm vorgelegtes Beispiel zur Verdeut¬ lichung des Verfahrens betrachtet werden zu müssen. Das Verhältniß des zu bestimmenden Bogens zum ganzen Meridian wurde danach abgenommen von der Verschiedenheit der Culminationshöhe des Sternes Kanopus über den Hori¬ zont von Rhodus und von Alexandria, eine Beobachtung, die sehr an gewisse Angaben über die Sternwarten des Eudoxus in Knidos und Heliopolis erinnert. In Rhodus ging der Stern gleich nach seinein Erscheinen wieder unter, in Alexandria erhob er sich den vierten Theil eines Zeichens d. i. 7'/s", also

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/460
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/460>, abgerufen am 29.12.2024.