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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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richtersta leer habe ein starkes geographisches Interesse, speciell für einen südlichen
Ocean gehegt. In späterer Zeit scheint man an maßgebender Stelle kaum Notiz
von ihnen genommen zu haben, um den Schattenwechsel zu erfahren, brauchte
man nicht Afrika zu umsegeln, und aus späterer Zeit läßt sich nachweisen, daß
man eine bloß versuchte Umschiffung Libyens und eine bloße Behauptung der
Umschiffbarkeit Asiens so lange drehte, bis beide als vollendete Umsegelungs-
fahrten weiter erzählt wurden. Praktische Erforschung wurde auch in dieser
Frage nie ausschlaggebend, sondern Speculation. Eine Lehre der Physik, schon
den ältesten Philosophen zugeschrieben und später besonders von den Stoikern
angenommen und verbreitet, besagte, daß die Sonne wie die andern Gestirne
von der feuchten Ausdünstung der Erde genährt würden. Diese Lehre benutzte
man zur Constituierung eines äquatorialen Okeanosarmes, in welchem man mit
Freuden den homerischen Okeanos wieder begrüßte. Kleanthes und andere
Stoiker lehrten, die Sonne sei an den die mittlere Erdzone erfüllenden Okeanos,
der ihr den Unterhalt biete, gebunden, und könne darum in ihrem jährlichen
Laufe die Wendekreise nicht überschreiten. Von der Feststellung dieser Annahme
aus und von der thatsächlichen Kenntniß des westlichen atlantischen Meeres
ging man nun weiter. Der Grundsatz, daß die Natur, wo sie nur könne, Leben
entfalte, und die Parallelität der klimatischen Bedingungen hatten von Anfang
an die beiden gemäßigten Zonen zu den Wohnsitzen der Menschheit gestempelt.
Man war im weitern Verlaufe zu den Begriffen der Antipoden gekommen,
deren geographische Länge und Breite der unsrigen entgegengesetzt sei, der Ant¬
illen (gegenüber wohnende), die gleiche Länge aber verschiedene Breite, der Peri-
öken (zur Seite wohnende), die gleiche Breite, aber verschiedene Länge mit
uns haben. Die hierdurch gebotene Viertheilung der Erdoberfläche gab wenig¬
stens für gewisse Kreise den Ausschlag zur Annahme eines zweiten meridionalen
Gürteloceans. Das Resultat dieses im ersten Anlaufe gegen die Okeanosfrage
verfolgten Weges ist uns erhalten in der Beschreibung des Globus, welchen
der Stoiker, Grammatiker und Homerexeget Krates aus Mallos um die Mitte
des zweiten Jahrhunderts v. Chr. in Pergamum anfertigen und aufstellen ließ.
Den größten Theil der tropischen Zone erfüllte ein breiter Arm des Weltmeers,
rechtwinklig mit diesem umschlang ein zweiter Arm in meridionaler Richtung
die Erdkugel. Das Festland wurde von diesen Weltmeeren in Gestalt von
vier gegenüberliegenden Inseln, unserer Oekumene und denen der Ältesten, Peri-
öken und Antipoden, die sich unter einem gewissen Gesichtspunkte betrachtet als
Halbkreise projicierten, eingeschlossen. Die Stauung der aufeinandertreffenden
Meeresmassen war die Ursache der Ebbe und Fluth. Dieses symmetrische
Schema der Oceanographie, der Grund für die ringartigen Ornamente des
Reichsapfels, hat sich durch alle Zeit erhalten, ist aber vor der Wissenschaft-


richtersta leer habe ein starkes geographisches Interesse, speciell für einen südlichen
Ocean gehegt. In späterer Zeit scheint man an maßgebender Stelle kaum Notiz
von ihnen genommen zu haben, um den Schattenwechsel zu erfahren, brauchte
man nicht Afrika zu umsegeln, und aus späterer Zeit läßt sich nachweisen, daß
man eine bloß versuchte Umschiffung Libyens und eine bloße Behauptung der
Umschiffbarkeit Asiens so lange drehte, bis beide als vollendete Umsegelungs-
fahrten weiter erzählt wurden. Praktische Erforschung wurde auch in dieser
Frage nie ausschlaggebend, sondern Speculation. Eine Lehre der Physik, schon
den ältesten Philosophen zugeschrieben und später besonders von den Stoikern
angenommen und verbreitet, besagte, daß die Sonne wie die andern Gestirne
von der feuchten Ausdünstung der Erde genährt würden. Diese Lehre benutzte
man zur Constituierung eines äquatorialen Okeanosarmes, in welchem man mit
Freuden den homerischen Okeanos wieder begrüßte. Kleanthes und andere
Stoiker lehrten, die Sonne sei an den die mittlere Erdzone erfüllenden Okeanos,
der ihr den Unterhalt biete, gebunden, und könne darum in ihrem jährlichen
Laufe die Wendekreise nicht überschreiten. Von der Feststellung dieser Annahme
aus und von der thatsächlichen Kenntniß des westlichen atlantischen Meeres
ging man nun weiter. Der Grundsatz, daß die Natur, wo sie nur könne, Leben
entfalte, und die Parallelität der klimatischen Bedingungen hatten von Anfang
an die beiden gemäßigten Zonen zu den Wohnsitzen der Menschheit gestempelt.
Man war im weitern Verlaufe zu den Begriffen der Antipoden gekommen,
deren geographische Länge und Breite der unsrigen entgegengesetzt sei, der Ant¬
illen (gegenüber wohnende), die gleiche Länge aber verschiedene Breite, der Peri-
öken (zur Seite wohnende), die gleiche Breite, aber verschiedene Länge mit
uns haben. Die hierdurch gebotene Viertheilung der Erdoberfläche gab wenig¬
stens für gewisse Kreise den Ausschlag zur Annahme eines zweiten meridionalen
Gürteloceans. Das Resultat dieses im ersten Anlaufe gegen die Okeanosfrage
verfolgten Weges ist uns erhalten in der Beschreibung des Globus, welchen
der Stoiker, Grammatiker und Homerexeget Krates aus Mallos um die Mitte
des zweiten Jahrhunderts v. Chr. in Pergamum anfertigen und aufstellen ließ.
Den größten Theil der tropischen Zone erfüllte ein breiter Arm des Weltmeers,
rechtwinklig mit diesem umschlang ein zweiter Arm in meridionaler Richtung
die Erdkugel. Das Festland wurde von diesen Weltmeeren in Gestalt von
vier gegenüberliegenden Inseln, unserer Oekumene und denen der Ältesten, Peri-
öken und Antipoden, die sich unter einem gewissen Gesichtspunkte betrachtet als
Halbkreise projicierten, eingeschlossen. Die Stauung der aufeinandertreffenden
Meeresmassen war die Ursache der Ebbe und Fluth. Dieses symmetrische
Schema der Oceanographie, der Grund für die ringartigen Ornamente des
Reichsapfels, hat sich durch alle Zeit erhalten, ist aber vor der Wissenschaft-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/412>, abgerufen am 29.12.2024.