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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Hemisphäre, der zwischen den Parallelen der größten und geringsten Breite lag
und der einen Spondylus oder Wirtel bildete, von einem Meridian geschnitten,
so mußte in der einen Hälfte dieses Wirtels die Oekumene liegen, und die Meri¬
diane der östlichsten und westlichsten Länge bestimmten denjenigen Abschnitt dieser
Hülste, in welchem die Karte, zu verzeichnen war. Da sich die Eintragung auf
den sonst leeren Globus nicht empfahl, fo mußte man schon darum zur ebenen
Projection greifen. Nach den Angaben Strabos kam Eratosthenes über die
geradlinige und rechtwinklige nicht hinaus. Parallelen und Meridiane bildeten
nicht ein regulierendes Netz, sondern waren nach Gelegenheit angenommen.
Sieben Parallelen gingen durch Meroe, Syene, Alexandria, Rhodus (Athen),
Lysimachia, Borysthenes (Mündung des Dniepr), Thule. Der achte würde den
untersten Kartenrand gebildet haben, blieb aber, wie oben bemerkt, astronomisch
unbestimmt. Wichtige Knotenpunkte auf den Hauptstraßen des Land- und See¬
verkehrs bestimmten die Umsetzung der Meridiane. Wahrscheinlich waren auch
nur sieben eingetragen und durchschnitten die Mündung des Ganges, den Indus,
die kaspischen Pforten (südlich von der Südostecke des kaspischen Meeres), Thap-
sakus am Euphratübergange, den Nil, Karthago, die Säulen des Herakles. Allen
diesen Linien mußte noch ein ziemlicher Spielraum gelassen werden. Einmal
stand der Grundsatz fest, daß sich der Horizont innerhalb einer Strecke von
400 Stadien nicht merklich ändere, anderntheils konnten, ganz abgesehen von
den Meridianen, die sorgfältigen astronomischen Breitenbestimmungen vor der
Ueberzahl der groben und unsichern nicht aufkommen, und so kam es, daß man
zwar gelegentlich feinere Unterschiede beispielsweise hervorhob, für gewöhnlich
aber die Parallelen von Rhodus und Athen, die Meridiane von Alexandria
und der Mitte zwischen den Nilmündungen u. a. einfach zusammenlegte und mit
der Benennung beliebig wechselte. So waren z. B. die astronomischen Angaben
über die Breite von Indien, meistens den Schattenwechsel und die Sichtbarkeit
des großen und kleinen Bären betreffend, höchst unzuverlässig und verwirrt, nach
Hipparchs Urtheil durchaus unbrauchbar. Sie wurden ergänzt durch Schlüsse
nach den gleichen Erscheinungen der Temperaturverhältnisse, der Producte des
Thier- und Pflanzenreiches, der ethnographischen Eigenthümlichkeiten, wodurch
man unter anderm auf die Gleichsetzung der Wüstenregionen Afrikas und Asiens
kam. Wo diese Schlüsse nicht ausreichten, griff man zu den Orientierungs¬
angaben der Reisenden, und endlich blieben als letzte Rettung auch für die
Breitenbestimmung die Weg- und Schiffermaße. Auf gleiche Breite mit dem
südlichsten Aethiopien, der sogenannten Zimmtküste, kam die große Insel Tapro-
bane (Ceylon); der Parallel von Meroe ging durch das unbekannte innere Libyen,
Arabien und die südlichsten Theile des indischen Festlandes. Der Parallel von
Syene durchschnitt das wüste Libyen, Arabien, den persischen Meerbusen, der


Hemisphäre, der zwischen den Parallelen der größten und geringsten Breite lag
und der einen Spondylus oder Wirtel bildete, von einem Meridian geschnitten,
so mußte in der einen Hälfte dieses Wirtels die Oekumene liegen, und die Meri¬
diane der östlichsten und westlichsten Länge bestimmten denjenigen Abschnitt dieser
Hülste, in welchem die Karte, zu verzeichnen war. Da sich die Eintragung auf
den sonst leeren Globus nicht empfahl, fo mußte man schon darum zur ebenen
Projection greifen. Nach den Angaben Strabos kam Eratosthenes über die
geradlinige und rechtwinklige nicht hinaus. Parallelen und Meridiane bildeten
nicht ein regulierendes Netz, sondern waren nach Gelegenheit angenommen.
