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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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etwas in nur, was mir ein Recht zum Wettkampfe gab, den eigentlich künstlerischen
Sinn. Ich warf mich mit Eifer anf mein Relief. Ein Wort Rauchs am andern
Tage, nachdem die Skizzen besichtigt worden waren, erhob mich ungemein und gab
mir eine feste Basis, eine Sicherheit, worauf ich feststehend ruhig fortarbeitete.
Ich war thätig von früh 6 Uhr bis Abends gegen 8 Uhr -- Mittags gönnte
ich mir eine Stunde Unterbrechung. Obgleich ich wußte, daß meine Mitconcur-
renten mich an Gewandtheit, Uebung im Modellieren, an Kenntniß der Form des
Körpers und der Gewandung übertrafen so verfolgte ich doch mein Ziel mit
leidenschaftlichem Eifer und nicht ohne Ehrgeiz, womit aber zugleich das drängendste
Bedürfniß verbunden war, durch ein glückliches Gelingen gleichsam eine Gewi߬
heit meiner Berufung zur Kunst in mir zu erlangen. Meine Leidenschaftlichkeit
ließ im Falle des Nichterfolgs Schlimmes für meine Gesundheit befürchten.
Meine Freunde hielten mir das Unrecht solchen Strebens vor, ich fühlte die
Wahrheit sehr wohl, suchte mich auch auf den richtigen Standpunkt zu stellen
und mich auf ein ungünstiges Resultat vorzubereiten; doch wollte mirs nicht
recht gelingen, mich bei dem Gedanken zu beruhigen, daß meine Anstrengung
vielleicht ohne Erfolg bleiben könnte. An dem Tage, an dem die Reliefs auf
der öffentlichen Kunstausstellung aufgestellt werden mußten, um vom akademischen
Senate beurtheilt zu werden, ging ich früh aus dem Hause, suchte auf den
Straßen einige Ruhe und Zerstreuung zu finden. Ich sah von weitem Rauch
nach der Akademie gehen; das Herz schlug mir hoch, in einer halben Stunde
vielleicht hatte er über mich zu entscheiden. Ich ging ihm weit aus dem Wege,
und erst nach Stunden kam ich in meine Wohnung zurück. Da sah ich meinen
Freund Thäter in seinen sonntäglichen Kleidern. Erstaunt fragte ich warum?
"Weil heute ein Feiertag für mich und weil dein Ehrentag ist; du hast deu
Preis!" Er hatte auf der Ausstellung an meinem Relief das Zeichen des
Preises, einen Lorbeerkranz, hängen sehen. Jubel, Lachen und Thränen wechsel¬
ten bei mir, ich umarmte Thäter und eilte nun zu Rauch, der mich wahrhaft
väterlich mit gerührten Worten und feuchten Augen empfing und mir das Beste
über meine Arbeit sagte. Mein Glück war übermüßig, mein Zweifeln an mir
und meinen Fähigkeiten machte einem muthigem Glauben an meine künstlerische
Bestimmung Platz."

"Otte Kamelien" sagen verächtlich die Hochflieger von heute, deren Lebens¬
arbeit damit beginnt, die tiefste Verachtung für jede vvrcmgegangne Entwicklung
zur Schau zu tragen und sich der Welt als Kunst- oder Wissenschaftsmessias
darzustellen. Wir aber haben allerdings bei der Rietschelschen "Jugenderinne-
rungen" deu Eindruck, daß dieser Bildhauer mit den wundersamen Mischung
unpersönlichster sachlicher Hingabe an seine Kunst, tiefster Bescheidenheit und
doch einer starken und gleichsam zähen Zuversicht, daß das Beharren zum Ziele


etwas in nur, was mir ein Recht zum Wettkampfe gab, den eigentlich künstlerischen
Sinn. Ich warf mich mit Eifer anf mein Relief. Ein Wort Rauchs am andern
Tage, nachdem die Skizzen besichtigt worden waren, erhob mich ungemein und gab
mir eine feste Basis, eine Sicherheit, worauf ich feststehend ruhig fortarbeitete.
Ich war thätig von früh 6 Uhr bis Abends gegen 8 Uhr — Mittags gönnte
ich mir eine Stunde Unterbrechung. Obgleich ich wußte, daß meine Mitconcur-
renten mich an Gewandtheit, Uebung im Modellieren, an Kenntniß der Form des
Körpers und der Gewandung übertrafen so verfolgte ich doch mein Ziel mit
leidenschaftlichem Eifer und nicht ohne Ehrgeiz, womit aber zugleich das drängendste
Bedürfniß verbunden war, durch ein glückliches Gelingen gleichsam eine Gewi߬
heit meiner Berufung zur Kunst in mir zu erlangen. Meine Leidenschaftlichkeit
ließ im Falle des Nichterfolgs Schlimmes für meine Gesundheit befürchten.
Meine Freunde hielten mir das Unrecht solchen Strebens vor, ich fühlte die
Wahrheit sehr wohl, suchte mich auch auf den richtigen Standpunkt zu stellen
und mich auf ein ungünstiges Resultat vorzubereiten; doch wollte mirs nicht
recht gelingen, mich bei dem Gedanken zu beruhigen, daß meine Anstrengung
vielleicht ohne Erfolg bleiben könnte. An dem Tage, an dem die Reliefs auf
der öffentlichen Kunstausstellung aufgestellt werden mußten, um vom akademischen
Senate beurtheilt zu werden, ging ich früh aus dem Hause, suchte auf den
Straßen einige Ruhe und Zerstreuung zu finden. Ich sah von weitem Rauch
nach der Akademie gehen; das Herz schlug mir hoch, in einer halben Stunde
vielleicht hatte er über mich zu entscheiden. Ich ging ihm weit aus dem Wege,
und erst nach Stunden kam ich in meine Wohnung zurück. Da sah ich meinen
Freund Thäter in seinen sonntäglichen Kleidern. Erstaunt fragte ich warum?
„Weil heute ein Feiertag für mich und weil dein Ehrentag ist; du hast deu
Preis!" Er hatte auf der Ausstellung an meinem Relief das Zeichen des
Preises, einen Lorbeerkranz, hängen sehen. Jubel, Lachen und Thränen wechsel¬
ten bei mir, ich umarmte Thäter und eilte nun zu Rauch, der mich wahrhaft
väterlich mit gerührten Worten und feuchten Augen empfing und mir das Beste
über meine Arbeit sagte. Mein Glück war übermüßig, mein Zweifeln an mir
und meinen Fähigkeiten machte einem muthigem Glauben an meine künstlerische
Bestimmung Platz."

„Otte Kamelien" sagen verächtlich die Hochflieger von heute, deren Lebens¬
arbeit damit beginnt, die tiefste Verachtung für jede vvrcmgegangne Entwicklung
zur Schau zu tragen und sich der Welt als Kunst- oder Wissenschaftsmessias
darzustellen. Wir aber haben allerdings bei der Rietschelschen „Jugenderinne-
rungen" deu Eindruck, daß dieser Bildhauer mit den wundersamen Mischung
unpersönlichster sachlicher Hingabe an seine Kunst, tiefster Bescheidenheit und
doch einer starken und gleichsam zähen Zuversicht, daß das Beharren zum Ziele


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/370>, abgerufen am 28.12.2024.