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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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auch kein wirkliches Interesse der Gerechtigkeit dagegen. Wir stehen nicht an
zu sagen: der Ruf nach "Gleichberechtigung der Nationalitäten" in Oesterreich,
in dem gewöhnlichen Sinne als Gleichberechtigung der nationalen Sprachen
verstanden, ist barer Unsinn, denn "wer die Gleichheit fordert zwischen den Un¬
gleichen, der fordert den Widersinn." Keine Sprache in Oesterreich kann es an
Verbreitung und Bedeutung mit dem Deutschen aufnehmen. Das Magyarische
wird nirgends außerhalb Ungarns, das Tschechische nur in Böhmen und Mähren,
daß Slovenische nur in Kram und in kleinen Theilen Steiermarks und Kärn-
tens verstanden, und wenn der Tscheche von dem Slovenen verstanden werden
will, so muß er - deutsch reden. Dies Verhältniß ist kein gemachtes, sondern
ein gewordenes, an dem alle slavischen und magyarischen Heißsporne zusammen¬
genommen nichts ändern werden. Die Gleichberechtigung des Slovenischen und
Tschechischen mit dem Deutschen in Schule und Amt decretieren, d. h. Sprachen,
die von wenigen Hunderttausenden, im besten Falle von ein paar Millionen
gesprochen werden und von denen die eine keine irgendwie nennenswerthe Li¬
teratur besitzt, mit einer Sprache gleichstellen, die in Europa von weit über
fünfzig Millionen Menschen als Muttersprache geredet und von vielen Hundert¬
tausenden außerdem verstanden wird, gar nicht zu reden von ihrer Literatur,
heißt chinesische Mauern aufrichten zwischen den Völkerschaften und ihnen die
Möglichkeit des Verständnisses mehr und mehr entziehen. Eine solche Gleich¬
stellung schließt ein Unrecht ein nicht nnr gegen die Deutschen, sondern auch
gegen die Slaven, deren wahres Interesse die Kenntniß .des Deutschen fordert,
um überhaupt im Wettbewerb der Arbeit concurrenzsiihig zu sein oder zu werden
mit den Deutschen, statt in die engen Grenzen ihres heimatlichen Sprachgebietes
eingeschlossen zu bleiben. Das ist nicht Germanisierung, denn niemand wird
daran denken, jene slavischen Idiome aus der Volksschule, der Kirche, der Ge¬
richtspflege und Verwaltung verdrängen zu wollen, sondern einfach praktische
Erwägung. Vollends das Bestreben dieser Minimalvölker, -- "Pygmäenvölker"
sagt die "Deutsche Zeitung" -- von denen wir die Magyaren keineswegs aus¬
schließen, ihre Idiome auch auf die Wissenschaft zu übertragen, erscheint als die
Aeußerung eines krankhaft überreizten Nationaldünkels, die nur dazu führen
kann, diese Stämme von der Gemeinsamkeit der wissenschaftlichen Arbeit der
großen Culturvölker auszuschließen und sie damit auf eine tiefere statt auf eine
höhere Stufe der Bildung zu bringen. Wird es doch keinem Deutschen -- von
andern Völkern ganz zu schweigen --, der nicht ein ganz specielles Interesse an
ungarischer oder böhmischer Geschichte hat, einfallen, so schwere Sprachen wie
das Magyarische und Tschechische sind, zu erlernen, um die etwaigen wissen¬
schaftlichen Producte derselben verfolgen zu können. Für die Culturwelt sind


auch kein wirkliches Interesse der Gerechtigkeit dagegen. Wir stehen nicht an
zu sagen: der Ruf nach „Gleichberechtigung der Nationalitäten" in Oesterreich,
in dem gewöhnlichen Sinne als Gleichberechtigung der nationalen Sprachen
verstanden, ist barer Unsinn, denn „wer die Gleichheit fordert zwischen den Un¬
gleichen, der fordert den Widersinn." Keine Sprache in Oesterreich kann es an
Verbreitung und Bedeutung mit dem Deutschen aufnehmen. Das Magyarische
wird nirgends außerhalb Ungarns, das Tschechische nur in Böhmen und Mähren,
daß Slovenische nur in Kram und in kleinen Theilen Steiermarks und Kärn-
tens verstanden, und wenn der Tscheche von dem Slovenen verstanden werden
will, so muß er - deutsch reden. Dies Verhältniß ist kein gemachtes, sondern
ein gewordenes, an dem alle slavischen und magyarischen Heißsporne zusammen¬
genommen nichts ändern werden. Die Gleichberechtigung des Slovenischen und
Tschechischen mit dem Deutschen in Schule und Amt decretieren, d. h. Sprachen,
die von wenigen Hunderttausenden, im besten Falle von ein paar Millionen
gesprochen werden und von denen die eine keine irgendwie nennenswerthe Li¬
teratur besitzt, mit einer Sprache gleichstellen, die in Europa von weit über
fünfzig Millionen Menschen als Muttersprache geredet und von vielen Hundert¬
tausenden außerdem verstanden wird, gar nicht zu reden von ihrer Literatur,
heißt chinesische Mauern aufrichten zwischen den Völkerschaften und ihnen die
Möglichkeit des Verständnisses mehr und mehr entziehen. Eine solche Gleich¬
stellung schließt ein Unrecht ein nicht nnr gegen die Deutschen, sondern auch
gegen die Slaven, deren wahres Interesse die Kenntniß .des Deutschen fordert,
um überhaupt im Wettbewerb der Arbeit concurrenzsiihig zu sein oder zu werden
mit den Deutschen, statt in die engen Grenzen ihres heimatlichen Sprachgebietes
eingeschlossen zu bleiben. Das ist nicht Germanisierung, denn niemand wird
daran denken, jene slavischen Idiome aus der Volksschule, der Kirche, der Ge¬
richtspflege und Verwaltung verdrängen zu wollen, sondern einfach praktische
Erwägung. Vollends das Bestreben dieser Minimalvölker, — „Pygmäenvölker"
sagt die „Deutsche Zeitung" — von denen wir die Magyaren keineswegs aus¬
schließen, ihre Idiome auch auf die Wissenschaft zu übertragen, erscheint als die
Aeußerung eines krankhaft überreizten Nationaldünkels, die nur dazu führen
kann, diese Stämme von der Gemeinsamkeit der wissenschaftlichen Arbeit der
großen Culturvölker auszuschließen und sie damit auf eine tiefere statt auf eine
höhere Stufe der Bildung zu bringen. Wird es doch keinem Deutschen — von
andern Völkern ganz zu schweigen —, der nicht ein ganz specielles Interesse an
ungarischer oder böhmischer Geschichte hat, einfallen, so schwere Sprachen wie
das Magyarische und Tschechische sind, zu erlernen, um die etwaigen wissen¬
schaftlichen Producte derselben verfolgen zu können. Für die Culturwelt sind


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/435>, abgerufen am 29.12.2024.