Sieben Parallelen gingen durch Meroe, Syene, Alexandria, Rhodus (Athen),
Lysimachia, Borysthenes (Mündung des Dniepr), Thule. Der achte würde den
untersten Kartenrand gebildet haben, blieb aber, wie oben bemerkt, astronomisch
unbestimmt. Wichtige Knotenpunkte auf den Hauptstraßen des Land- und See¬
verkehrs bestimmten die Umsetzung der Meridiane. Wahrscheinlich waren auch
nur sieben eingetragen und durchschnitten die Mündung des Ganges, den Indus,
die kaspischen Pforten (südlich von der Südostecke des kaspischen Meeres), Thap-
sakus am Euphratübergange, den Nil, Karthago, die Säulen des Herakles. Allen
diesen Linien mußte noch ein ziemlicher Spielraum gelassen werden. Einmal
stand der Grundsatz fest, daß sich der Horizont innerhalb einer Strecke von
400 Stadien nicht merklich ändere, anderntheils konnten, ganz abgesehen von
den Meridianen, die sorgfältigen astronomischen Breitenbestimmungen vor der
Ueberzahl der groben und unsichern nicht aufkommen, und so kam es, daß man
zwar gelegentlich feinere Unterschiede beispielsweise hervorhob, für gewöhnlich
aber die Parallelen von Rhodus und Athen, die Meridiane von Alexandria
und der Mitte zwischen den Nilmündungen u. a. einfach zusammenlegte und mit
der Benennung beliebig wechselte. So waren z. B. die astronomischen Angaben
über die Breite von Indien, meistens den Schattenwechsel und die Sichtbarkeit
des großen und kleinen Bären betreffend, höchst unzuverlässig und verwirrt, nach
Hipparchs Urtheil durchaus unbrauchbar. Sie wurden ergänzt durch Schlüsse
nach den gleichen Erscheinungen der Temperaturverhältnisse, der Producte des
Thier- und Pflanzenreiches, der ethnographischen Eigenthümlichkeiten, wodurch
man unter anderm auf die Gleichsetzung der Wüstenregionen Afrikas und Asiens
kam. Wo diese Schlüsse nicht ausreichten, griff man zu den Orientierungs¬
angaben der Reisenden, und endlich blieben als letzte Rettung auch für die
Breitenbestimmung die Weg- und Schiffermaße. Auf gleiche Breite mit dem
südlichsten Aethiopien, der sogenannten Zimmtküste, kam die große Insel Tapro-
bane (Ceylon); der Parallel von Meroe ging durch das unbekannte innere Libyen,
Arabien und die südlichsten Theile des indischen Festlandes. Der Parallel von
Syene durchschnitt das wüste Libyen, Arabien, den persischen Meerbusen, der


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[0420] Hemisphäre, der zwischen den Parallelen der größten und geringsten Breite lag und der einen Spondylus oder Wirtel bildete, von einem Meridian geschnitten, so mußte in der einen Hälfte dieses Wirtels die Oekumene liegen, und die Meri¬ diane der östlichsten und westlichsten Länge bestimmten denjenigen Abschnitt dieser Hülste, in welchem die Karte, zu verzeichnen war. Da sich die Eintragung auf den sonst leeren Globus nicht empfahl, fo mußte man schon darum zur ebenen Projection greifen. Nach den Angaben Strabos kam Eratosthenes über die geradlinige und rechtwinklige nicht hinaus. Parallelen und Meridiane bildeten nicht ein regulierendes Netz, sondern waren nach Gelegenheit angenommen. Sieben Parallelen gingen durch Meroe, Syene, Alexandria, Rhodus (Athen), Lysimachia, Borysthenes (Mündung des Dniepr), Thule. Der achte würde den untersten Kartenrand gebildet haben, blieb aber, wie oben bemerkt, astronomisch unbestimmt. Wichtige Knotenpunkte auf den Hauptstraßen des Land- und See¬ verkehrs bestimmten die Umsetzung der Meridiane. Wahrscheinlich waren auch nur sieben eingetragen und durchschnitten die Mündung des Ganges, den Indus, die kaspischen Pforten (südlich von der Südostecke des kaspischen Meeres), Thap- sakus am Euphratübergange, den Nil, Karthago, die Säulen des Herakles. Allen diesen Linien mußte noch ein ziemlicher Spielraum gelassen werden. Einmal stand der Grundsatz fest, daß sich der Horizont innerhalb einer Strecke von 400 Stadien nicht merklich ändere, anderntheils konnten, ganz abgesehen von den Meridianen, die sorgfältigen astronomischen Breitenbestimmungen vor der Ueberzahl der groben und unsichern nicht aufkommen, und so kam es, daß man zwar gelegentlich feinere Unterschiede beispielsweise hervorhob, für gewöhnlich aber die Parallelen von Rhodus und Athen, die Meridiane von Alexandria und der Mitte zwischen den Nilmündungen u. a. einfach zusammenlegte und mit der Benennung beliebig wechselte. So waren z. B. die astronomischen Angaben über die Breite von Indien, meistens den Schattenwechsel und die Sichtbarkeit des großen und kleinen Bären betreffend, höchst unzuverlässig und verwirrt, nach Hipparchs Urtheil durchaus unbrauchbar. Sie wurden ergänzt durch Schlüsse nach den gleichen Erscheinungen der Temperaturverhältnisse, der Producte des Thier- und Pflanzenreiches, der ethnographischen Eigenthümlichkeiten, wodurch man unter anderm auf die Gleichsetzung der Wüstenregionen Afrikas und Asiens kam. Wo diese Schlüsse nicht ausreichten, griff man zu den Orientierungs¬ angaben der Reisenden, und endlich blieben als letzte Rettung auch für die Breitenbestimmung die Weg- und Schiffermaße. Auf gleiche Breite mit dem südlichsten Aethiopien, der sogenannten Zimmtküste, kam die große Insel Tapro- bane (Ceylon); der Parallel von Meroe ging durch das unbekannte innere Libyen, Arabien und die südlichsten Theile des indischen Festlandes. Der Parallel von Syene durchschnitt das wüste Libyen, Arabien, den persischen Meerbusen, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/420>, abgerufen am 28.12.2024.